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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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des Endlichen im Unendlichen, das des Heidenthums umgekehrt
Einbildung des Unendlichen ins Endliche, wie es auch Schelling
in der Methode vorzog, sofern das, was ein anderes aufnimmt,
das Herrschende ist, das Aufgenommene dagegen das Beherrschte
(nach Philosophie der Kunst S. 378, Z. 5 v. o.), im Heiden-
thum aber war das Herrschende das Endliche, im Christenthum ist
es das Unendliche; der Weg aber oder das Mittel hierzu (zum Ueber-
gewicht des Unendlichen über das Endliche, des Idealen über das
Reale im Christenthum) ist "nicht eine Erhebung der Endlichkeit zur
Unendlichkeit, sondern eine Endlichwerdung des Unendlichen", wie
die Abhandlung sagt (S. 117), oder, wie die Methode (S. 292)
sich ausdrückt, vgl. mit Philosophie der Kunst S. 431 ff.: das
wahre Unendliche mußte erst ins Endliche kommen, um dieses
an sich selbst zu opfern, es dadurch zu versöhnen und -- als
Geist -- zum Unendlichen zurückzuführen: -- wir sehen, die
Methode (und die Philosophie der Kunst) stimmt auch in dieser
letzteren Bestimmung mit der Abhandlung völlig überein ungeachtet
ihrer Abweichung von derselben bei der Anwendung jener Formel.

Wenn Schelling in der Abhandlung vielmehr das Christen-
thum als Einbildung des Unendlichen ins Endliche oder als An-
schauung des Unendlichen im Endlichen bezeichnete, so ist meines Er-
achtens der Grund darin zu suchen, daß er es dort nicht nach
seiner allgemeinen Richtung, sondern gleich nur nach dem
charakterisirt, was er als sein Besonderstes und Innerstes, als
seine "Vollendung" erklärt, zu welcher das Christenthum als Ge-
gensatz nur der Weg sey (S. 120, Z. 1 v. o.). Das Streben
nach dieser Vollendung nennt er Mysticismus. Nach dieser tief
in ihm liegenden Tendenz betrachtet, ist das Christenthum Schauen
des Unendlichen im Endlichen, während seine "allgemeine und un-
mittelbare Richtung" auf das Unendliche geht. Sein herrschendes
Princip ist das Unendliche, aber innerhalb dieser principiellen Rich-
tung selbst bricht wieder "das symbolische Bestreben" (= das Un-
endliche im Endlichen zu schauen) durch. Die Philosophie der Kunst

des Endlichen im Unendlichen, das des Heidenthums umgekehrt
Einbildung des Unendlichen ins Endliche, wie es auch Schelling
in der Methode vorzog, ſofern das, was ein anderes aufnimmt,
das Herrſchende iſt, das Aufgenommene dagegen das Beherrſchte
(nach Philoſophie der Kunſt S. 378, Z. 5 v. o.), im Heiden-
thum aber war das Herrſchende das Endliche, im Chriſtenthum iſt
es das Unendliche; der Weg aber oder das Mittel hierzu (zum Ueber-
gewicht des Unendlichen über das Endliche, des Idealen über das
Reale im Chriſtenthum) iſt „nicht eine Erhebung der Endlichkeit zur
Unendlichkeit, ſondern eine Endlichwerdung des Unendlichen“, wie
die Abhandlung ſagt (S. 117), oder, wie die Methode (S. 292)
ſich ausdrückt, vgl. mit Philoſophie der Kunſt S. 431 ff.: das
wahre Unendliche mußte erſt ins Endliche kommen, um dieſes
an ſich ſelbſt zu opfern, es dadurch zu verſöhnen und — als
Geiſt — zum Unendlichen zurückzuführen: — wir ſehen, die
Methode (und die Philoſophie der Kunſt) ſtimmt auch in dieſer
letzteren Beſtimmung mit der Abhandlung völlig überein ungeachtet
ihrer Abweichung von derſelben bei der Anwendung jener Formel.

Wenn Schelling in der Abhandlung vielmehr das Chriſten-
thum als Einbildung des Unendlichen ins Endliche oder als An-
ſchauung des Unendlichen im Endlichen bezeichnete, ſo iſt meines Er-
achtens der Grund darin zu ſuchen, daß er es dort nicht nach
ſeiner allgemeinen Richtung, ſondern gleich nur nach dem
charakteriſirt, was er als ſein Beſonderſtes und Innerſtes, als
ſeine „Vollendung“ erklärt, zu welcher das Chriſtenthum als Ge-
genſatz nur der Weg ſey (S. 120, Z. 1 v. o.). Das Streben
nach dieſer Vollendung nennt er Myſticismus. Nach dieſer tief
in ihm liegenden Tendenz betrachtet, iſt das Chriſtenthum Schauen
des Unendlichen im Endlichen, während ſeine „allgemeine und un-
mittelbare Richtung“ auf das Unendliche geht. Sein herrſchendes
Princip iſt das Unendliche, aber innerhalb dieſer principiellen Rich-
tung ſelbſt bricht wieder „das ſymboliſche Beſtreben“ (= das Un-
endliche im Endlichen zu ſchauen) durch. Die Philoſophie der Kunſt

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[XV/0023] des Endlichen im Unendlichen, das des Heidenthums umgekehrt Einbildung des Unendlichen ins Endliche, wie es auch Schelling in der Methode vorzog, ſofern das, was ein anderes aufnimmt, das Herrſchende iſt, das Aufgenommene dagegen das Beherrſchte (nach Philoſophie der Kunſt S. 378, Z. 5 v. o.), im Heiden- thum aber war das Herrſchende das Endliche, im Chriſtenthum iſt es das Unendliche; der Weg aber oder das Mittel hierzu (zum Ueber- gewicht des Unendlichen über das Endliche, des Idealen über das Reale im Chriſtenthum) iſt „nicht eine Erhebung der Endlichkeit zur Unendlichkeit, ſondern eine Endlichwerdung des Unendlichen“, wie die Abhandlung ſagt (S. 117), oder, wie die Methode (S. 292) ſich ausdrückt, vgl. mit Philoſophie der Kunſt S. 431 ff.: das wahre Unendliche mußte erſt ins Endliche kommen, um dieſes an ſich ſelbſt zu opfern, es dadurch zu verſöhnen und — als Geiſt — zum Unendlichen zurückzuführen: — wir ſehen, die Methode (und die Philoſophie der Kunſt) ſtimmt auch in dieſer letzteren Beſtimmung mit der Abhandlung völlig überein ungeachtet ihrer Abweichung von derſelben bei der Anwendung jener Formel. Wenn Schelling in der Abhandlung vielmehr das Chriſten- thum als Einbildung des Unendlichen ins Endliche oder als An- ſchauung des Unendlichen im Endlichen bezeichnete, ſo iſt meines Er- achtens der Grund darin zu ſuchen, daß er es dort nicht nach ſeiner allgemeinen Richtung, ſondern gleich nur nach dem charakteriſirt, was er als ſein Beſonderſtes und Innerſtes, als ſeine „Vollendung“ erklärt, zu welcher das Chriſtenthum als Ge- genſatz nur der Weg ſey (S. 120, Z. 1 v. o.). Das Streben nach dieſer Vollendung nennt er Myſticismus. Nach dieſer tief in ihm liegenden Tendenz betrachtet, iſt das Chriſtenthum Schauen des Unendlichen im Endlichen, während ſeine „allgemeine und un- mittelbare Richtung“ auf das Unendliche geht. Sein herrſchendes Princip iſt das Unendliche, aber innerhalb dieſer principiellen Rich- tung ſelbſt bricht wieder „das ſymboliſche Beſtreben“ (= das Un- endliche im Endlichen zu ſchauen) durch. Die Philoſophie der Kunſt

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. XV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/23>, abgerufen am 26.04.2024.