Geburten der späteren Welt erzeugt; der an¬ dere hat in der griechischen Mythologie durch Ergänzung mit der entgegengesetzten Einheit, dem Idealischen der Kunst, die höchste Schön¬ heit gebohren. Und will man die Regungen des entgegengesetzten Pols in der griechischen Bildung für nichts rechnen, die mystischen Elemente einer abgesonderten Art der Poesie, die Verwerfung der Mythologie und Verban¬ nung der Dichter durch die Philosophen, vor¬ nämlich Plato, der in einer ganz fremden und entfernten Welt eine Prophezeyhung des Christenthums ist?
Aber eben, daß das Christenthum schon vor und außer demselben existirt hat, beweist die Nothwendigkeit seiner Idee, und daß auch in dieser Beziehung keine absoluten Ge¬ gensätze existiren. Die christlichen Missonarien, die nach Indien kamen, glaubten den Bewoh¬ nern etwas Unerhörtes zu verkündigen, wenn sie lehrten, daß der Gott der Christen Mensch geworden sey. Jene waren darüber nicht ver¬ wundert, sie bestritten die Fleischwerdung Got¬
Geburten der ſpaͤteren Welt erzeugt; der an¬ dere hat in der griechiſchen Mythologie durch Ergaͤnzung mit der entgegengeſetzten Einheit, dem Idealiſchen der Kunſt, die hoͤchſte Schoͤn¬ heit gebohren. Und will man die Regungen des entgegengeſetzten Pols in der griechiſchen Bildung fuͤr nichts rechnen, die myſtiſchen Elemente einer abgeſonderten Art der Poeſie, die Verwerfung der Mythologie und Verban¬ nung der Dichter durch die Philoſophen, vor¬ naͤmlich Plato, der in einer ganz fremden und entfernten Welt eine Prophezeyhung des Chriſtenthums iſt?
Aber eben, daß das Chriſtenthum ſchon vor und außer demſelben exiſtirt hat, beweiſt die Nothwendigkeit ſeiner Idee, und daß auch in dieſer Beziehung keine abſoluten Ge¬ genſaͤtze exiſtiren. Die chriſtlichen Miſſonarien, die nach Indien kamen, glaubten den Bewoh¬ nern etwas Unerhoͤrtes zu verkuͤndigen, wenn ſie lehrten, daß der Gott der Chriſten Menſch geworden ſey. Jene waren daruͤber nicht ver¬ wundert, ſie beſtritten die Fleiſchwerdung Got¬
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Geburten der ſpaͤteren Welt erzeugt; der an¬
dere hat in der griechiſchen Mythologie durch
Ergaͤnzung mit der entgegengeſetzten Einheit,
dem Idealiſchen der Kunſt, die hoͤchſte Schoͤn¬
heit gebohren. Und will man die Regungen
des entgegengeſetzten Pols in der griechiſchen
Bildung fuͤr nichts rechnen, die myſtiſchen
Elemente einer abgeſonderten Art der Poeſie,
die Verwerfung der Mythologie und Verban¬
nung der Dichter durch die Philoſophen, vor¬
naͤmlich Plato, der in einer ganz fremden
und entfernten Welt eine Prophezeyhung des
Chriſtenthums iſt?
Aber eben, daß das Chriſtenthum ſchon
vor und außer demſelben exiſtirt hat, beweiſt
die Nothwendigkeit ſeiner Idee, und daß
auch in dieſer Beziehung keine abſoluten Ge¬
genſaͤtze exiſtiren. Die chriſtlichen Miſſonarien,
die nach Indien kamen, glaubten den Bewoh¬
nern etwas Unerhoͤrtes zu verkuͤndigen, wenn
ſie lehrten, daß der Gott der Chriſten Menſch
geworden ſey. Jene waren daruͤber nicht ver¬
wundert, ſie beſtritten die Fleiſchwerdung Got¬
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/203>, abgerufen am 24.11.2024.
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