Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

Zustande. Sein Verhältniß kann sich nur innerlich lösen, und wenn die
Götter, wie in den Eumeniden des Aeschylos das versöhnende Princip
sind, so müssen sie selbst zu den Bedingungen herabsteigen, unter welchen
der Mensch ist; auch sie können nicht versöhnen oder erretten, als in-
wiefern sie das Gleichgewicht der Freiheit und Nothwendigkeit herstellen
und sich mit den Gottheiten des Rechts und des Schicksals in Unter-
handlungen setzen. In diesem Fall aber ist in ihrer Erscheinung nichts
Wunderbares, und die Errettung und Hülfe, die sie schaffen, leisten
sie nicht als Götter, sondern dadurch, daß sie zu dem Loos der Menschen
herabsteigen und sich selbst dem Recht und der Nothwendigkeit fügen.
Wenn aber Götter in der Tragödie feindlich wirken, so sind sie selbst
das Schicksal; auch thun sie es nicht in Person, sondern auch ihre
feindliche Wirkung äußert sich durch eine innere Nothwendigkeit im Han-
delnden, wie bei der Phädra.

Die Götter also in der Tragödie zu Hülfe zu rufen, um die
Handlung nur äußerlich zu enden, wahrhaft aber und innerlich zu unter-
brechen oder ungeschlossen zu lassen, wäre für das ganze Wesen der
Tragödie zerstörend. Dasjenige Uebel, was Götter als solche durch
ihre bloße Dazwischenkunft heilen können, ist an sich selbst kein wahrhaft
tragisches Uebel. Umgekehrt; wo ein solches vorhanden ist, vermögen
sie nichts, und wenn sie dennoch herbeigerufen werden, so ist dieß, was
man den Deus ex machina nennt, und was allgemein als eversiv für
das Wesen der Tragödie erkannt ist.

Denn -- um mit dieser Bestimmung die Untersuchung über die
innere Construktion der Tragödie zu vollenden -- so muß die Handlung
nicht bloß äußerlich, sondern innerlich, im Gemüth selbst, geschlossen
werden, wie es eine innerliche Empörung ist, welche das Tragische
eigentlich hervorbringt. Nur von dieser inneren Versöhnung aus geht
jene Harmonie, die wir zur Vollendung fordern. Schlechten Poeten ge-
nügt es die mühsam fortgeführte Handlung nur äußerlich zu schließen.
Ebensowenig als dieß geschehen darf, darf die Versöhnung durch etwas
Fremdartiges, Außerordentliches, außer dem Gemüth und der Handlung
Liegendes geschehen, als ob die Herbheit des wahren Schicksals durch

Zuſtande. Sein Verhältniß kann ſich nur innerlich löſen, und wenn die
Götter, wie in den Eumeniden des Aeſchylos das verſöhnende Princip
ſind, ſo müſſen ſie ſelbſt zu den Bedingungen herabſteigen, unter welchen
der Menſch iſt; auch ſie können nicht verſöhnen oder erretten, als in-
wiefern ſie das Gleichgewicht der Freiheit und Nothwendigkeit herſtellen
und ſich mit den Gottheiten des Rechts und des Schickſals in Unter-
handlungen ſetzen. In dieſem Fall aber iſt in ihrer Erſcheinung nichts
Wunderbares, und die Errettung und Hülfe, die ſie ſchaffen, leiſten
ſie nicht als Götter, ſondern dadurch, daß ſie zu dem Loos der Menſchen
herabſteigen und ſich ſelbſt dem Recht und der Nothwendigkeit fügen.
Wenn aber Götter in der Tragödie feindlich wirken, ſo ſind ſie ſelbſt
das Schickſal; auch thun ſie es nicht in Perſon, ſondern auch ihre
feindliche Wirkung äußert ſich durch eine innere Nothwendigkeit im Han-
delnden, wie bei der Phädra.

Die Götter alſo in der Tragödie zu Hülfe zu rufen, um die
Handlung nur äußerlich zu enden, wahrhaft aber und innerlich zu unter-
brechen oder ungeſchloſſen zu laſſen, wäre für das ganze Weſen der
Tragödie zerſtörend. Dasjenige Uebel, was Götter als ſolche durch
ihre bloße Dazwiſchenkunft heilen können, iſt an ſich ſelbſt kein wahrhaft
tragiſches Uebel. Umgekehrt; wo ein ſolches vorhanden iſt, vermögen
ſie nichts, und wenn ſie dennoch herbeigerufen werden, ſo iſt dieß, was
man den Deus ex machina nennt, und was allgemein als everſiv für
das Weſen der Tragödie erkannt iſt.

Denn — um mit dieſer Beſtimmung die Unterſuchung über die
innere Conſtruktion der Tragödie zu vollenden — ſo muß die Handlung
nicht bloß äußerlich, ſondern innerlich, im Gemüth ſelbſt, geſchloſſen
werden, wie es eine innerliche Empörung iſt, welche das Tragiſche
eigentlich hervorbringt. Nur von dieſer inneren Verſöhnung aus geht
jene Harmonie, die wir zur Vollendung fordern. Schlechten Poeten ge-
nügt es die mühſam fortgeführte Handlung nur äußerlich zu ſchließen.
Ebenſowenig als dieß geſchehen darf, darf die Verſöhnung durch etwas
Fremdartiges, Außerordentliches, außer dem Gemüth und der Handlung
Liegendes geſchehen, als ob die Herbheit des wahren Schickſals durch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0379" n="703"/>
Zu&#x017F;tande. Sein Verhältniß kann &#x017F;ich nur innerlich lö&#x017F;en, und wenn die<lb/>
Götter, wie in den Eumeniden des Ae&#x017F;chylos das ver&#x017F;öhnende Princip<lb/>
&#x017F;ind, &#x017F;o mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t zu den Bedingungen herab&#x017F;teigen, unter welchen<lb/>
der Men&#x017F;ch i&#x017F;t; auch &#x017F;ie können nicht ver&#x017F;öhnen oder erretten, als in-<lb/>
wiefern &#x017F;ie das Gleichgewicht der Freiheit und Nothwendigkeit her&#x017F;tellen<lb/>
und &#x017F;ich mit den Gottheiten des Rechts und des Schick&#x017F;als in Unter-<lb/>
handlungen &#x017F;etzen. In die&#x017F;em Fall aber i&#x017F;t in ihrer Er&#x017F;cheinung nichts<lb/>
Wunderbares, und die Errettung und Hülfe, die &#x017F;ie &#x017F;chaffen, lei&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;ie nicht als Götter, &#x017F;ondern dadurch, daß &#x017F;ie zu dem Loos der Men&#x017F;chen<lb/>
herab&#x017F;teigen und &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t dem Recht und der Nothwendigkeit fügen.<lb/>
Wenn aber Götter in der Tragödie feindlich wirken, &#x017F;o &#x017F;ind &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
das Schick&#x017F;al; auch thun &#x017F;ie es nicht in Per&#x017F;on, &#x017F;ondern auch ihre<lb/>
feindliche Wirkung äußert &#x017F;ich durch eine innere Nothwendigkeit im Han-<lb/>
delnden, wie bei der Phädra.</p><lb/>
              <p>Die Götter al&#x017F;o in der Tragödie zu Hülfe zu rufen, um die<lb/>
Handlung nur äußerlich zu enden, wahrhaft aber und innerlich zu unter-<lb/>
brechen oder unge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en zu la&#x017F;&#x017F;en, wäre für das ganze We&#x017F;en der<lb/>
Tragödie zer&#x017F;törend. Dasjenige Uebel, was Götter als &#x017F;olche durch<lb/>
ihre bloße Dazwi&#x017F;chenkunft heilen können, i&#x017F;t an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t kein wahrhaft<lb/>
tragi&#x017F;ches Uebel. Umgekehrt; wo ein &#x017F;olches vorhanden i&#x017F;t, vermögen<lb/>
&#x017F;ie nichts, und wenn &#x017F;ie dennoch herbeigerufen werden, &#x017F;o i&#x017F;t dieß, was<lb/>
man den <hi rendition="#aq">Deus ex machina</hi> nennt, und was allgemein als ever&#x017F;iv für<lb/>
das We&#x017F;en der Tragödie erkannt i&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>Denn &#x2014; um mit die&#x017F;er Be&#x017F;timmung die Unter&#x017F;uchung über die<lb/>
innere Con&#x017F;truktion der Tragödie zu vollenden &#x2014; &#x017F;o muß die Handlung<lb/>
nicht bloß äußerlich, &#x017F;ondern innerlich, im Gemüth &#x017F;elb&#x017F;t, ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
werden, wie es eine innerliche Empörung i&#x017F;t, welche das Tragi&#x017F;che<lb/>
eigentlich hervorbringt. Nur von die&#x017F;er <hi rendition="#g">inneren</hi> Ver&#x017F;öhnung aus geht<lb/>
jene Harmonie, die wir zur Vollendung fordern. Schlechten Poeten ge-<lb/>
nügt es die müh&#x017F;am fortgeführte Handlung nur äußerlich zu &#x017F;chließen.<lb/>
Eben&#x017F;owenig als dieß ge&#x017F;chehen darf, darf die Ver&#x017F;öhnung durch etwas<lb/>
Fremdartiges, Außerordentliches, außer dem Gemüth und der Handlung<lb/>
Liegendes ge&#x017F;chehen, als ob die Herbheit des wahren Schick&#x017F;als durch<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[703/0379] Zuſtande. Sein Verhältniß kann ſich nur innerlich löſen, und wenn die Götter, wie in den Eumeniden des Aeſchylos das verſöhnende Princip ſind, ſo müſſen ſie ſelbſt zu den Bedingungen herabſteigen, unter welchen der Menſch iſt; auch ſie können nicht verſöhnen oder erretten, als in- wiefern ſie das Gleichgewicht der Freiheit und Nothwendigkeit herſtellen und ſich mit den Gottheiten des Rechts und des Schickſals in Unter- handlungen ſetzen. In dieſem Fall aber iſt in ihrer Erſcheinung nichts Wunderbares, und die Errettung und Hülfe, die ſie ſchaffen, leiſten ſie nicht als Götter, ſondern dadurch, daß ſie zu dem Loos der Menſchen herabſteigen und ſich ſelbſt dem Recht und der Nothwendigkeit fügen. Wenn aber Götter in der Tragödie feindlich wirken, ſo ſind ſie ſelbſt das Schickſal; auch thun ſie es nicht in Perſon, ſondern auch ihre feindliche Wirkung äußert ſich durch eine innere Nothwendigkeit im Han- delnden, wie bei der Phädra. Die Götter alſo in der Tragödie zu Hülfe zu rufen, um die Handlung nur äußerlich zu enden, wahrhaft aber und innerlich zu unter- brechen oder ungeſchloſſen zu laſſen, wäre für das ganze Weſen der Tragödie zerſtörend. Dasjenige Uebel, was Götter als ſolche durch ihre bloße Dazwiſchenkunft heilen können, iſt an ſich ſelbſt kein wahrhaft tragiſches Uebel. Umgekehrt; wo ein ſolches vorhanden iſt, vermögen ſie nichts, und wenn ſie dennoch herbeigerufen werden, ſo iſt dieß, was man den Deus ex machina nennt, und was allgemein als everſiv für das Weſen der Tragödie erkannt iſt. Denn — um mit dieſer Beſtimmung die Unterſuchung über die innere Conſtruktion der Tragödie zu vollenden — ſo muß die Handlung nicht bloß äußerlich, ſondern innerlich, im Gemüth ſelbſt, geſchloſſen werden, wie es eine innerliche Empörung iſt, welche das Tragiſche eigentlich hervorbringt. Nur von dieſer inneren Verſöhnung aus geht jene Harmonie, die wir zur Vollendung fordern. Schlechten Poeten ge- nügt es die mühſam fortgeführte Handlung nur äußerlich zu ſchließen. Ebenſowenig als dieß geſchehen darf, darf die Verſöhnung durch etwas Fremdartiges, Außerordentliches, außer dem Gemüth und der Handlung Liegendes geſchehen, als ob die Herbheit des wahren Schickſals durch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/379
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 703. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/379>, abgerufen am 17.05.2024.