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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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plastischen Formen, obgleich in sehr eingeschränkter Gültigkeit, zurück-
kehren. -- Hierauf beziehen sich die folgenden Sätze.

§. 132. Der architektonische Theil der Plastik, soweit
er in ihr auf eine untergeordnete Art stattfindet, ist die
Draperie oder Bekleidung
.

Architektonisch ist die Draperie, weil sie mehr oder weniger nur eine
Allegorie oder Andeutung (Echo) der Formen der organischen Gestalt ist.
Diese Andeutung beruht fürnehmlich auf dem Gegensatz der Falten und
des Flachen, Faltenlosen. Ein erhobenes Glied, von dem ein freies
Gewand auf beiden Seiten herabfällt, ist in der Natur nie ohne Falten,
und diese fallen dahin, wo eine Hohlung ist. -- An Werken des alten
Styls gehen die Falten meist gerade. In dem schönsten und vollen-
detsten Style der Kunst gingen sie mehr in gezogenen Bogen, und der
Mannichfaltigkeit halber wurden sie gebrochen, aber so, daß sie wie
Zweige von einem gemeinschaftlichen Stamm und mit einem sehr sanften
Schwung ausgingen. In der That kann es keine herrlichere und schö-
nere Architektonik geben als die der vollendetsten Draperie in den
griechischen Werken. Die Kunst, das Nackte darzustellen, potenzirt sich
hier gleichsam selbst, indem sie die organische Form auch durch ein
fremdartiges Medium hindurch erkennen läßt; und je weniger unmit-
telbar, je mehr mittelbar sie hier darstellt, desto schöner wird dieser
Theil der Kunst. Indeß bleibt die Draperie doch immer dem Nackten
untergeordnet, welches die wahre und erste Liebe der Kunst ist. Die
Kunst verschmäht die Verhüllung, insofern sie bloß Mittel und nicht
etwa selbst wieder zur Allegorie der Schönheit gemacht wird, da sie
durchaus für den höchsten Sinn gebildet ist, und den niedrigen, auch
wo sie unverhüllt ist, verschmäht. Wie kein Volk einen höheren Sinn
für Schönheit hatte, als die Griechen, so war auch keines, welches von
jener falschen und unkeuschen Scham, die sich Decenz nennt, entfernter.
Die Draperie in Kunstwerken konnte darum keinen außer der Kunst
liegenden Zweck haben, und selbst nur um der Schönheit willen, nicht
in sogenannter sittlicher Absicht, ausgebildet werden; daher auch die
griechische Kleidung einzig schön genannt werden kann.

plaſtiſchen Formen, obgleich in ſehr eingeſchränkter Gültigkeit, zurück-
kehren. — Hierauf beziehen ſich die folgenden Sätze.

§. 132. Der architektoniſche Theil der Plaſtik, ſoweit
er in ihr auf eine untergeordnete Art ſtattfindet, iſt die
Draperie oder Bekleidung
.

Architektoniſch iſt die Draperie, weil ſie mehr oder weniger nur eine
Allegorie oder Andeutung (Echo) der Formen der organiſchen Geſtalt iſt.
Dieſe Andeutung beruht fürnehmlich auf dem Gegenſatz der Falten und
des Flachen, Faltenloſen. Ein erhobenes Glied, von dem ein freies
Gewand auf beiden Seiten herabfällt, iſt in der Natur nie ohne Falten,
und dieſe fallen dahin, wo eine Hohlung iſt. — An Werken des alten
Styls gehen die Falten meiſt gerade. In dem ſchönſten und vollen-
detſten Style der Kunſt gingen ſie mehr in gezogenen Bogen, und der
Mannichfaltigkeit halber wurden ſie gebrochen, aber ſo, daß ſie wie
Zweige von einem gemeinſchaftlichen Stamm und mit einem ſehr ſanften
Schwung ausgingen. In der That kann es keine herrlichere und ſchö-
nere Architektonik geben als die der vollendetſten Draperie in den
griechiſchen Werken. Die Kunſt, das Nackte darzuſtellen, potenzirt ſich
hier gleichſam ſelbſt, indem ſie die organiſche Form auch durch ein
fremdartiges Medium hindurch erkennen läßt; und je weniger unmit-
telbar, je mehr mittelbar ſie hier darſtellt, deſto ſchöner wird dieſer
Theil der Kunſt. Indeß bleibt die Draperie doch immer dem Nackten
untergeordnet, welches die wahre und erſte Liebe der Kunſt iſt. Die
Kunſt verſchmäht die Verhüllung, inſofern ſie bloß Mittel und nicht
etwa ſelbſt wieder zur Allegorie der Schönheit gemacht wird, da ſie
durchaus für den höchſten Sinn gebildet iſt, und den niedrigen, auch
wo ſie unverhüllt iſt, verſchmäht. Wie kein Volk einen höheren Sinn
für Schönheit hatte, als die Griechen, ſo war auch keines, welches von
jener falſchen und unkeuſchen Scham, die ſich Decenz nennt, entfernter.
Die Draperie in Kunſtwerken konnte darum keinen außer der Kunſt
liegenden Zweck haben, und ſelbſt nur um der Schönheit willen, nicht
in ſogenannter ſittlicher Abſicht, ausgebildet werden; daher auch die
griechiſche Kleidung einzig ſchön genannt werden kann.

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[626/0302] plaſtiſchen Formen, obgleich in ſehr eingeſchränkter Gültigkeit, zurück- kehren. — Hierauf beziehen ſich die folgenden Sätze. §. 132. Der architektoniſche Theil der Plaſtik, ſoweit er in ihr auf eine untergeordnete Art ſtattfindet, iſt die Draperie oder Bekleidung. Architektoniſch iſt die Draperie, weil ſie mehr oder weniger nur eine Allegorie oder Andeutung (Echo) der Formen der organiſchen Geſtalt iſt. Dieſe Andeutung beruht fürnehmlich auf dem Gegenſatz der Falten und des Flachen, Faltenloſen. Ein erhobenes Glied, von dem ein freies Gewand auf beiden Seiten herabfällt, iſt in der Natur nie ohne Falten, und dieſe fallen dahin, wo eine Hohlung iſt. — An Werken des alten Styls gehen die Falten meiſt gerade. In dem ſchönſten und vollen- detſten Style der Kunſt gingen ſie mehr in gezogenen Bogen, und der Mannichfaltigkeit halber wurden ſie gebrochen, aber ſo, daß ſie wie Zweige von einem gemeinſchaftlichen Stamm und mit einem ſehr ſanften Schwung ausgingen. In der That kann es keine herrlichere und ſchö- nere Architektonik geben als die der vollendetſten Draperie in den griechiſchen Werken. Die Kunſt, das Nackte darzuſtellen, potenzirt ſich hier gleichſam ſelbſt, indem ſie die organiſche Form auch durch ein fremdartiges Medium hindurch erkennen läßt; und je weniger unmit- telbar, je mehr mittelbar ſie hier darſtellt, deſto ſchöner wird dieſer Theil der Kunſt. Indeß bleibt die Draperie doch immer dem Nackten untergeordnet, welches die wahre und erſte Liebe der Kunſt iſt. Die Kunſt verſchmäht die Verhüllung, inſofern ſie bloß Mittel und nicht etwa ſelbſt wieder zur Allegorie der Schönheit gemacht wird, da ſie durchaus für den höchſten Sinn gebildet iſt, und den niedrigen, auch wo ſie unverhüllt iſt, verſchmäht. Wie kein Volk einen höheren Sinn für Schönheit hatte, als die Griechen, ſo war auch keines, welches von jener falſchen und unkeuſchen Scham, die ſich Decenz nennt, entfernter. Die Draperie in Kunſtwerken konnte darum keinen außer der Kunſt liegenden Zweck haben, und ſelbſt nur um der Schönheit willen, nicht in ſogenannter ſittlicher Abſicht, ausgebildet werden; daher auch die griechiſche Kleidung einzig ſchön genannt werden kann.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 626. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/302>, abgerufen am 22.11.2024.