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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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es offenbar, daß, da jede mögliche Handlung die Allseitigkeit eines
Bildes aufhebt und den Menschen im Moment fixirt, in der Regel
die größtmögliche Ruhe vorzuziehen sey. Die einzige erlaubte Ausnahme
findet da statt, wo die Handlung so mit dem Wesen des Menschen
eins ist, daß sie wiederum zur Charakteristik von ihm gehört. Z. B.
einen Tonkünstler in der Handlung seiner Kunst vorzustellen, würde
darum vorzüglicher seyn, als einen Dichter etwa mit der Feder in der
Hand, weil das musikalische Talent isolirender und mit dem Wesen
dessen, der es besitzt, am meisten verwebt ist. Sonst ist die Forderung,
welche das Portrait nothwendig zu erfüllen hat, die höchste Wahrheit;
nur daß sie nicht im Kleinen und bloß Empirischen gesucht werde.
Von dieser Art sind denn die Bilder der alten, vorzüglich unserer
deutschen Maler, Holbeins z. B., dessen eines, in Dresden zu sehen-
des Bild, welches einen Bürgermeister zu Basel mit seiner Familie
vorstellt, indem er die heil. Jungfrau anbetet, gewiß niemand ohne Be-
wegung sehen wird -- nicht nur (um dieß im Vorbeigehen zu bemerken)
weil er in diesem, wie in andern ähnlichen Bildern, den ächten alten
deutschen Styl, der dem italienischen bei weitem näher ist als dem
niederländischen und den Keim eines Höheren in sich trägt, der ohne
die besonderen unglücklichen Verhängnisse Deutschlands auch sicher sich
entfaltet haben würde, erkennen kann, sondern auch, weil dieses Bild
eine sittliche Bedeutung hat, und so wie alle von demselben Styl, die
gute alte Zeit, die strenge Zucht, den Ernst und die Frömmigkeit
derselben dem Betrachtenden zurückruft.

Ich bemerke noch, daß die vorzüglichsten historischen Maler Leo-
nardo da Vinci, Correggio, Raphael, sämmtlich Portraits gemalt
haben, ja es ist bekannt, daß Raphael in manchen seiner unabhängigen
Compositionen wirkliche Portraits angebracht hat.

Wir gehen endlich zu der letzten Kunststufe der Malerei über.

Das höchste Bestreben des Geistes ist, Ideen hervorzubringen,
die über das Materielle und Endliche erhaben sind. "Die Idee der
Schönheit, sagt Winkelmann, ist wie ein aus der Materie durchs
Feuer gezogener Geist, welcher sich suchet ein Geschöpf zu zeugen nach

es offenbar, daß, da jede mögliche Handlung die Allſeitigkeit eines
Bildes aufhebt und den Menſchen im Moment fixirt, in der Regel
die größtmögliche Ruhe vorzuziehen ſey. Die einzige erlaubte Ausnahme
findet da ſtatt, wo die Handlung ſo mit dem Weſen des Menſchen
eins iſt, daß ſie wiederum zur Charakteriſtik von ihm gehört. Z. B.
einen Tonkünſtler in der Handlung ſeiner Kunſt vorzuſtellen, würde
darum vorzüglicher ſeyn, als einen Dichter etwa mit der Feder in der
Hand, weil das muſikaliſche Talent iſolirender und mit dem Weſen
deſſen, der es beſitzt, am meiſten verwebt iſt. Sonſt iſt die Forderung,
welche das Portrait nothwendig zu erfüllen hat, die höchſte Wahrheit;
nur daß ſie nicht im Kleinen und bloß Empiriſchen geſucht werde.
Von dieſer Art ſind denn die Bilder der alten, vorzüglich unſerer
deutſchen Maler, Holbeins z. B., deſſen eines, in Dresden zu ſehen-
des Bild, welches einen Bürgermeiſter zu Baſel mit ſeiner Familie
vorſtellt, indem er die heil. Jungfrau anbetet, gewiß niemand ohne Be-
wegung ſehen wird — nicht nur (um dieß im Vorbeigehen zu bemerken)
weil er in dieſem, wie in andern ähnlichen Bildern, den ächten alten
deutſchen Styl, der dem italieniſchen bei weitem näher iſt als dem
niederländiſchen und den Keim eines Höheren in ſich trägt, der ohne
die beſonderen unglücklichen Verhängniſſe Deutſchlands auch ſicher ſich
entfaltet haben würde, erkennen kann, ſondern auch, weil dieſes Bild
eine ſittliche Bedeutung hat, und ſo wie alle von demſelben Styl, die
gute alte Zeit, die ſtrenge Zucht, den Ernſt und die Frömmigkeit
derſelben dem Betrachtenden zurückruft.

Ich bemerke noch, daß die vorzüglichſten hiſtoriſchen Maler Leo-
nardo da Vinci, Correggio, Raphael, ſämmtlich Portraits gemalt
haben, ja es iſt bekannt, daß Raphael in manchen ſeiner unabhängigen
Compoſitionen wirkliche Portraits angebracht hat.

Wir gehen endlich zu der letzten Kunſtſtufe der Malerei über.

Das höchſte Beſtreben des Geiſtes iſt, Ideen hervorzubringen,
die über das Materielle und Endliche erhaben ſind. „Die Idee der
Schönheit, ſagt Winkelmann, iſt wie ein aus der Materie durchs
Feuer gezogener Geiſt, welcher ſich ſuchet ein Geſchöpf zu zeugen nach

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[548/0224] es offenbar, daß, da jede mögliche Handlung die Allſeitigkeit eines Bildes aufhebt und den Menſchen im Moment fixirt, in der Regel die größtmögliche Ruhe vorzuziehen ſey. Die einzige erlaubte Ausnahme findet da ſtatt, wo die Handlung ſo mit dem Weſen des Menſchen eins iſt, daß ſie wiederum zur Charakteriſtik von ihm gehört. Z. B. einen Tonkünſtler in der Handlung ſeiner Kunſt vorzuſtellen, würde darum vorzüglicher ſeyn, als einen Dichter etwa mit der Feder in der Hand, weil das muſikaliſche Talent iſolirender und mit dem Weſen deſſen, der es beſitzt, am meiſten verwebt iſt. Sonſt iſt die Forderung, welche das Portrait nothwendig zu erfüllen hat, die höchſte Wahrheit; nur daß ſie nicht im Kleinen und bloß Empiriſchen geſucht werde. Von dieſer Art ſind denn die Bilder der alten, vorzüglich unſerer deutſchen Maler, Holbeins z. B., deſſen eines, in Dresden zu ſehen- des Bild, welches einen Bürgermeiſter zu Baſel mit ſeiner Familie vorſtellt, indem er die heil. Jungfrau anbetet, gewiß niemand ohne Be- wegung ſehen wird — nicht nur (um dieß im Vorbeigehen zu bemerken) weil er in dieſem, wie in andern ähnlichen Bildern, den ächten alten deutſchen Styl, der dem italieniſchen bei weitem näher iſt als dem niederländiſchen und den Keim eines Höheren in ſich trägt, der ohne die beſonderen unglücklichen Verhängniſſe Deutſchlands auch ſicher ſich entfaltet haben würde, erkennen kann, ſondern auch, weil dieſes Bild eine ſittliche Bedeutung hat, und ſo wie alle von demſelben Styl, die gute alte Zeit, die ſtrenge Zucht, den Ernſt und die Frömmigkeit derſelben dem Betrachtenden zurückruft. Ich bemerke noch, daß die vorzüglichſten hiſtoriſchen Maler Leo- nardo da Vinci, Correggio, Raphael, ſämmtlich Portraits gemalt haben, ja es iſt bekannt, daß Raphael in manchen ſeiner unabhängigen Compoſitionen wirkliche Portraits angebracht hat. Wir gehen endlich zu der letzten Kunſtſtufe der Malerei über. Das höchſte Beſtreben des Geiſtes iſt, Ideen hervorzubringen, die über das Materielle und Endliche erhaben ſind. „Die Idee der Schönheit, ſagt Winkelmann, iſt wie ein aus der Materie durchs Feuer gezogener Geiſt, welcher ſich ſuchet ein Geſchöpf zu zeugen nach

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/224>, abgerufen am 24.11.2024.