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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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sehr schönen büßenden Magdalena mitgegeben hat, um ihre strenge
Lebensart anzudeuten. Denn wie hat der Künstler überhaupt nöthig,
uns daran zu erinnern, daß die büßende Magdalena irdische Nahrung
genieße? Die höchste Regel ist aber, wie in aller Kunst, so auch hier,
die Schönheit, und daß das rein Gräßliche, Abscheuliche und Widrige
vermieden werde. Die wüthende Nothwendigkeit, wie sie Horatius nennt,
die Wuth des Krieges bei Virgilius oder die Teufeleien des Milton wür-
den in der Malerei nur mit schlechtem Erfolg ausgeführt werden können.
So ist in der St. Peterskirche zu Rom ein allegorisches Gemälde, das
die Ketzerei zu den Füßen der Heiligen in der häßlichsten Gestalt vor-
stellt, als ob sie in einer schönen weiblichen Figur vorgestellt in dieser
Unterwerfung und Beugung nicht eine viel bessere Wirkung machte.

Die Allegorie in Gemälden kann nun übrigens entweder physisch
seyn und sich auf Naturgegenstände beziehen, oder moralisch, oder
historisch. -- Als ein allegorisches Bild der Natur muß man das Bild
der Diana mit den vielen Brüsten betrachten, dagegen in der bekannten
Vergötterung des Homer die Natur ganz einfach unter dem Bild eines
kleinen Kindes vorgestellt ist. -- Die Nacht wird mit einem fliegenden
Gewand voll Sterne gebildet, der Sommer im Laufen und mit zwei
brennenden gerade in die Höhe gehaltenen Fackeln in den Händen. Der
Nil und dessen Ueberschwemmung bis zu 16 Fuß, welches nach der
alten Meinung die größte Fruchtbarkeit bedeutet, wurde in ebensoviel
Kindern abgebildet, die auf der kolossalen Figur des Flusses saßen.

Ich bemerke, daß die vornehmsten Allegorien der bildenden Kunst,
nachdem das Schicksal der Zeit uns die Schätze der alten Malerei ent-
rissen hat, durch die kleineren Denkmäler der Skulptur in geschnittenen
Steinen auf uns gekommen sind. Die Plastik legt nicht mit einem-
mal die Schranken der Malerei ab, sie behält noch in mehreren Gat-
tungen den Raum als nothwendige Zugabe, und kann daher, wie die
Malerei, in den meisten Hervorbringungen auch nur bedeutend, aber
noch nicht wahrhaft symbolisch seyn.

Von den moralischen Allegorien ist zu bemerken, daß sie bei den
Alten nicht unsern Begriffen angemessen seyn können, da von diesen

ſehr ſchönen büßenden Magdalena mitgegeben hat, um ihre ſtrenge
Lebensart anzudeuten. Denn wie hat der Künſtler überhaupt nöthig,
uns daran zu erinnern, daß die büßende Magdalena irdiſche Nahrung
genieße? Die höchſte Regel iſt aber, wie in aller Kunſt, ſo auch hier,
die Schönheit, und daß das rein Gräßliche, Abſcheuliche und Widrige
vermieden werde. Die wüthende Nothwendigkeit, wie ſie Horatius nennt,
die Wuth des Krieges bei Virgilius oder die Teufeleien des Milton wür-
den in der Malerei nur mit ſchlechtem Erfolg ausgeführt werden können.
So iſt in der St. Peterskirche zu Rom ein allegoriſches Gemälde, das
die Ketzerei zu den Füßen der Heiligen in der häßlichſten Geſtalt vor-
ſtellt, als ob ſie in einer ſchönen weiblichen Figur vorgeſtellt in dieſer
Unterwerfung und Beugung nicht eine viel beſſere Wirkung machte.

Die Allegorie in Gemälden kann nun übrigens entweder phyſiſch
ſeyn und ſich auf Naturgegenſtände beziehen, oder moraliſch, oder
hiſtoriſch. — Als ein allegoriſches Bild der Natur muß man das Bild
der Diana mit den vielen Brüſten betrachten, dagegen in der bekannten
Vergötterung des Homer die Natur ganz einfach unter dem Bild eines
kleinen Kindes vorgeſtellt iſt. — Die Nacht wird mit einem fliegenden
Gewand voll Sterne gebildet, der Sommer im Laufen und mit zwei
brennenden gerade in die Höhe gehaltenen Fackeln in den Händen. Der
Nil und deſſen Ueberſchwemmung bis zu 16 Fuß, welches nach der
alten Meinung die größte Fruchtbarkeit bedeutet, wurde in ebenſoviel
Kindern abgebildet, die auf der koloſſalen Figur des Fluſſes ſaßen.

Ich bemerke, daß die vornehmſten Allegorien der bildenden Kunſt,
nachdem das Schickſal der Zeit uns die Schätze der alten Malerei ent-
riſſen hat, durch die kleineren Denkmäler der Skulptur in geſchnittenen
Steinen auf uns gekommen ſind. Die Plaſtik legt nicht mit einem-
mal die Schranken der Malerei ab, ſie behält noch in mehreren Gat-
tungen den Raum als nothwendige Zugabe, und kann daher, wie die
Malerei, in den meiſten Hervorbringungen auch nur bedeutend, aber
noch nicht wahrhaft ſymboliſch ſeyn.

Von den moraliſchen Allegorien iſt zu bemerken, daß ſie bei den
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[552/0228] ſehr ſchönen büßenden Magdalena mitgegeben hat, um ihre ſtrenge Lebensart anzudeuten. Denn wie hat der Künſtler überhaupt nöthig, uns daran zu erinnern, daß die büßende Magdalena irdiſche Nahrung genieße? Die höchſte Regel iſt aber, wie in aller Kunſt, ſo auch hier, die Schönheit, und daß das rein Gräßliche, Abſcheuliche und Widrige vermieden werde. Die wüthende Nothwendigkeit, wie ſie Horatius nennt, die Wuth des Krieges bei Virgilius oder die Teufeleien des Milton wür- den in der Malerei nur mit ſchlechtem Erfolg ausgeführt werden können. So iſt in der St. Peterskirche zu Rom ein allegoriſches Gemälde, das die Ketzerei zu den Füßen der Heiligen in der häßlichſten Geſtalt vor- ſtellt, als ob ſie in einer ſchönen weiblichen Figur vorgeſtellt in dieſer Unterwerfung und Beugung nicht eine viel beſſere Wirkung machte. Die Allegorie in Gemälden kann nun übrigens entweder phyſiſch ſeyn und ſich auf Naturgegenſtände beziehen, oder moraliſch, oder hiſtoriſch. — Als ein allegoriſches Bild der Natur muß man das Bild der Diana mit den vielen Brüſten betrachten, dagegen in der bekannten Vergötterung des Homer die Natur ganz einfach unter dem Bild eines kleinen Kindes vorgeſtellt iſt. — Die Nacht wird mit einem fliegenden Gewand voll Sterne gebildet, der Sommer im Laufen und mit zwei brennenden gerade in die Höhe gehaltenen Fackeln in den Händen. Der Nil und deſſen Ueberſchwemmung bis zu 16 Fuß, welches nach der alten Meinung die größte Fruchtbarkeit bedeutet, wurde in ebenſoviel Kindern abgebildet, die auf der koloſſalen Figur des Fluſſes ſaßen. Ich bemerke, daß die vornehmſten Allegorien der bildenden Kunſt, nachdem das Schickſal der Zeit uns die Schätze der alten Malerei ent- riſſen hat, durch die kleineren Denkmäler der Skulptur in geſchnittenen Steinen auf uns gekommen ſind. Die Plaſtik legt nicht mit einem- mal die Schranken der Malerei ab, ſie behält noch in mehreren Gat- tungen den Raum als nothwendige Zugabe, und kann daher, wie die Malerei, in den meiſten Hervorbringungen auch nur bedeutend, aber noch nicht wahrhaft ſymboliſch ſeyn. Von den moraliſchen Allegorien iſt zu bemerken, daß ſie bei den Alten nicht unſern Begriffen angemeſſen ſeyn können, da von dieſen

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/228>, abgerufen am 24.11.2024.