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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Bilde, das den Tod eines modernen Königs vorstellt, auf dessen Sterbe-
bette vielleicht sogar die Reichsinsignien liegen, an einer Seite desselben
der Genius mit der gesenkten Fackel stünde, so wäre dieß ein ganz
platter Gebrauch der Allegorie, weil der Genius auf keine Weise in
das Gemälde historisch aufgenommen werden kann. Oder wenn Poussin
in einem Gemälde, das die Aussetzung Mosis in Aegypten vorstellt,
den Nil als Flußgott darstellt, der sein Haupt in den Schilf verbirgt,
so ist das Letztere eine sehr schöne Allegorie, sofern dadurch angedeutet
wird, daß die Quellen des Nils unbekannt seyen; wenn aber ferner
der kleine Moses diesem Flußgott in die Arme gelegt wird, so hebt
diese Allegorie den Sinn des Gemäldes selbst auf, indem niemand da-
bei sich eine Gefahr vorstellen wird, da das Kind vielmehr der Für-
sorge eines sinnigen Gottes als der blinden Gewalt eines vernunftlosen
Elements überantwortet wird.

Es gibt also meines Erachtens keine partielle Allegorie im Ge-
mälde, weil dieß eine Dissonanz in das Gemälde bringt; und wo ein
Wesen, das in anderer Rücksicht als ein allegorisches gedacht werden
muß, in einem historischen Gemälde vorkommt, so muß es darin selbst
die historische Bedeutung annehmen, so daß das Ganze den Charakter
einer mythologischen Darstellung hat.

Desto weiter ist das Feld der Allegorie in dem Gemälde, sofern
sie unbeschränkter Weise gebraucht wird. Die Allegorie hat hier keine
Grenzen als die allgemeinen der Kunst selbst, daß nämlich der
Ueberfluß vermieden, und die Idee so einfältig wie möglich dargestellt
werde. "Die Einfalt," sagt Winkelmann 1, "ist in Allegorien wie
Gold ohne Zusatz und der Beweis der Güte derselben, weil sie alsdann
mit wenigem viel erklären; wo das Gegentheil geschiehet, ist es mehren-
theils ein Zeichen undeutlicher und unreifer Begriffe." Mit der Ein-
falt zugleich entsteht die Deutlichkeit, die freilich relativ ist, und in der
man nicht die allzu große Popularität verlangen muß, wie man etwa
ein paar weiße Rüben finden könnte, die Guido Reni einer übrigens

1 a. a. O. 2 Bd., S. 484. D. H.

Bilde, das den Tod eines modernen Königs vorſtellt, auf deſſen Sterbe-
bette vielleicht ſogar die Reichsinſignien liegen, an einer Seite deſſelben
der Genius mit der geſenkten Fackel ſtünde, ſo wäre dieß ein ganz
platter Gebrauch der Allegorie, weil der Genius auf keine Weiſe in
das Gemälde hiſtoriſch aufgenommen werden kann. Oder wenn Pouſſin
in einem Gemälde, das die Ausſetzung Moſis in Aegypten vorſtellt,
den Nil als Flußgott darſtellt, der ſein Haupt in den Schilf verbirgt,
ſo iſt das Letztere eine ſehr ſchöne Allegorie, ſofern dadurch angedeutet
wird, daß die Quellen des Nils unbekannt ſeyen; wenn aber ferner
der kleine Moſes dieſem Flußgott in die Arme gelegt wird, ſo hebt
dieſe Allegorie den Sinn des Gemäldes ſelbſt auf, indem niemand da-
bei ſich eine Gefahr vorſtellen wird, da das Kind vielmehr der Für-
ſorge eines ſinnigen Gottes als der blinden Gewalt eines vernunftloſen
Elements überantwortet wird.

Es gibt alſo meines Erachtens keine partielle Allegorie im Ge-
mälde, weil dieß eine Diſſonanz in das Gemälde bringt; und wo ein
Weſen, das in anderer Rückſicht als ein allegoriſches gedacht werden
muß, in einem hiſtoriſchen Gemälde vorkommt, ſo muß es darin ſelbſt
die hiſtoriſche Bedeutung annehmen, ſo daß das Ganze den Charakter
einer mythologiſchen Darſtellung hat.

Deſto weiter iſt das Feld der Allegorie in dem Gemälde, ſofern
ſie unbeſchränkter Weiſe gebraucht wird. Die Allegorie hat hier keine
Grenzen als die allgemeinen der Kunſt ſelbſt, daß nämlich der
Ueberfluß vermieden, und die Idee ſo einfältig wie möglich dargeſtellt
werde. „Die Einfalt,“ ſagt Winkelmann 1, „iſt in Allegorien wie
Gold ohne Zuſatz und der Beweis der Güte derſelben, weil ſie alsdann
mit wenigem viel erklären; wo das Gegentheil geſchiehet, iſt es mehren-
theils ein Zeichen undeutlicher und unreifer Begriffe.“ Mit der Ein-
falt zugleich entſteht die Deutlichkeit, die freilich relativ iſt, und in der
man nicht die allzu große Popularität verlangen muß, wie man etwa
ein paar weiße Rüben finden könnte, die Guido Reni einer übrigens

1 a. a. O. 2 Bd., S. 484. D. H.
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[551/0227] Bilde, das den Tod eines modernen Königs vorſtellt, auf deſſen Sterbe- bette vielleicht ſogar die Reichsinſignien liegen, an einer Seite deſſelben der Genius mit der geſenkten Fackel ſtünde, ſo wäre dieß ein ganz platter Gebrauch der Allegorie, weil der Genius auf keine Weiſe in das Gemälde hiſtoriſch aufgenommen werden kann. Oder wenn Pouſſin in einem Gemälde, das die Ausſetzung Moſis in Aegypten vorſtellt, den Nil als Flußgott darſtellt, der ſein Haupt in den Schilf verbirgt, ſo iſt das Letztere eine ſehr ſchöne Allegorie, ſofern dadurch angedeutet wird, daß die Quellen des Nils unbekannt ſeyen; wenn aber ferner der kleine Moſes dieſem Flußgott in die Arme gelegt wird, ſo hebt dieſe Allegorie den Sinn des Gemäldes ſelbſt auf, indem niemand da- bei ſich eine Gefahr vorſtellen wird, da das Kind vielmehr der Für- ſorge eines ſinnigen Gottes als der blinden Gewalt eines vernunftloſen Elements überantwortet wird. Es gibt alſo meines Erachtens keine partielle Allegorie im Ge- mälde, weil dieß eine Diſſonanz in das Gemälde bringt; und wo ein Weſen, das in anderer Rückſicht als ein allegoriſches gedacht werden muß, in einem hiſtoriſchen Gemälde vorkommt, ſo muß es darin ſelbſt die hiſtoriſche Bedeutung annehmen, ſo daß das Ganze den Charakter einer mythologiſchen Darſtellung hat. Deſto weiter iſt das Feld der Allegorie in dem Gemälde, ſofern ſie unbeſchränkter Weiſe gebraucht wird. Die Allegorie hat hier keine Grenzen als die allgemeinen der Kunſt ſelbſt, daß nämlich der Ueberfluß vermieden, und die Idee ſo einfältig wie möglich dargeſtellt werde. „Die Einfalt,“ ſagt Winkelmann 1, „iſt in Allegorien wie Gold ohne Zuſatz und der Beweis der Güte derſelben, weil ſie alsdann mit wenigem viel erklären; wo das Gegentheil geſchiehet, iſt es mehren- theils ein Zeichen undeutlicher und unreifer Begriffe.“ Mit der Ein- falt zugleich entſteht die Deutlichkeit, die freilich relativ iſt, und in der man nicht die allzu große Popularität verlangen muß, wie man etwa ein paar weiße Rüben finden könnte, die Guido Reni einer übrigens 1 a. a. O. 2 Bd., S. 484. D. H.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/227>, abgerufen am 24.11.2024.