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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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und thätigen, fortgerissenen und überlegten Beschauung bringt, sind
alle Wirkungen der Kunst bloße Naturwirkungen; er selbst verhält sich
dabei als Naturwesen, und hat die Kunst als Kunst wahrhaft nie er-
fahren und erkannt. Was ihn bewegt, sind vielleicht die einzelnen
Schönheiten, aber in dem wahren Kunstwerk gibt es keine einzelne
Schönheit, nur das Ganze ist schön. Wer sich also nicht zur Idee
des Ganzen erhebt, ist gänzlich unfähig ein Werk zu beurtheilen.
Und trotz dieser Gleichgültigkeit sehen wir doch die große Menge der
Menschen, die sich gebildet nennen, zu nichts geneigter, als in Sachen
der Kunst ein Urtheil zu haben, die Kenner zu spielen, und nicht leicht
wird ein nachtheiliges Urtheil tiefer empfunden als das, daß jemand
keinen Geschmack habe. Die, welche ihre Schwäche in der Beurtheilung
fühlen, halten, bei der sehr entschiedenen Wirkung, die ein Kunstwerk
auf sie hat, und der Originalität der Ansicht, die sie vielleicht davon
haben, unerachtet, doch ihr Urtheil lieber zurück, als daß sie sich Blößen
geben. Andere, die weniger bescheiden sind, machen sich durch ihr Ur-
theil lächerlich oder fallen den Verständigen damit beschwerlich. Es ge-
hört also sogar zur allgemein gesellschaftlichen Bildung -- da überhaupt
kein gesellschaftlicheres Studium als das der Kunst -- über die Kunst
Wissenschaft zu haben, die Fähigkeit, die Idee oder das Ganze so
wie die wechselseitigen Beziehungen der Theile aufeinander und auf
das Ganze und hinwiederum die des Ganzen auf die Theile aufzu-
fassen, in sich ausgebildet zu haben. Aber dieses eben ist nicht möglich
anders als durch Wissenschaft und insbesondere durch Philosophie.
Je strenger die Idee der Kunst und des Kunstwerks construirt wird,
desto mehr wird nicht nur der Schlaffheit der Beurtheilung, sondern
auch jenem leichtfertigen Versuchen in der Kunst oder Poesie gesteuert,
welches gewöhnlich ohne alle Idee derselben angestellt wird.

Wie nöthig gerade eine streng wissenschaftliche Ansicht der Kunst
zur Ausbildung des intellektuellen Anschauens der Kunstwerke sowie
vorzüglich zur Bildung des Urtheils über dieselbe sey, darüber will ich
nur noch Folgendes bemerken.

Man kann sehr häufig, insbesondere jetzt, die Erfahrung machen,

und thätigen, fortgeriſſenen und überlegten Beſchauung bringt, ſind
alle Wirkungen der Kunſt bloße Naturwirkungen; er ſelbſt verhält ſich
dabei als Naturweſen, und hat die Kunſt als Kunſt wahrhaft nie er-
fahren und erkannt. Was ihn bewegt, ſind vielleicht die einzelnen
Schönheiten, aber in dem wahren Kunſtwerk gibt es keine einzelne
Schönheit, nur das Ganze iſt ſchön. Wer ſich alſo nicht zur Idee
des Ganzen erhebt, iſt gänzlich unfähig ein Werk zu beurtheilen.
Und trotz dieſer Gleichgültigkeit ſehen wir doch die große Menge der
Menſchen, die ſich gebildet nennen, zu nichts geneigter, als in Sachen
der Kunſt ein Urtheil zu haben, die Kenner zu ſpielen, und nicht leicht
wird ein nachtheiliges Urtheil tiefer empfunden als das, daß jemand
keinen Geſchmack habe. Die, welche ihre Schwäche in der Beurtheilung
fühlen, halten, bei der ſehr entſchiedenen Wirkung, die ein Kunſtwerk
auf ſie hat, und der Originalität der Anſicht, die ſie vielleicht davon
haben, unerachtet, doch ihr Urtheil lieber zurück, als daß ſie ſich Blößen
geben. Andere, die weniger beſcheiden ſind, machen ſich durch ihr Ur-
theil lächerlich oder fallen den Verſtändigen damit beſchwerlich. Es ge-
hört alſo ſogar zur allgemein geſellſchaftlichen Bildung — da überhaupt
kein geſellſchaftlicheres Studium als das der Kunſt — über die Kunſt
Wiſſenſchaft zu haben, die Fähigkeit, die Idee oder das Ganze ſo
wie die wechſelſeitigen Beziehungen der Theile aufeinander und auf
das Ganze und hinwiederum die des Ganzen auf die Theile aufzu-
faſſen, in ſich ausgebildet zu haben. Aber dieſes eben iſt nicht möglich
anders als durch Wiſſenſchaft und insbeſondere durch Philoſophie.
Je ſtrenger die Idee der Kunſt und des Kunſtwerks conſtruirt wird,
deſto mehr wird nicht nur der Schlaffheit der Beurtheilung, ſondern
auch jenem leichtfertigen Verſuchen in der Kunſt oder Poeſie geſteuert,
welches gewöhnlich ohne alle Idee derſelben angeſtellt wird.

Wie nöthig gerade eine ſtreng wiſſenſchaftliche Anſicht der Kunſt
zur Ausbildung des intellektuellen Anſchauens der Kunſtwerke ſowie
vorzüglich zur Bildung des Urtheils über dieſelbe ſey, darüber will ich
nur noch Folgendes bemerken.

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[359/0035] und thätigen, fortgeriſſenen und überlegten Beſchauung bringt, ſind alle Wirkungen der Kunſt bloße Naturwirkungen; er ſelbſt verhält ſich dabei als Naturweſen, und hat die Kunſt als Kunſt wahrhaft nie er- fahren und erkannt. Was ihn bewegt, ſind vielleicht die einzelnen Schönheiten, aber in dem wahren Kunſtwerk gibt es keine einzelne Schönheit, nur das Ganze iſt ſchön. Wer ſich alſo nicht zur Idee des Ganzen erhebt, iſt gänzlich unfähig ein Werk zu beurtheilen. Und trotz dieſer Gleichgültigkeit ſehen wir doch die große Menge der Menſchen, die ſich gebildet nennen, zu nichts geneigter, als in Sachen der Kunſt ein Urtheil zu haben, die Kenner zu ſpielen, und nicht leicht wird ein nachtheiliges Urtheil tiefer empfunden als das, daß jemand keinen Geſchmack habe. Die, welche ihre Schwäche in der Beurtheilung fühlen, halten, bei der ſehr entſchiedenen Wirkung, die ein Kunſtwerk auf ſie hat, und der Originalität der Anſicht, die ſie vielleicht davon haben, unerachtet, doch ihr Urtheil lieber zurück, als daß ſie ſich Blößen geben. Andere, die weniger beſcheiden ſind, machen ſich durch ihr Ur- theil lächerlich oder fallen den Verſtändigen damit beſchwerlich. Es ge- hört alſo ſogar zur allgemein geſellſchaftlichen Bildung — da überhaupt kein geſellſchaftlicheres Studium als das der Kunſt — über die Kunſt Wiſſenſchaft zu haben, die Fähigkeit, die Idee oder das Ganze ſo wie die wechſelſeitigen Beziehungen der Theile aufeinander und auf das Ganze und hinwiederum die des Ganzen auf die Theile aufzu- faſſen, in ſich ausgebildet zu haben. Aber dieſes eben iſt nicht möglich anders als durch Wiſſenſchaft und insbeſondere durch Philoſophie. Je ſtrenger die Idee der Kunſt und des Kunſtwerks conſtruirt wird, deſto mehr wird nicht nur der Schlaffheit der Beurtheilung, ſondern auch jenem leichtfertigen Verſuchen in der Kunſt oder Poeſie geſteuert, welches gewöhnlich ohne alle Idee derſelben angeſtellt wird. Wie nöthig gerade eine ſtreng wiſſenſchaftliche Anſicht der Kunſt zur Ausbildung des intellektuellen Anſchauens der Kunſtwerke ſowie vorzüglich zur Bildung des Urtheils über dieſelbe ſey, darüber will ich nur noch Folgendes bemerken. Man kann ſehr häufig, insbeſondere jetzt, die Erfahrung machen,

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/35>, abgerufen am 27.11.2024.