Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

in einer getheilten Welt. Im Homer ist, wenn man will, alles,
aber eben deßwegen nichts wunderbar. Allein Ariosto hat wirklich vor-
trefflich verstanden, sein Wunderbares vermittelst seiner Leichtigkeit, seiner
Ironie und des oft ganz ungeschmückten Vortrags in ein Natürliches
zu verwandeln. Er wird auch am schwersten da zu erreichen seyn, wo
er ganz trocken erzählt. Im Uebergang aber von solchen Partieen zu
andern, über die er alle Anmuth und allen Schmuck seiner reichen
Phantasie ergossen, malen sich die Contraste und Mischungen des Stoffs,
welche im romantischen Gedicht nothwendig sind -- man kann im eigent-
lichsten Sinn sagen, sie malen sich, weil alles lebendige Farbe bei
ihm ist, bewegliches, rasches Gemälde, an dem die Umrisse zuweilen
verschwinden, zuweilen nachdrücklich hervortreten, und das immer mehr
als ein buntes Aggregat von Theilen eines Ganzen erscheint, als daß
sich, auch innerhalb seiner partiellen Sphäre genommen, eine gediegene
Stetigkeit darin ausdrückte. Auch hat Ariosto streng genommen nur
einen nationalen und leicht gemeinten Versuch gemacht, wenn man ihn
mit der höheren Idee eines, wenn gleich modernen, Epos zusammen-
hält, das, nicht mehr wie das Homerische durch ein Zeitalter, ein
Volk gedichtet, sondern nothwendig durch einen Einzelnen, stets einen
andern Charakter haben wird und das Antike und die Objektivität auf
andere Art zu Stande bringen muß. Allein der Reiz eines hellen
Verstandes und der unerschöpflichen Fülle von Lust und Laune löscht
das Partikulare des Gedichtes wieder aus. Es ist nichts Gehäuftes in
Ariosto, die edlen Züge sind schön vertheilt und halten wie Säulen
das luftige Gebäude. Angelika ist die schöne Helena, der Zwist der
Paladine um sie der trojanische Krieg; Orlando tritt ebenso selten auf
den Schauplatz wie Achilles; es fehlt auch an einem Paris nicht, der
ohne groß Verdienst und Würdigkeit die Schöne davon trägt, die be-
kannte Meda nämlich. -- Natürlich ist diese Parallele nicht allzu ernstlich
gemeint. Die schönste Gestalt des Dichters, durchaus romantisch und
zart gedacht, ist Bradamante, die Waffen anlegt und auf Abenteuer
ausgeht für den Geliebten; die Tapferkeit ist in ihr das Wunderbare
und die Liebe das Natürliche und also auch das Liebenswerthe das

in einer getheilten Welt. Im Homer iſt, wenn man will, alles,
aber eben deßwegen nichts wunderbar. Allein Arioſto hat wirklich vor-
trefflich verſtanden, ſein Wunderbares vermittelſt ſeiner Leichtigkeit, ſeiner
Ironie und des oft ganz ungeſchmückten Vortrags in ein Natürliches
zu verwandeln. Er wird auch am ſchwerſten da zu erreichen ſeyn, wo
er ganz trocken erzählt. Im Uebergang aber von ſolchen Partieen zu
andern, über die er alle Anmuth und allen Schmuck ſeiner reichen
Phantaſie ergoſſen, malen ſich die Contraſte und Miſchungen des Stoffs,
welche im romantiſchen Gedicht nothwendig ſind — man kann im eigent-
lichſten Sinn ſagen, ſie malen ſich, weil alles lebendige Farbe bei
ihm iſt, bewegliches, raſches Gemälde, an dem die Umriſſe zuweilen
verſchwinden, zuweilen nachdrücklich hervortreten, und das immer mehr
als ein buntes Aggregat von Theilen eines Ganzen erſcheint, als daß
ſich, auch innerhalb ſeiner partiellen Sphäre genommen, eine gediegene
Stetigkeit darin ausdrückte. Auch hat Arioſto ſtreng genommen nur
einen nationalen und leicht gemeinten Verſuch gemacht, wenn man ihn
mit der höheren Idee eines, wenn gleich modernen, Epos zuſammen-
hält, das, nicht mehr wie das Homeriſche durch ein Zeitalter, ein
Volk gedichtet, ſondern nothwendig durch einen Einzelnen, ſtets einen
andern Charakter haben wird und das Antike und die Objektivität auf
andere Art zu Stande bringen muß. Allein der Reiz eines hellen
Verſtandes und der unerſchöpflichen Fülle von Luſt und Laune löſcht
das Partikulare des Gedichtes wieder aus. Es iſt nichts Gehäuftes in
Arioſto, die edlen Züge ſind ſchön vertheilt und halten wie Säulen
das luftige Gebäude. Angelika iſt die ſchöne Helena, der Zwiſt der
Paladine um ſie der trojaniſche Krieg; Orlando tritt ebenſo ſelten auf
den Schauplatz wie Achilles; es fehlt auch an einem Paris nicht, der
ohne groß Verdienſt und Würdigkeit die Schöne davon trägt, die be-
kannte Meda nämlich. — Natürlich iſt dieſe Parallele nicht allzu ernſtlich
gemeint. Die ſchönſte Geſtalt des Dichters, durchaus romantiſch und
zart gedacht, iſt Bradamante, die Waffen anlegt und auf Abenteuer
ausgeht für den Geliebten; die Tapferkeit iſt in ihr das Wunderbare
und die Liebe das Natürliche und alſo auch das Liebenswerthe das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0347" n="671"/>
in einer <hi rendition="#g">getheilten</hi> Welt. Im Homer i&#x017F;t, wenn man will, <hi rendition="#g">alles</hi>,<lb/>
aber eben deßwegen nichts wunderbar. Allein Ario&#x017F;to hat wirklich vor-<lb/>
trefflich ver&#x017F;tanden, &#x017F;ein Wunderbares vermittel&#x017F;t &#x017F;einer Leichtigkeit, &#x017F;einer<lb/>
Ironie und des oft ganz unge&#x017F;chmückten Vortrags in ein Natürliches<lb/>
zu verwandeln. Er wird auch am &#x017F;chwer&#x017F;ten da zu erreichen &#x017F;eyn, wo<lb/>
er ganz trocken erzählt. Im Uebergang aber von &#x017F;olchen Partieen zu<lb/>
andern, über die er alle Anmuth und allen Schmuck &#x017F;einer reichen<lb/>
Phanta&#x017F;ie ergo&#x017F;&#x017F;en, malen &#x017F;ich die Contra&#x017F;te und Mi&#x017F;chungen des Stoffs,<lb/>
welche im romanti&#x017F;chen Gedicht nothwendig &#x017F;ind &#x2014; man kann im eigent-<lb/>
lich&#x017F;ten Sinn &#x017F;agen, &#x017F;ie <hi rendition="#g">malen</hi> &#x017F;ich, weil alles lebendige Farbe bei<lb/>
ihm i&#x017F;t, bewegliches, ra&#x017F;ches Gemälde, an dem die Umri&#x017F;&#x017F;e zuweilen<lb/>
ver&#x017F;chwinden, zuweilen nachdrücklich hervortreten, und das immer mehr<lb/>
als ein buntes Aggregat von Theilen eines Ganzen er&#x017F;cheint, als daß<lb/>
&#x017F;ich, auch innerhalb &#x017F;einer partiellen Sphäre genommen, eine gediegene<lb/>
Stetigkeit darin ausdrückte. Auch hat Ario&#x017F;to &#x017F;treng genommen nur<lb/>
einen nationalen und leicht gemeinten Ver&#x017F;uch gemacht, wenn man ihn<lb/>
mit der höheren Idee eines, wenn gleich modernen, Epos zu&#x017F;ammen-<lb/>
hält, das, nicht mehr wie das Homeri&#x017F;che durch ein Zeitalter, ein<lb/>
Volk gedichtet, &#x017F;ondern nothwendig durch einen Einzelnen, &#x017F;tets einen<lb/>
andern Charakter haben wird und das Antike und die Objektivität auf<lb/>
andere Art zu Stande bringen muß. Allein der Reiz eines hellen<lb/>
Ver&#x017F;tandes und der uner&#x017F;chöpflichen Fülle von Lu&#x017F;t und Laune lö&#x017F;cht<lb/>
das Partikulare des Gedichtes wieder aus. Es i&#x017F;t nichts Gehäuftes in<lb/>
Ario&#x017F;to, die edlen Züge &#x017F;ind &#x017F;chön vertheilt und halten wie Säulen<lb/>
das luftige Gebäude. Angelika i&#x017F;t die &#x017F;chöne Helena, der Zwi&#x017F;t der<lb/>
Paladine um &#x017F;ie der trojani&#x017F;che Krieg; Orlando tritt eben&#x017F;o &#x017F;elten auf<lb/>
den Schauplatz wie Achilles; es fehlt auch an einem Paris nicht, der<lb/>
ohne groß Verdien&#x017F;t und Würdigkeit die Schöne davon trägt, die be-<lb/>
kannte Meda nämlich. &#x2014; Natürlich i&#x017F;t die&#x017F;e Parallele nicht allzu ern&#x017F;tlich<lb/>
gemeint. Die &#x017F;chön&#x017F;te Ge&#x017F;talt des Dichters, durchaus romanti&#x017F;ch und<lb/>
zart gedacht, i&#x017F;t Bradamante, die Waffen anlegt und auf Abenteuer<lb/>
ausgeht für den Geliebten; die Tapferkeit i&#x017F;t in ihr das Wunderbare<lb/>
und die Liebe das Natürliche und al&#x017F;o auch das Liebenswerthe das<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[671/0347] in einer getheilten Welt. Im Homer iſt, wenn man will, alles, aber eben deßwegen nichts wunderbar. Allein Arioſto hat wirklich vor- trefflich verſtanden, ſein Wunderbares vermittelſt ſeiner Leichtigkeit, ſeiner Ironie und des oft ganz ungeſchmückten Vortrags in ein Natürliches zu verwandeln. Er wird auch am ſchwerſten da zu erreichen ſeyn, wo er ganz trocken erzählt. Im Uebergang aber von ſolchen Partieen zu andern, über die er alle Anmuth und allen Schmuck ſeiner reichen Phantaſie ergoſſen, malen ſich die Contraſte und Miſchungen des Stoffs, welche im romantiſchen Gedicht nothwendig ſind — man kann im eigent- lichſten Sinn ſagen, ſie malen ſich, weil alles lebendige Farbe bei ihm iſt, bewegliches, raſches Gemälde, an dem die Umriſſe zuweilen verſchwinden, zuweilen nachdrücklich hervortreten, und das immer mehr als ein buntes Aggregat von Theilen eines Ganzen erſcheint, als daß ſich, auch innerhalb ſeiner partiellen Sphäre genommen, eine gediegene Stetigkeit darin ausdrückte. Auch hat Arioſto ſtreng genommen nur einen nationalen und leicht gemeinten Verſuch gemacht, wenn man ihn mit der höheren Idee eines, wenn gleich modernen, Epos zuſammen- hält, das, nicht mehr wie das Homeriſche durch ein Zeitalter, ein Volk gedichtet, ſondern nothwendig durch einen Einzelnen, ſtets einen andern Charakter haben wird und das Antike und die Objektivität auf andere Art zu Stande bringen muß. Allein der Reiz eines hellen Verſtandes und der unerſchöpflichen Fülle von Luſt und Laune löſcht das Partikulare des Gedichtes wieder aus. Es iſt nichts Gehäuftes in Arioſto, die edlen Züge ſind ſchön vertheilt und halten wie Säulen das luftige Gebäude. Angelika iſt die ſchöne Helena, der Zwiſt der Paladine um ſie der trojaniſche Krieg; Orlando tritt ebenſo ſelten auf den Schauplatz wie Achilles; es fehlt auch an einem Paris nicht, der ohne groß Verdienſt und Würdigkeit die Schöne davon trägt, die be- kannte Meda nämlich. — Natürlich iſt dieſe Parallele nicht allzu ernſtlich gemeint. Die ſchönſte Geſtalt des Dichters, durchaus romantiſch und zart gedacht, iſt Bradamante, die Waffen anlegt und auf Abenteuer ausgeht für den Geliebten; die Tapferkeit iſt in ihr das Wunderbare und die Liebe das Natürliche und alſo auch das Liebenswerthe das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/347
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 671. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/347>, abgerufen am 25.11.2024.