steht, ist S. 434, Z. 9--10 v. u. ausgefallen. Endlich harmo- niren beide (die Methode und die Philosophie der Kunst) in den Formeln für den Gegensatz des Heidenthums und Christenthums. In beiden nämlich wird das Heidenthum als Darstellung oder An- schauung des Unendlichen im Endlichen, das Christenthum als Darstellung oder Anschauung des Endlichen im Unendlichen charak- terisirt, während in der schon besprochenen Abhandlung über das Verhältniß der Naturphilosophie zur Philosophie überhaupt umge- kehrt das Heidenthum als Aufnahme oder Einbildung des Endlichen ins Unendliche, das Christenthum als Einbildung des Unendlichen ins Endliche bestimmt wird. Und hierüber ist zunächst noch einiges zu sagen; denn der Wechsel jener Formeln in der Methode des akademischen Studiums und in der genannten Abhandlung war der einzige Einwurf gegen die Nichtidentität des Verfassers beider, der einigen Schein hatte, wiewohl man freilich gar nicht bedacht zu haben scheint, daß ja schon der Gebrauch der Formel "Ein- bildung des Endlichen ins Unendliche oder des Unendlichen ins Endliche" an sich -- ohne ihre Anwendung auf das Wesen des Heidenthums und des Christenthums -- eine Schelling ganz eigen- thümliche ist, und die sich bei ihm in verschiedenen gleichgeltenden Ausdrücken überall wiederholt, wie als Einbildung des Idealen ins Reale, des Allgemeinen ins Besondere, der Einheit in die Vielheit, und umgekehrt. Die Anwendung der Formel erscheint gegen sie selbst nur als etwas Accidentelles. Wollte man daher Hegel jene Ab- handlung zuschreiben, so müßte man vor allem sich und andern begreiflich machen, wie Hegel auf einmal einer Formel sich bedienen konnte, die so ganz nur Schellingisch war. Zu behaupten, Hegel habe eben hier den Schellingschen Ton nachgeahmt, ist doch zu naiv, zumal das weitere Curiosum herauskäme, daß dann Schelling in der Methode (nur mit Umstellung der Formeln) seinen Nach- ahmer wieder nachgeahmt hätte. Es ist unendlich viel leichter zu denken, daß Schelling in der Anwendung jener Formel auf das Heidenthum und Christenthum variirte, als anzunehmen, daß Hegel
ſteht, iſt S. 434, Z. 9—10 v. u. ausgefallen. Endlich harmo- niren beide (die Methode und die Philoſophie der Kunſt) in den Formeln für den Gegenſatz des Heidenthums und Chriſtenthums. In beiden nämlich wird das Heidenthum als Darſtellung oder An- ſchauung des Unendlichen im Endlichen, das Chriſtenthum als Darſtellung oder Anſchauung des Endlichen im Unendlichen charak- teriſirt, während in der ſchon beſprochenen Abhandlung über das Verhältniß der Naturphiloſophie zur Philoſophie überhaupt umge- kehrt das Heidenthum als Aufnahme oder Einbildung des Endlichen ins Unendliche, das Chriſtenthum als Einbildung des Unendlichen ins Endliche beſtimmt wird. Und hierüber iſt zunächſt noch einiges zu ſagen; denn der Wechſel jener Formeln in der Methode des akademiſchen Studiums und in der genannten Abhandlung war der einzige Einwurf gegen die Nichtidentität des Verfaſſers beider, der einigen Schein hatte, wiewohl man freilich gar nicht bedacht zu haben ſcheint, daß ja ſchon der Gebrauch der Formel „Ein- bildung des Endlichen ins Unendliche oder des Unendlichen ins Endliche“ an ſich — ohne ihre Anwendung auf das Weſen des Heidenthums und des Chriſtenthums — eine Schelling ganz eigen- thümliche iſt, und die ſich bei ihm in verſchiedenen gleichgeltenden Ausdrücken überall wiederholt, wie als Einbildung des Idealen ins Reale, des Allgemeinen ins Beſondere, der Einheit in die Vielheit, und umgekehrt. Die Anwendung der Formel erſcheint gegen ſie ſelbſt nur als etwas Accidentelles. Wollte man daher Hegel jene Ab- handlung zuſchreiben, ſo müßte man vor allem ſich und andern begreiflich machen, wie Hegel auf einmal einer Formel ſich bedienen konnte, die ſo ganz nur Schellingiſch war. Zu behaupten, Hegel habe eben hier den Schellingſchen Ton nachgeahmt, iſt doch zu naiv, zumal das weitere Curioſum herauskäme, daß dann Schelling in der Methode (nur mit Umſtellung der Formeln) ſeinen Nach- ahmer wieder nachgeahmt hätte. Es iſt unendlich viel leichter zu denken, daß Schelling in der Anwendung jener Formel auf das Heidenthum und Chriſtenthum variirte, als anzunehmen, daß Hegel
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[XIII/0021]
ſteht, iſt S. 434, Z. 9—10 v. u. ausgefallen. Endlich harmo-
niren beide (die Methode und die Philoſophie der Kunſt) in den
Formeln für den Gegenſatz des Heidenthums und Chriſtenthums.
In beiden nämlich wird das Heidenthum als Darſtellung oder An-
ſchauung des Unendlichen im Endlichen, das Chriſtenthum als
Darſtellung oder Anſchauung des Endlichen im Unendlichen charak-
teriſirt, während in der ſchon beſprochenen Abhandlung über das
Verhältniß der Naturphiloſophie zur Philoſophie überhaupt umge-
kehrt das Heidenthum als Aufnahme oder Einbildung des Endlichen
ins Unendliche, das Chriſtenthum als Einbildung des Unendlichen
ins Endliche beſtimmt wird. Und hierüber iſt zunächſt noch einiges
zu ſagen; denn der Wechſel jener Formeln in der Methode des
akademiſchen Studiums und in der genannten Abhandlung war der
einzige Einwurf gegen die Nichtidentität des Verfaſſers beider, der
einigen Schein hatte, wiewohl man freilich gar nicht bedacht zu
haben ſcheint, daß ja ſchon der Gebrauch der Formel „Ein-
bildung des Endlichen ins Unendliche oder des Unendlichen ins
Endliche“ an ſich — ohne ihre Anwendung auf das Weſen des
Heidenthums und des Chriſtenthums — eine Schelling ganz eigen-
thümliche iſt, und die ſich bei ihm in verſchiedenen gleichgeltenden
Ausdrücken überall wiederholt, wie als Einbildung des Idealen ins
Reale, des Allgemeinen ins Beſondere, der Einheit in die Vielheit,
und umgekehrt. Die Anwendung der Formel erſcheint gegen ſie ſelbſt
nur als etwas Accidentelles. Wollte man daher Hegel jene Ab-
handlung zuſchreiben, ſo müßte man vor allem ſich und andern
begreiflich machen, wie Hegel auf einmal einer Formel ſich bedienen
konnte, die ſo ganz nur Schellingiſch war. Zu behaupten, Hegel
habe eben hier den Schellingſchen Ton nachgeahmt, iſt doch zu
naiv, zumal das weitere Curioſum herauskäme, daß dann Schelling
in der Methode (nur mit Umſtellung der Formeln) ſeinen Nach-
ahmer wieder nachgeahmt hätte. Es iſt unendlich viel leichter zu
denken, daß Schelling in der Anwendung jener Formel auf das
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. XIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/21>, abgerufen am 23.11.2024.
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