Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

verletzt werden darf, weil es mit zu der Schönheit gehört. Allein auch
in einem Gemälde, das neuere Gegenstände vorstellt, müssen sich
unabhängig von Kleidung, z. B. bei nackten Figuren oder bei einem
nicht eben die Zeit charakterisirenden Kostüm Mittel genug finden
lassen die Zeit zu bezeichnen. In der Schlacht des Constantin von
Raphael würde ohne alle andern Merkmale das Zeichen des Kreuzes
hinreichen zu belehren, daß eine Begebenheit aus der Geschichte des
Christenthums vorgestellt werde. Von denjenigen Gegenständen, die
nicht durch wahrhaft künstlerische Mittel bezeichnet werden können, kann
man zum voraus mit Gewißheit sagen, daß sie der künstlerischen Dar-
stellung überhaupt nicht werth seyen. Wenn z. B. Künstler eines
neueren Staates angewiesen sind, vorzüglich edle Handlungen aus der
vaterländischen Geschichte darzustellen, so ist die geforderte Nationalität
(= Nicht-Universalität) ebenso sonderbar als die Forderung, die Sittlich-
keit der Handlungen zu malen -- und dann mögen die Soldaten auch
immerhin noch in preußischen Uniformen gemalt werden. Wir müssen
uns hier dessen erinnern, was in der Untersuchung über Mythologie
bemerkt wurde, daß, da uns eine universelle Mythologie fehlt, jeder
Künstler sich aus dem vorliegenden Stoff der Zeit eine specielle Mytho-
logie schaffen kann. Daß er von der Geschichte nichts aufnehme, was
nicht in demjenigen Kreis der Historie liegt, den man als allgemein-
gültig annehmen kann, ist etwas, worauf er noch aus viel höheren
Gründen als der bloßen Besorgniß unverstanden zu bleiben einge-
schränkt ist.

Außer den allgemeineren Bedingungen der Verständlichkeit des
historischen Gemäldes kann aber noch die besondere hinzu kommen, daß
eine Begebenheit durch eine vorhergehende bedingt ist, die zu ihrem
Verständniß nothwendig erfordert wird. Fürs erste kann man auch in
dieser Rücksicht zweifeln, ob eine Begebenheit, die der künstlerischen
Darstellung werth ist, nicht von sich selbst so prägnant sey, daß man
in der Gegenwart wenigstens die nächste Vergangenheit erblickt, wie
z. B. in der Gruppe des Laokoon niemand darüber zweifelhaft seyn
kann. Wer sich hiezu unfähig fühlt, dem wäre wieder ein Mittel älterer

verletzt werden darf, weil es mit zu der Schönheit gehört. Allein auch
in einem Gemälde, das neuere Gegenſtände vorſtellt, müſſen ſich
unabhängig von Kleidung, z. B. bei nackten Figuren oder bei einem
nicht eben die Zeit charakteriſirenden Koſtüm Mittel genug finden
laſſen die Zeit zu bezeichnen. In der Schlacht des Conſtantin von
Raphael würde ohne alle andern Merkmale das Zeichen des Kreuzes
hinreichen zu belehren, daß eine Begebenheit aus der Geſchichte des
Chriſtenthums vorgeſtellt werde. Von denjenigen Gegenſtänden, die
nicht durch wahrhaft künſtleriſche Mittel bezeichnet werden können, kann
man zum voraus mit Gewißheit ſagen, daß ſie der künſtleriſchen Dar-
ſtellung überhaupt nicht werth ſeyen. Wenn z. B. Künſtler eines
neueren Staates angewieſen ſind, vorzüglich edle Handlungen aus der
vaterländiſchen Geſchichte darzuſtellen, ſo iſt die geforderte Nationalität
(= Nicht-Univerſalität) ebenſo ſonderbar als die Forderung, die Sittlich-
keit der Handlungen zu malen — und dann mögen die Soldaten auch
immerhin noch in preußiſchen Uniformen gemalt werden. Wir müſſen
uns hier deſſen erinnern, was in der Unterſuchung über Mythologie
bemerkt wurde, daß, da uns eine univerſelle Mythologie fehlt, jeder
Künſtler ſich aus dem vorliegenden Stoff der Zeit eine ſpecielle Mytho-
logie ſchaffen kann. Daß er von der Geſchichte nichts aufnehme, was
nicht in demjenigen Kreis der Hiſtorie liegt, den man als allgemein-
gültig annehmen kann, iſt etwas, worauf er noch aus viel höheren
Gründen als der bloßen Beſorgniß unverſtanden zu bleiben einge-
ſchränkt iſt.

Außer den allgemeineren Bedingungen der Verſtändlichkeit des
hiſtoriſchen Gemäldes kann aber noch die beſondere hinzu kommen, daß
eine Begebenheit durch eine vorhergehende bedingt iſt, die zu ihrem
Verſtändniß nothwendig erfordert wird. Fürs erſte kann man auch in
dieſer Rückſicht zweifeln, ob eine Begebenheit, die der künſtleriſchen
Darſtellung werth iſt, nicht von ſich ſelbſt ſo prägnant ſey, daß man
in der Gegenwart wenigſtens die nächſte Vergangenheit erblickt, wie
z. B. in der Gruppe des Laokoon niemand darüber zweifelhaft ſeyn
kann. Wer ſich hiezu unfähig fühlt, dem wäre wieder ein Mittel älterer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0238" n="562"/>
verletzt werden darf, weil es mit zu der Schönheit gehört. Allein auch<lb/>
in einem Gemälde, das neuere Gegen&#x017F;tände vor&#x017F;tellt, mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich<lb/>
unabhängig von Kleidung, z. B. bei nackten Figuren oder bei einem<lb/>
nicht eben die Zeit charakteri&#x017F;irenden Ko&#x017F;tüm Mittel genug finden<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en die Zeit zu bezeichnen. In der Schlacht des Con&#x017F;tantin von<lb/>
Raphael würde ohne alle andern Merkmale das Zeichen des Kreuzes<lb/>
hinreichen zu belehren, daß eine Begebenheit aus der Ge&#x017F;chichte des<lb/>
Chri&#x017F;tenthums vorge&#x017F;tellt werde. Von denjenigen Gegen&#x017F;tänden, die<lb/>
nicht durch wahrhaft kün&#x017F;tleri&#x017F;che Mittel bezeichnet werden können, kann<lb/>
man zum voraus mit Gewißheit &#x017F;agen, daß &#x017F;ie der kün&#x017F;tleri&#x017F;chen Dar-<lb/>
&#x017F;tellung überhaupt nicht werth &#x017F;eyen. Wenn z. B. Kün&#x017F;tler eines<lb/>
neueren Staates angewie&#x017F;en &#x017F;ind, vorzüglich edle Handlungen aus der<lb/>
vaterländi&#x017F;chen Ge&#x017F;chichte darzu&#x017F;tellen, &#x017F;o i&#x017F;t die geforderte Nationalität<lb/>
(= Nicht-Univer&#x017F;alität) eben&#x017F;o &#x017F;onderbar als die Forderung, die Sittlich-<lb/>
keit der Handlungen zu malen &#x2014; und dann mögen die Soldaten auch<lb/>
immerhin noch in preußi&#x017F;chen Uniformen gemalt werden. Wir mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
uns hier de&#x017F;&#x017F;en erinnern, was in der Unter&#x017F;uchung über Mythologie<lb/>
bemerkt wurde, daß, da uns eine univer&#x017F;elle Mythologie fehlt, jeder<lb/>
Kün&#x017F;tler &#x017F;ich aus dem vorliegenden Stoff der Zeit eine &#x017F;pecielle Mytho-<lb/>
logie &#x017F;chaffen kann. Daß er von der Ge&#x017F;chichte nichts aufnehme, was<lb/>
nicht in demjenigen Kreis der Hi&#x017F;torie liegt, den man als allgemein-<lb/>
gültig annehmen kann, i&#x017F;t etwas, worauf er noch aus viel höheren<lb/>
Gründen als der bloßen Be&#x017F;orgniß unver&#x017F;tanden zu bleiben einge-<lb/>
&#x017F;chränkt i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Außer den allgemeineren Bedingungen der Ver&#x017F;tändlichkeit des<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;chen Gemäldes kann aber noch die be&#x017F;ondere hinzu kommen, daß<lb/>
eine Begebenheit durch eine vorhergehende bedingt i&#x017F;t, die zu ihrem<lb/>
Ver&#x017F;tändniß nothwendig erfordert wird. Fürs er&#x017F;te kann man auch in<lb/>
die&#x017F;er Rück&#x017F;icht zweifeln, ob eine Begebenheit, die der kün&#x017F;tleri&#x017F;chen<lb/>
Dar&#x017F;tellung werth i&#x017F;t, nicht von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;o prägnant &#x017F;ey, daß man<lb/>
in der Gegenwart wenig&#x017F;tens die näch&#x017F;te Vergangenheit erblickt, wie<lb/>
z. B. in der Gruppe des Laokoon niemand darüber zweifelhaft &#x017F;eyn<lb/>
kann. Wer &#x017F;ich hiezu unfähig fühlt, dem wäre wieder ein Mittel älterer<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[562/0238] verletzt werden darf, weil es mit zu der Schönheit gehört. Allein auch in einem Gemälde, das neuere Gegenſtände vorſtellt, müſſen ſich unabhängig von Kleidung, z. B. bei nackten Figuren oder bei einem nicht eben die Zeit charakteriſirenden Koſtüm Mittel genug finden laſſen die Zeit zu bezeichnen. In der Schlacht des Conſtantin von Raphael würde ohne alle andern Merkmale das Zeichen des Kreuzes hinreichen zu belehren, daß eine Begebenheit aus der Geſchichte des Chriſtenthums vorgeſtellt werde. Von denjenigen Gegenſtänden, die nicht durch wahrhaft künſtleriſche Mittel bezeichnet werden können, kann man zum voraus mit Gewißheit ſagen, daß ſie der künſtleriſchen Dar- ſtellung überhaupt nicht werth ſeyen. Wenn z. B. Künſtler eines neueren Staates angewieſen ſind, vorzüglich edle Handlungen aus der vaterländiſchen Geſchichte darzuſtellen, ſo iſt die geforderte Nationalität (= Nicht-Univerſalität) ebenſo ſonderbar als die Forderung, die Sittlich- keit der Handlungen zu malen — und dann mögen die Soldaten auch immerhin noch in preußiſchen Uniformen gemalt werden. Wir müſſen uns hier deſſen erinnern, was in der Unterſuchung über Mythologie bemerkt wurde, daß, da uns eine univerſelle Mythologie fehlt, jeder Künſtler ſich aus dem vorliegenden Stoff der Zeit eine ſpecielle Mytho- logie ſchaffen kann. Daß er von der Geſchichte nichts aufnehme, was nicht in demjenigen Kreis der Hiſtorie liegt, den man als allgemein- gültig annehmen kann, iſt etwas, worauf er noch aus viel höheren Gründen als der bloßen Beſorgniß unverſtanden zu bleiben einge- ſchränkt iſt. Außer den allgemeineren Bedingungen der Verſtändlichkeit des hiſtoriſchen Gemäldes kann aber noch die beſondere hinzu kommen, daß eine Begebenheit durch eine vorhergehende bedingt iſt, die zu ihrem Verſtändniß nothwendig erfordert wird. Fürs erſte kann man auch in dieſer Rückſicht zweifeln, ob eine Begebenheit, die der künſtleriſchen Darſtellung werth iſt, nicht von ſich ſelbſt ſo prägnant ſey, daß man in der Gegenwart wenigſtens die nächſte Vergangenheit erblickt, wie z. B. in der Gruppe des Laokoon niemand darüber zweifelhaft ſeyn kann. Wer ſich hiezu unfähig fühlt, dem wäre wieder ein Mittel älterer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/238
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/238>, abgerufen am 03.05.2024.