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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Da der Gegensatz des Antiken und Romantischen, so viel es möglich
war, schon früher im Allgemeinen dargestellt wurde, und da die
modernen Formen immer mehr oder weniger Irrationales behalten, so
glaube ich in Ansehung des romantischen Epos am besten zu verfahren,
wenn ich es meist historisch betrachte, und dabei die Gegensätze so-
wohl als die Uebereinstimmungen, die es mit dem alten Epos hat,
heraushebe.

Ich knüpfe meine Betrachtung meinem Vorsatz gemäß, die Poesie
auch in den merkwürdigsten Individuen zu charakterisiren, gleich an den
Ariosto an, da zuvörderst kein Zweifel ist, daß er das ächteste moderne
Epos gedichtet hat. Seine Vorgänger, Bojardo vorzüglich u. a. sind
nicht zu rechnen, weil sie, wenn sie auch auf dem rechten Wege waren,
doch nicht das Vortreffliche darin erreichten, langweilig und überladen
geblieben sind. Tassos befreites Jerusalem nach Ariost ist durchaus
mehr die Erscheinung einer schönen nach Reinheit strebenden Seele als
eine objektive Dichtung, und nur das ganz Beschränkte darin, das
Keusche, das Katholische, ist das Gute. Die Henriade zu nennen,
würde kaum etwa ein Franzos begehren. Die Portugiesen haben ein
Gedicht, die Luisiade von Camoens, das ich nicht kenne.

Ariosto hat eine sehr bekannte mythologische Welt, in der er sich
bewegt. Der Hof Karls des Großen ist der Olymp des Jupiter der
Ritterzeit. Die Sagen von den zwölf Paladinen sind und waren nach
allen Seiten verbreitet und gehörten allen gebildeteren Nationen, den
Spaniern, Italienern, Franzosen, Deutschen, Engländern gemein-
schaftlich an. Das Wunderbare hatte sich vom Christenthum aus ver-
breitet und in der Berührung mit der Tapferkeit der späteren Zeit sich
zu einer romantischen Welt entzündet. Auf diesem glücklicheren Boden
nun konnte der Dichter nach Willkür schalten, neu erfinden, schmücken.
Alle Mittel standen ihm zu Gebot, er hatte Tapferkeit, Liebe, Zau-
berei, er hatte zu dem allem noch den Gegensatz des Morgen- und
Abendlandes und der verschiedenen Religionen.

Wie das Individuum oder Subjekt durchgehends mehr in der
modernen Welt hervortritt, mußte es auch im Epos geschehen, so daß

Da der Gegenſatz des Antiken und Romantiſchen, ſo viel es möglich
war, ſchon früher im Allgemeinen dargeſtellt wurde, und da die
modernen Formen immer mehr oder weniger Irrationales behalten, ſo
glaube ich in Anſehung des romantiſchen Epos am beſten zu verfahren,
wenn ich es meiſt hiſtoriſch betrachte, und dabei die Gegenſätze ſo-
wohl als die Uebereinſtimmungen, die es mit dem alten Epos hat,
heraushebe.

Ich knüpfe meine Betrachtung meinem Vorſatz gemäß, die Poeſie
auch in den merkwürdigſten Individuen zu charakteriſiren, gleich an den
Arioſto an, da zuvörderſt kein Zweifel iſt, daß er das ächteſte moderne
Epos gedichtet hat. Seine Vorgänger, Bojardo vorzüglich u. a. ſind
nicht zu rechnen, weil ſie, wenn ſie auch auf dem rechten Wege waren,
doch nicht das Vortreffliche darin erreichten, langweilig und überladen
geblieben ſind. Taſſos befreites Jeruſalem nach Arioſt iſt durchaus
mehr die Erſcheinung einer ſchönen nach Reinheit ſtrebenden Seele als
eine objektive Dichtung, und nur das ganz Beſchränkte darin, das
Keuſche, das Katholiſche, iſt das Gute. Die Henriade zu nennen,
würde kaum etwa ein Franzos begehren. Die Portugieſen haben ein
Gedicht, die Luiſiade von Camoens, das ich nicht kenne.

Arioſto hat eine ſehr bekannte mythologiſche Welt, in der er ſich
bewegt. Der Hof Karls des Großen iſt der Olymp des Jupiter der
Ritterzeit. Die Sagen von den zwölf Paladinen ſind und waren nach
allen Seiten verbreitet und gehörten allen gebildeteren Nationen, den
Spaniern, Italienern, Franzoſen, Deutſchen, Engländern gemein-
ſchaftlich an. Das Wunderbare hatte ſich vom Chriſtenthum aus ver-
breitet und in der Berührung mit der Tapferkeit der ſpäteren Zeit ſich
zu einer romantiſchen Welt entzündet. Auf dieſem glücklicheren Boden
nun konnte der Dichter nach Willkür ſchalten, neu erfinden, ſchmücken.
Alle Mittel ſtanden ihm zu Gebot, er hatte Tapferkeit, Liebe, Zau-
berei, er hatte zu dem allem noch den Gegenſatz des Morgen- und
Abendlandes und der verſchiedenen Religionen.

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modernen Welt hervortritt, mußte es auch im Epos geſchehen, ſo daß

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[669/0345] Da der Gegenſatz des Antiken und Romantiſchen, ſo viel es möglich war, ſchon früher im Allgemeinen dargeſtellt wurde, und da die modernen Formen immer mehr oder weniger Irrationales behalten, ſo glaube ich in Anſehung des romantiſchen Epos am beſten zu verfahren, wenn ich es meiſt hiſtoriſch betrachte, und dabei die Gegenſätze ſo- wohl als die Uebereinſtimmungen, die es mit dem alten Epos hat, heraushebe. Ich knüpfe meine Betrachtung meinem Vorſatz gemäß, die Poeſie auch in den merkwürdigſten Individuen zu charakteriſiren, gleich an den Arioſto an, da zuvörderſt kein Zweifel iſt, daß er das ächteſte moderne Epos gedichtet hat. Seine Vorgänger, Bojardo vorzüglich u. a. ſind nicht zu rechnen, weil ſie, wenn ſie auch auf dem rechten Wege waren, doch nicht das Vortreffliche darin erreichten, langweilig und überladen geblieben ſind. Taſſos befreites Jeruſalem nach Arioſt iſt durchaus mehr die Erſcheinung einer ſchönen nach Reinheit ſtrebenden Seele als eine objektive Dichtung, und nur das ganz Beſchränkte darin, das Keuſche, das Katholiſche, iſt das Gute. Die Henriade zu nennen, würde kaum etwa ein Franzos begehren. Die Portugieſen haben ein Gedicht, die Luiſiade von Camoens, das ich nicht kenne. Arioſto hat eine ſehr bekannte mythologiſche Welt, in der er ſich bewegt. Der Hof Karls des Großen iſt der Olymp des Jupiter der Ritterzeit. Die Sagen von den zwölf Paladinen ſind und waren nach allen Seiten verbreitet und gehörten allen gebildeteren Nationen, den Spaniern, Italienern, Franzoſen, Deutſchen, Engländern gemein- ſchaftlich an. Das Wunderbare hatte ſich vom Chriſtenthum aus ver- breitet und in der Berührung mit der Tapferkeit der ſpäteren Zeit ſich zu einer romantiſchen Welt entzündet. Auf dieſem glücklicheren Boden nun konnte der Dichter nach Willkür ſchalten, neu erfinden, ſchmücken. Alle Mittel ſtanden ihm zu Gebot, er hatte Tapferkeit, Liebe, Zau- berei, er hatte zu dem allem noch den Gegenſatz des Morgen- und Abendlandes und der verſchiedenen Religionen. Wie das Individuum oder Subjekt durchgehends mehr in der modernen Welt hervortritt, mußte es auch im Epos geſchehen, ſo daß

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 669. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/345>, abgerufen am 25.11.2024.