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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Von den vornehmsten Beispielen des gemäßigten Ausdrucks in
Darstellung menschlichen Handelns und Leidens, dem Laokoon und der
Niobe, ist schon bei der Malerei die Rede gewesen. Aber über die
Niobe will ich noch bemerken, daß sie schon dem Gegenstand nach
zu den höchsten Werken gehört. Die Plastik stellt sich in ihr gleichsam
selbst dar, und sie ist das Urbild der Plastik, vielleicht eben so, wie
Prometheus das der Tragödie. Alles Leben beruht auf der Verbindung
eines an sich Unendlichen mit einem Endlichen, und das Leben als
solches erscheint nur in der Entgegensetzung dieser beiden. Wo ihre
höchste oder absolute Einheit ist, ist, relativ betrachtet, der Tod, aber
eben deßwegen wieder das höchste Leben. Da es nun überhaupt Werk
der plastischen Kunst ist, jene höchste Einheit darzustellen, so erscheint
das absolute Leben, von dem sie die Abbilder zeigt, an und für sich
schon, und verglichen mit der Erscheinung, als Tod. Aber in der
Niobe hat die Kunst dieses Geheimniß selbst ausgesprochen, dadurch, daß
sie die höchste Schönheit in dem Tode darstellt, und die nur der göttlichen
Natur eigne, der sterblichen aber unerreichbare Ruhe -- diese im
Tod gewinnen läßt, gleichsam um anzudeuten, daß der Uebergang zum
höchsten Leben der Schönheit in der Beziehung auf das Sterbliche als Tod
erscheinen müsse. Die Kunst ist also hier auf gedoppelte Weise sym-
bolisch; sie wird nämlich wieder zur Auslegerin von ihr selbst, so daß,
was alle Kunst wolle, hier in der Niobe ausgesprochen vor Augen liegt.

Anmerkung, das Verhältniß zur Malerei betreffend.
-- Die Malerei ist rein ideale Kunstform. Das Wesen des Idealen
= Thätigkeit. Daher ist in der Malerei mehr Thätigkeit und mehr
Ausdruck der Leidenschaft erlaubt. Nur findet die Eine Beschränkung
statt, daß die sinnliche Schönheit, Anmuth und Grazie nicht aufge-
hoben werde. Jene letzte Schönheit, die Erhabenheit ist, und die
ursprünglich als totale Indifferenz von Unendlichem und Endlichen nur
in Gott wohnt, ist nur der Plastik möglich darzustellen.

Noch einige Bestimmungen der plastischen Kunst.

Zu erwarten ist, wegen der unendlichen Wiederholung von allem
in allem, daß auch in der Plastik kat exokhen wieder die anderen

Schelling, sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 40

Von den vornehmſten Beiſpielen des gemäßigten Ausdrucks in
Darſtellung menſchlichen Handelns und Leidens, dem Laokoon und der
Niobe, iſt ſchon bei der Malerei die Rede geweſen. Aber über die
Niobe will ich noch bemerken, daß ſie ſchon dem Gegenſtand nach
zu den höchſten Werken gehört. Die Plaſtik ſtellt ſich in ihr gleichſam
ſelbſt dar, und ſie iſt das Urbild der Plaſtik, vielleicht eben ſo, wie
Prometheus das der Tragödie. Alles Leben beruht auf der Verbindung
eines an ſich Unendlichen mit einem Endlichen, und das Leben als
ſolches erſcheint nur in der Entgegenſetzung dieſer beiden. Wo ihre
höchſte oder abſolute Einheit iſt, iſt, relativ betrachtet, der Tod, aber
eben deßwegen wieder das höchſte Leben. Da es nun überhaupt Werk
der plaſtiſchen Kunſt iſt, jene höchſte Einheit darzuſtellen, ſo erſcheint
das abſolute Leben, von dem ſie die Abbilder zeigt, an und für ſich
ſchon, und verglichen mit der Erſcheinung, als Tod. Aber in der
Niobe hat die Kunſt dieſes Geheimniß ſelbſt ausgeſprochen, dadurch, daß
ſie die höchſte Schönheit in dem Tode darſtellt, und die nur der göttlichen
Natur eigne, der ſterblichen aber unerreichbare Ruhe — dieſe im
Tod gewinnen läßt, gleichſam um anzudeuten, daß der Uebergang zum
höchſten Leben der Schönheit in der Beziehung auf das Sterbliche als Tod
erſcheinen müſſe. Die Kunſt iſt alſo hier auf gedoppelte Weiſe ſym-
boliſch; ſie wird nämlich wieder zur Auslegerin von ihr ſelbſt, ſo daß,
was alle Kunſt wolle, hier in der Niobe ausgeſprochen vor Augen liegt.

Anmerkung, das Verhältniß zur Malerei betreffend.
— Die Malerei iſt rein ideale Kunſtform. Das Weſen des Idealen
= Thätigkeit. Daher iſt in der Malerei mehr Thätigkeit und mehr
Ausdruck der Leidenſchaft erlaubt. Nur findet die Eine Beſchränkung
ſtatt, daß die ſinnliche Schönheit, Anmuth und Grazie nicht aufge-
hoben werde. Jene letzte Schönheit, die Erhabenheit iſt, und die
urſprünglich als totale Indifferenz von Unendlichem und Endlichen nur
in Gott wohnt, iſt nur der Plaſtik möglich darzuſtellen.

Noch einige Beſtimmungen der plaſtiſchen Kunſt.

Zu erwarten iſt, wegen der unendlichen Wiederholung von allem
in allem, daß auch in der Plaſtik κατ̕ ἐξοχήν wieder die anderen

Schelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth. V. 40
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[625/0301] Von den vornehmſten Beiſpielen des gemäßigten Ausdrucks in Darſtellung menſchlichen Handelns und Leidens, dem Laokoon und der Niobe, iſt ſchon bei der Malerei die Rede geweſen. Aber über die Niobe will ich noch bemerken, daß ſie ſchon dem Gegenſtand nach zu den höchſten Werken gehört. Die Plaſtik ſtellt ſich in ihr gleichſam ſelbſt dar, und ſie iſt das Urbild der Plaſtik, vielleicht eben ſo, wie Prometheus das der Tragödie. Alles Leben beruht auf der Verbindung eines an ſich Unendlichen mit einem Endlichen, und das Leben als ſolches erſcheint nur in der Entgegenſetzung dieſer beiden. Wo ihre höchſte oder abſolute Einheit iſt, iſt, relativ betrachtet, der Tod, aber eben deßwegen wieder das höchſte Leben. Da es nun überhaupt Werk der plaſtiſchen Kunſt iſt, jene höchſte Einheit darzuſtellen, ſo erſcheint das abſolute Leben, von dem ſie die Abbilder zeigt, an und für ſich ſchon, und verglichen mit der Erſcheinung, als Tod. Aber in der Niobe hat die Kunſt dieſes Geheimniß ſelbſt ausgeſprochen, dadurch, daß ſie die höchſte Schönheit in dem Tode darſtellt, und die nur der göttlichen Natur eigne, der ſterblichen aber unerreichbare Ruhe — dieſe im Tod gewinnen läßt, gleichſam um anzudeuten, daß der Uebergang zum höchſten Leben der Schönheit in der Beziehung auf das Sterbliche als Tod erſcheinen müſſe. Die Kunſt iſt alſo hier auf gedoppelte Weiſe ſym- boliſch; ſie wird nämlich wieder zur Auslegerin von ihr ſelbſt, ſo daß, was alle Kunſt wolle, hier in der Niobe ausgeſprochen vor Augen liegt. Anmerkung, das Verhältniß zur Malerei betreffend. — Die Malerei iſt rein ideale Kunſtform. Das Weſen des Idealen = Thätigkeit. Daher iſt in der Malerei mehr Thätigkeit und mehr Ausdruck der Leidenſchaft erlaubt. Nur findet die Eine Beſchränkung ſtatt, daß die ſinnliche Schönheit, Anmuth und Grazie nicht aufge- hoben werde. Jene letzte Schönheit, die Erhabenheit iſt, und die urſprünglich als totale Indifferenz von Unendlichem und Endlichen nur in Gott wohnt, iſt nur der Plaſtik möglich darzuſtellen. Noch einige Beſtimmungen der plaſtiſchen Kunſt. Zu erwarten iſt, wegen der unendlichen Wiederholung von allem in allem, daß auch in der Plaſtik κατ̕ ἐξοχήν wieder die anderen Schelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth. V. 40

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 625. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/301>, abgerufen am 22.11.2024.