es die absolute Objektivität des alten Epos verlor, und mit dieser Gattung nur als ihre vollkommene Negation vergleichbar ist, und auch Ariosto hat seinen Stoff nach sich modificirt, indem er ihm ein gutes Theil Reflexion und Muthwillen beigemischt hat. Da ein Hauptcha- rakter des Romantischen überhaupt in der Vermischung des Ernstes und des Scherzes liegt, so müssen wir ihm jenes zugeben, da von der an- deren Seite seine Schalkhaftigkeit, so zu sagen, wieder nur an die Stelle der Gleichgültigkeit, der Untheilnahme des Dichters im Epos tritt. Er hat sich dadurch zum Herrn seines Gegenstandes gemacht. Darin schließt sich sein Gedicht dem Begriff des alten Epos am bestimmtesten an, daß es keinen bestimmten Anfang wie kein bestimmtes Ende hat, daß es ein herausgeschnittenes Stück aus seiner Welt ist, das man sich ebenso gut früher aufgenommen, wie weiter fortgeführt denken kann. (Tadel unverständiger Kunstrichter hierüber im Vergleich der künstlichen Composition des Tasso. Hier ist freilich alles regelmäßiger zugeschnitten, daß man nie zu verirren in Gefahr ist. Ariostos Gedicht gleicht einem Irrgarten, worin man mit Lust, ohne Furcht, sich verliert.) Ein an- derer Beziehungspunkt ist: daß der Held nicht allein darin herausge- hoben ist und oft ganz vom Schauplatz entfernt steht, oder vielmehr, daß es überhaupt eine Mehrzahl von Helden gibt. Die Geschichte Eines Helden durch alle Katastrophen hindurchgeführt, wie Wielands Oberon z. B., ist, wenn wir dieser Gattung nur einige Reinheit bewahren wollen, bloß eine romantische, oft sentimentale Biographie in Versen, also weder ein wahres Epos, noch ein wahrhafter Roman (der in Prosa geschrieben seyn müßte).
Der Begriff des Wunderbaren ist, wie ich schon bemerkt habe, eine neue Zuthat des Epos, denn wenn auch Aristoteles schon vom thaumason des homerischen Epos spricht, hat es doch bei ihm eine ganz andere Bedeutung als das moderne Wunderbare, nämlich über- haupt nur das Außerordentliche (mehr davon beim Drama). Homer hat kein Wunderbares, sondern lauter Natürliches, weil auch seine Götter natürlich sind. Im Wunderbaren zeigt sich Poesie und Prosa im Kampf; das Wunderbare ist es nur gegenüber von der Prosa und
es die abſolute Objektivität des alten Epos verlor, und mit dieſer Gattung nur als ihre vollkommene Negation vergleichbar iſt, und auch Arioſto hat ſeinen Stoff nach ſich modificirt, indem er ihm ein gutes Theil Reflexion und Muthwillen beigemiſcht hat. Da ein Hauptcha- rakter des Romantiſchen überhaupt in der Vermiſchung des Ernſtes und des Scherzes liegt, ſo müſſen wir ihm jenes zugeben, da von der an- deren Seite ſeine Schalkhaftigkeit, ſo zu ſagen, wieder nur an die Stelle der Gleichgültigkeit, der Untheilnahme des Dichters im Epos tritt. Er hat ſich dadurch zum Herrn ſeines Gegenſtandes gemacht. Darin ſchließt ſich ſein Gedicht dem Begriff des alten Epos am beſtimmteſten an, daß es keinen beſtimmten Anfang wie kein beſtimmtes Ende hat, daß es ein herausgeſchnittenes Stück aus ſeiner Welt iſt, das man ſich ebenſo gut früher aufgenommen, wie weiter fortgeführt denken kann. (Tadel unverſtändiger Kunſtrichter hierüber im Vergleich der künſtlichen Compoſition des Taſſo. Hier iſt freilich alles regelmäßiger zugeſchnitten, daß man nie zu verirren in Gefahr iſt. Arioſtos Gedicht gleicht einem Irrgarten, worin man mit Luſt, ohne Furcht, ſich verliert.) Ein an- derer Beziehungspunkt iſt: daß der Held nicht allein darin herausge- hoben iſt und oft ganz vom Schauplatz entfernt ſteht, oder vielmehr, daß es überhaupt eine Mehrzahl von Helden gibt. Die Geſchichte Eines Helden durch alle Kataſtrophen hindurchgeführt, wie Wielands Oberon z. B., iſt, wenn wir dieſer Gattung nur einige Reinheit bewahren wollen, bloß eine romantiſche, oft ſentimentale Biographie in Verſen, alſo weder ein wahres Epos, noch ein wahrhafter Roman (der in Proſa geſchrieben ſeyn müßte).
Der Begriff des Wunderbaren iſt, wie ich ſchon bemerkt habe, eine neue Zuthat des Epos, denn wenn auch Ariſtoteles ſchon vom ϑαυμαςόν des homeriſchen Epos ſpricht, hat es doch bei ihm eine ganz andere Bedeutung als das moderne Wunderbare, nämlich über- haupt nur das Außerordentliche (mehr davon beim Drama). Homer hat kein Wunderbares, ſondern lauter Natürliches, weil auch ſeine Götter natürlich ſind. Im Wunderbaren zeigt ſich Poeſie und Proſa im Kampf; das Wunderbare iſt es nur gegenüber von der Proſa und
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Arioſto hat ſeinen Stoff nach ſich modificirt, indem er ihm ein gutes
Theil Reflexion und Muthwillen beigemiſcht hat. Da ein Hauptcha-
rakter des Romantiſchen überhaupt in der Vermiſchung des Ernſtes und
des Scherzes liegt, ſo müſſen wir ihm jenes zugeben, da von der an-
deren Seite ſeine Schalkhaftigkeit, ſo zu ſagen, wieder nur an die Stelle
der Gleichgültigkeit, der Untheilnahme des Dichters im Epos tritt. Er
hat ſich dadurch zum Herrn ſeines Gegenſtandes gemacht. Darin
ſchließt ſich ſein Gedicht dem Begriff des alten Epos am beſtimmteſten
an, daß es keinen beſtimmten Anfang wie kein beſtimmtes Ende hat,
daß es ein herausgeſchnittenes Stück aus ſeiner Welt iſt, das man ſich
ebenſo gut früher aufgenommen, wie weiter fortgeführt denken kann.
(Tadel unverſtändiger Kunſtrichter hierüber im Vergleich der künſtlichen
Compoſition des Taſſo. Hier iſt freilich alles regelmäßiger zugeſchnitten,
daß man nie zu verirren in Gefahr iſt. Arioſtos Gedicht gleicht einem
Irrgarten, worin man mit Luſt, ohne Furcht, ſich verliert.) Ein an-
derer Beziehungspunkt iſt: daß der Held nicht allein darin herausge-
hoben iſt und oft ganz vom Schauplatz entfernt ſteht, oder vielmehr,
daß es überhaupt eine Mehrzahl von Helden gibt. Die Geſchichte Eines
Helden durch alle Kataſtrophen hindurchgeführt, wie Wielands Oberon
z. B., iſt, wenn wir dieſer Gattung nur einige Reinheit bewahren
wollen, bloß eine romantiſche, oft ſentimentale Biographie in Verſen,
alſo weder ein wahres Epos, noch ein wahrhafter Roman (der in
Proſa geſchrieben ſeyn müßte).
Der Begriff des Wunderbaren iſt, wie ich ſchon bemerkt habe,
eine neue Zuthat des Epos, denn wenn auch Ariſtoteles ſchon vom
ϑαυμαςόν des homeriſchen Epos ſpricht, hat es doch bei ihm eine
ganz andere Bedeutung als das moderne Wunderbare, nämlich über-
haupt nur das Außerordentliche (mehr davon beim Drama). Homer
hat kein Wunderbares, ſondern lauter Natürliches, weil auch ſeine
Götter natürlich ſind. Im Wunderbaren zeigt ſich Poeſie und Proſa
im Kampf; das Wunderbare iſt es nur gegenüber von der Proſa und
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 670. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/346>, abgerufen am 25.11.2024.
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