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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Maler zu empfehlen, welche frühere Momente der Geschichte im Hin-
tergrund darstellen und den Helden derselben auf einem und demselben
Bilde mehrmals vorkommen lassen. Ein anderer Fall noch wäre, wenn
eine darzustellende Begebenheit auf mehrere weiter entfernte Begeben-
heiten nothwendig zurückwiese, und sie zu ihrem Verständniß forderte.
Ich glaube auch hieran zweifeln zu müssen, obgleich, wenn diese For-
derung wirklich existiren könnte, man allerdings sich auf den Vorschlag
zurückziehen müßte der in den Propyläen geschieht, nämlich den eines
Cyklus historischer Darstellungen, einer Reihe von Bildern, die ver-
schiedene Momente einer zusammenhängenden Geschichte fixiren. Man
muß dieß freilich nicht, wie einige gethan haben, zu streng nehmen und
die wirkliche absolute Stetigkeit fordern, wozu eine unendliche Reihe
von Bildern nicht hinreichen würde.

Das Princip, aus welchem diese ganze Untersuchung über Ver-
ständlichkeit historischer Gemälde zu entscheiden ist, ist ohne allen
Zweifel
dieses: die historische Kenntniß der Begebenheit, welche dar-
gestellt wird, nach allen ihren gegenwärtigen und vergangenen Be-
dingungen trägt zum Genusse des Kunstwerks bei, allein diese Art des
Genusses selbst liegt außer dem Kreis der Beabsichtigung des Künstlers.
Sein Werk muß den Reiz nicht erst von diesem fremdartigen Interesse
entlehnen. Viele Bildungen auf alten Kunstwerken sind unverständlich
gewesen, man hat sie nachher durch gelehrten Fleiß entziffert; viele sind
es noch und sie verlieren dadurch nichts an der wahrhaft künstlerischen
Schönheit.

Es ist gleich unrichtig, zu fordern, daß im Gemälde selbst alle
Anleitung zum empirisch-historischen Verständnisse desselben gegeben sey,
und der Maler für uns gleichsam ein Lehrer der Geschichte werde, und
hinwiederum das Gemälde zwar davon freizusprechen, dagegen von dem
Beschauer die gelehrte Kenntniß zu fordern. Das letztere ist darum
fehlerhaft, a) weil man nicht weiß, wo man mit dieser Gelehrsamkeit an-
fangen, und wo man enden soll, b) weil man die empirisch historische Ver-
ständlichkeit dabei als etwas Wesentliches gelten läßt, und ihre Bedingung
doch in etwas Zufälliges, nämlich die Kenntniß des Betrachters legt.

Maler zu empfehlen, welche frühere Momente der Geſchichte im Hin-
tergrund darſtellen und den Helden derſelben auf einem und demſelben
Bilde mehrmals vorkommen laſſen. Ein anderer Fall noch wäre, wenn
eine darzuſtellende Begebenheit auf mehrere weiter entfernte Begeben-
heiten nothwendig zurückwieſe, und ſie zu ihrem Verſtändniß forderte.
Ich glaube auch hieran zweifeln zu müſſen, obgleich, wenn dieſe For-
derung wirklich exiſtiren könnte, man allerdings ſich auf den Vorſchlag
zurückziehen müßte der in den Propyläen geſchieht, nämlich den eines
Cyklus hiſtoriſcher Darſtellungen, einer Reihe von Bildern, die ver-
ſchiedene Momente einer zuſammenhängenden Geſchichte fixiren. Man
muß dieß freilich nicht, wie einige gethan haben, zu ſtreng nehmen und
die wirkliche abſolute Stetigkeit fordern, wozu eine unendliche Reihe
von Bildern nicht hinreichen würde.

Das Princip, aus welchem dieſe ganze Unterſuchung über Ver-
ſtändlichkeit hiſtoriſcher Gemälde zu entſcheiden iſt, iſt ohne allen
Zweifel
dieſes: die hiſtoriſche Kenntniß der Begebenheit, welche dar-
geſtellt wird, nach allen ihren gegenwärtigen und vergangenen Be-
dingungen trägt zum Genuſſe des Kunſtwerks bei, allein dieſe Art des
Genuſſes ſelbſt liegt außer dem Kreis der Beabſichtigung des Künſtlers.
Sein Werk muß den Reiz nicht erſt von dieſem fremdartigen Intereſſe
entlehnen. Viele Bildungen auf alten Kunſtwerken ſind unverſtändlich
geweſen, man hat ſie nachher durch gelehrten Fleiß entziffert; viele ſind
es noch und ſie verlieren dadurch nichts an der wahrhaft künſtleriſchen
Schönheit.

Es iſt gleich unrichtig, zu fordern, daß im Gemälde ſelbſt alle
Anleitung zum empiriſch-hiſtoriſchen Verſtändniſſe deſſelben gegeben ſey,
und der Maler für uns gleichſam ein Lehrer der Geſchichte werde, und
hinwiederum das Gemälde zwar davon freizuſprechen, dagegen von dem
Beſchauer die gelehrte Kenntniß zu fordern. Das letztere iſt darum
fehlerhaft, a) weil man nicht weiß, wo man mit dieſer Gelehrſamkeit an-
fangen, und wo man enden ſoll, b) weil man die empiriſch hiſtoriſche Ver-
ſtändlichkeit dabei als etwas Weſentliches gelten läßt, und ihre Bedingung
doch in etwas Zufälliges, nämlich die Kenntniß des Betrachters legt.

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[563/0239] Maler zu empfehlen, welche frühere Momente der Geſchichte im Hin- tergrund darſtellen und den Helden derſelben auf einem und demſelben Bilde mehrmals vorkommen laſſen. Ein anderer Fall noch wäre, wenn eine darzuſtellende Begebenheit auf mehrere weiter entfernte Begeben- heiten nothwendig zurückwieſe, und ſie zu ihrem Verſtändniß forderte. Ich glaube auch hieran zweifeln zu müſſen, obgleich, wenn dieſe For- derung wirklich exiſtiren könnte, man allerdings ſich auf den Vorſchlag zurückziehen müßte der in den Propyläen geſchieht, nämlich den eines Cyklus hiſtoriſcher Darſtellungen, einer Reihe von Bildern, die ver- ſchiedene Momente einer zuſammenhängenden Geſchichte fixiren. Man muß dieß freilich nicht, wie einige gethan haben, zu ſtreng nehmen und die wirkliche abſolute Stetigkeit fordern, wozu eine unendliche Reihe von Bildern nicht hinreichen würde. Das Princip, aus welchem dieſe ganze Unterſuchung über Ver- ſtändlichkeit hiſtoriſcher Gemälde zu entſcheiden iſt, iſt ohne allen Zweifel dieſes: die hiſtoriſche Kenntniß der Begebenheit, welche dar- geſtellt wird, nach allen ihren gegenwärtigen und vergangenen Be- dingungen trägt zum Genuſſe des Kunſtwerks bei, allein dieſe Art des Genuſſes ſelbſt liegt außer dem Kreis der Beabſichtigung des Künſtlers. Sein Werk muß den Reiz nicht erſt von dieſem fremdartigen Intereſſe entlehnen. Viele Bildungen auf alten Kunſtwerken ſind unverſtändlich geweſen, man hat ſie nachher durch gelehrten Fleiß entziffert; viele ſind es noch und ſie verlieren dadurch nichts an der wahrhaft künſtleriſchen Schönheit. Es iſt gleich unrichtig, zu fordern, daß im Gemälde ſelbſt alle Anleitung zum empiriſch-hiſtoriſchen Verſtändniſſe deſſelben gegeben ſey, und der Maler für uns gleichſam ein Lehrer der Geſchichte werde, und hinwiederum das Gemälde zwar davon freizuſprechen, dagegen von dem Beſchauer die gelehrte Kenntniß zu fordern. Das letztere iſt darum fehlerhaft, a) weil man nicht weiß, wo man mit dieſer Gelehrſamkeit an- fangen, und wo man enden ſoll, b) weil man die empiriſch hiſtoriſche Ver- ſtändlichkeit dabei als etwas Weſentliches gelten läßt, und ihre Bedingung doch in etwas Zufälliges, nämlich die Kenntniß des Betrachters legt.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/239>, abgerufen am 24.11.2024.