Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

strebt, so auch die Architektur. Auch die Säule also wird in sich auf
eine bedeutende Weise geschlossen. Nach unten erhält sie einen Fuß,
das architektonische Gebild wird dadurch ganz aus der Cohärenz mit der
Erde gerissen, es steht frei auf ihr wie das Thier, denn wäre die
Säule nach unten nicht auf bedeutende Weise geschlossen, so könnte sie,
als in die Erde versenkt oder ihre Wurzeln darein senkend erscheinen,
das Ganze würde zur Pflanzennatur zurücksinken. Nach oben wird die
Säule durch den Kopf auf verschiedene Weise geschlossen, durch das
einfache Capitäl der dorischen Ordnung, durch die Schneckenwindungen
der jonischen, wo gleichsam als auf der Grenze das höhere Vorspiel
des Thierischen beginnt, und in der concentrischen Blätterstellung der
korinthischen.

Dasselbe findet sich nun wieder im Ganzen, welches nach unten
durch die Säulen als die Füße geschlossen wird. Der mittlere Theil
des Gebäudes bedeutet den mittleren Theil des Leibes, wo äußerlich
die größte Symmetrie herrschen muß, und wo, wie im thierischen Leib,
erst das wahrhaft Innere, welches wieder selbständige Ganze für sich
bildet, beginnt (und schon bemerkt, daß nach innen auch hier unbe-
schadet der Schönheit mehr auf das Bedürfniß als auf die Symmetrie
gesehen werden kann). Je näher dem Gipfel, desto bedeutender werden
alle Formen. Das Fronton bedeutet schon dem Namen nach die Stirne
des Gebäudes. Dieß ist der Ort der vorzüglichsten Verzierungen durch
Basreliefs, wo die Stirn gleichsam als Sitz der Gedanken äußerlich
angedeutet wird. Nach innen schließt sich das Ganze durch das Gebälk,
welches seiner inneren Construktion nach eine concentrische Stellung hat
und ein sich selbst tragendes und haltendes Ganzes ist. Das Dach,
wo es stattfindet, kann als die äußerliche, organisch indifferente Bedeckung
betrachtet werden. Der vollkommenste und bedeutendste Beschluß des
Ganzen aber ist ein vollkommen gewölbtes Dach, d. h. die Kuppel. Hier
ist die concentrische Stellung am vollkommensten, und indem hier sich
die einzelnen Theile wechselseitig tragen und unterstützen, entsteht die
vollkommenste Totalität, ein Bild des allgemeinen, alles tragenden Or-
ganismus und der himmlischen Umwölbung.

ſtrebt, ſo auch die Architektur. Auch die Säule alſo wird in ſich auf
eine bedeutende Weiſe geſchloſſen. Nach unten erhält ſie einen Fuß,
das architektoniſche Gebild wird dadurch ganz aus der Cohärenz mit der
Erde geriſſen, es ſteht frei auf ihr wie das Thier, denn wäre die
Säule nach unten nicht auf bedeutende Weiſe geſchloſſen, ſo könnte ſie,
als in die Erde verſenkt oder ihre Wurzeln darein ſenkend erſcheinen,
das Ganze würde zur Pflanzennatur zurückſinken. Nach oben wird die
Säule durch den Kopf auf verſchiedene Weiſe geſchloſſen, durch das
einfache Capitäl der doriſchen Ordnung, durch die Schneckenwindungen
der joniſchen, wo gleichſam als auf der Grenze das höhere Vorſpiel
des Thieriſchen beginnt, und in der concentriſchen Blätterſtellung der
korinthiſchen.

Daſſelbe findet ſich nun wieder im Ganzen, welches nach unten
durch die Säulen als die Füße geſchloſſen wird. Der mittlere Theil
des Gebäudes bedeutet den mittleren Theil des Leibes, wo äußerlich
die größte Symmetrie herrſchen muß, und wo, wie im thieriſchen Leib,
erſt das wahrhaft Innere, welches wieder ſelbſtändige Ganze für ſich
bildet, beginnt (und ſchon bemerkt, daß nach innen auch hier unbe-
ſchadet der Schönheit mehr auf das Bedürfniß als auf die Symmetrie
geſehen werden kann). Je näher dem Gipfel, deſto bedeutender werden
alle Formen. Das Fronton bedeutet ſchon dem Namen nach die Stirne
des Gebäudes. Dieß iſt der Ort der vorzüglichſten Verzierungen durch
Basreliefs, wo die Stirn gleichſam als Sitz der Gedanken äußerlich
angedeutet wird. Nach innen ſchließt ſich das Ganze durch das Gebälk,
welches ſeiner inneren Conſtruktion nach eine concentriſche Stellung hat
und ein ſich ſelbſt tragendes und haltendes Ganzes iſt. Das Dach,
wo es ſtattfindet, kann als die äußerliche, organiſch indifferente Bedeckung
betrachtet werden. Der vollkommenſte und bedeutendſte Beſchluß des
Ganzen aber iſt ein vollkommen gewölbtes Dach, d. h. die Kuppel. Hier
iſt die concentriſche Stellung am vollkommenſten, und indem hier ſich
die einzelnen Theile wechſelſeitig tragen und unterſtützen, entſteht die
vollkommenſte Totalität, ein Bild des allgemeinen, alles tragenden Or-
ganismus und der himmliſchen Umwölbung.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0265" n="589"/>
&#x017F;trebt, &#x017F;o auch die Architektur. Auch die Säule al&#x017F;o wird in &#x017F;ich auf<lb/>
eine bedeutende Wei&#x017F;e ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Nach unten erhält &#x017F;ie einen Fuß,<lb/>
das architektoni&#x017F;che Gebild wird dadurch ganz aus der Cohärenz mit der<lb/>
Erde geri&#x017F;&#x017F;en, es &#x017F;teht frei auf ihr wie das Thier, denn wäre die<lb/>
Säule nach unten nicht auf bedeutende Wei&#x017F;e ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o könnte &#x017F;ie,<lb/>
als in die Erde ver&#x017F;enkt oder ihre Wurzeln darein &#x017F;enkend er&#x017F;cheinen,<lb/>
das Ganze würde zur Pflanzennatur zurück&#x017F;inken. Nach oben wird die<lb/>
Säule durch den Kopf auf ver&#x017F;chiedene Wei&#x017F;e ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, durch das<lb/>
einfache Capitäl der dori&#x017F;chen Ordnung, durch die Schneckenwindungen<lb/>
der joni&#x017F;chen, wo gleich&#x017F;am als auf der Grenze das höhere Vor&#x017F;piel<lb/>
des Thieri&#x017F;chen beginnt, und in der concentri&#x017F;chen Blätter&#x017F;tellung der<lb/>
korinthi&#x017F;chen.</p><lb/>
            <p>Da&#x017F;&#x017F;elbe findet &#x017F;ich nun wieder im Ganzen, welches nach unten<lb/>
durch die Säulen als die Füße ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en wird. Der mittlere Theil<lb/>
des Gebäudes bedeutet den mittleren Theil des Leibes, wo äußerlich<lb/>
die größte Symmetrie herr&#x017F;chen muß, und wo, wie im thieri&#x017F;chen Leib,<lb/>
er&#x017F;t das wahrhaft Innere, welches wieder &#x017F;elb&#x017F;tändige Ganze für &#x017F;ich<lb/>
bildet, beginnt (und &#x017F;chon bemerkt, daß nach innen auch hier unbe-<lb/>
&#x017F;chadet der Schönheit mehr auf das Bedürfniß als auf die Symmetrie<lb/>
ge&#x017F;ehen werden kann). Je näher dem Gipfel, de&#x017F;to bedeutender werden<lb/>
alle Formen. Das Fronton bedeutet &#x017F;chon dem Namen nach die Stirne<lb/>
des Gebäudes. Dieß i&#x017F;t der Ort der vorzüglich&#x017F;ten Verzierungen durch<lb/>
Basreliefs, wo die Stirn gleich&#x017F;am als Sitz der Gedanken äußerlich<lb/>
angedeutet wird. Nach innen &#x017F;chließt &#x017F;ich das Ganze durch das Gebälk,<lb/>
welches &#x017F;einer inneren Con&#x017F;truktion nach eine concentri&#x017F;che Stellung hat<lb/>
und ein &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t tragendes und haltendes Ganzes i&#x017F;t. Das Dach,<lb/>
wo es &#x017F;tattfindet, kann als die äußerliche, organi&#x017F;ch indifferente Bedeckung<lb/>
betrachtet werden. Der vollkommen&#x017F;te und bedeutend&#x017F;te Be&#x017F;chluß des<lb/>
Ganzen aber i&#x017F;t ein vollkommen gewölbtes Dach, d. h. die Kuppel. Hier<lb/>
i&#x017F;t die concentri&#x017F;che Stellung am vollkommen&#x017F;ten, und indem hier &#x017F;ich<lb/>
die einzelnen Theile wech&#x017F;el&#x017F;eitig tragen und unter&#x017F;tützen, ent&#x017F;teht die<lb/>
vollkommen&#x017F;te Totalität, ein Bild des allgemeinen, alles tragenden Or-<lb/>
ganismus und der himmli&#x017F;chen Umwölbung.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[589/0265] ſtrebt, ſo auch die Architektur. Auch die Säule alſo wird in ſich auf eine bedeutende Weiſe geſchloſſen. Nach unten erhält ſie einen Fuß, das architektoniſche Gebild wird dadurch ganz aus der Cohärenz mit der Erde geriſſen, es ſteht frei auf ihr wie das Thier, denn wäre die Säule nach unten nicht auf bedeutende Weiſe geſchloſſen, ſo könnte ſie, als in die Erde verſenkt oder ihre Wurzeln darein ſenkend erſcheinen, das Ganze würde zur Pflanzennatur zurückſinken. Nach oben wird die Säule durch den Kopf auf verſchiedene Weiſe geſchloſſen, durch das einfache Capitäl der doriſchen Ordnung, durch die Schneckenwindungen der joniſchen, wo gleichſam als auf der Grenze das höhere Vorſpiel des Thieriſchen beginnt, und in der concentriſchen Blätterſtellung der korinthiſchen. Daſſelbe findet ſich nun wieder im Ganzen, welches nach unten durch die Säulen als die Füße geſchloſſen wird. Der mittlere Theil des Gebäudes bedeutet den mittleren Theil des Leibes, wo äußerlich die größte Symmetrie herrſchen muß, und wo, wie im thieriſchen Leib, erſt das wahrhaft Innere, welches wieder ſelbſtändige Ganze für ſich bildet, beginnt (und ſchon bemerkt, daß nach innen auch hier unbe- ſchadet der Schönheit mehr auf das Bedürfniß als auf die Symmetrie geſehen werden kann). Je näher dem Gipfel, deſto bedeutender werden alle Formen. Das Fronton bedeutet ſchon dem Namen nach die Stirne des Gebäudes. Dieß iſt der Ort der vorzüglichſten Verzierungen durch Basreliefs, wo die Stirn gleichſam als Sitz der Gedanken äußerlich angedeutet wird. Nach innen ſchließt ſich das Ganze durch das Gebälk, welches ſeiner inneren Conſtruktion nach eine concentriſche Stellung hat und ein ſich ſelbſt tragendes und haltendes Ganzes iſt. Das Dach, wo es ſtattfindet, kann als die äußerliche, organiſch indifferente Bedeckung betrachtet werden. Der vollkommenſte und bedeutendſte Beſchluß des Ganzen aber iſt ein vollkommen gewölbtes Dach, d. h. die Kuppel. Hier iſt die concentriſche Stellung am vollkommenſten, und indem hier ſich die einzelnen Theile wechſelſeitig tragen und unterſtützen, entſteht die vollkommenſte Totalität, ein Bild des allgemeinen, alles tragenden Or- ganismus und der himmliſchen Umwölbung.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/265
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/265>, abgerufen am 22.11.2024.