würde gewiß ziemlich lange Widerwillen oder wenigstens eine abnergende Furcht gegen manche unverschämte Worte und Werke er- zeugen. Auch verdiente es wohl untersucht zu werden, bey welchem Geschlecht das Vei- schämtseyn am ersten aufhört, oder am stärk- sten bey Seite gesetzt zu werden pflegt, ob- gleich es eine kitzliche Sache ist, darüber Er- fahrungen anzustellen, bey denen man leicht in der Lehre bleiben könnte. Die frühere Dreustigkeit der Mädchen und das lange Anhalten blöder Unbehülflichkeit der Jüng- linge scheint den Ausschlag zum Vortheil des männlichen Geschlechts geben zu wollen. Es ließe sich aber auch eine andere Ursache denken, warum man in der Geschichte nur Messalinen hat anführen können. Zu dama- liger Zeit lebten die beyden Geschlechter in einer ziemlich strengen Absonderung, an de- ren Stelle durch die Zier-, Ball-, Schlit- tenfahrt- und Galanteriesucht eine Art von Gemeinschaft und Gemeinmacherey gekom- men ist, die die Achtung, welche ein Ge- schlecht vor dem andern billig haben muß, wenn es auch nur äußerlich sittsam zugehen soll, wahrlich nicht vermehrt haben und vielmehr Anlaß geben, daß die Jünglinge
wuͤrde gewiß ziemlich lange Widerwillen oder wenigſtens eine abnergende Furcht gegen manche unverſchaͤmte Worte und Werke er- zeugen. Auch verdiente es wohl unterſucht zu werden, bey welchem Geſchlecht das Vei- ſchaͤmtſeyn am erſten aufhoͤrt, oder am ſtaͤrk- ſten bey Seite geſetzt zu werden pflegt, ob- gleich es eine kitzliche Sache iſt, daruͤber Er- fahrungen anzuſtellen, bey denen man leicht in der Lehre bleiben koͤnnte. Die fruͤhere Dreuſtigkeit der Maͤdchen und das lange Anhalten bloͤder Unbehuͤlflichkeit der Juͤng- linge ſcheint den Ausſchlag zum Vortheil des maͤnnlichen Geſchlechts geben zu wollen. Es ließe ſich aber auch eine andere Urſache denken, warum man in der Geſchichte nur Meſſalinen hat anfuͤhren koͤnnen. Zu dama- liger Zeit lebten die beyden Geſchlechter in einer ziemlich ſtrengen Abſonderung, an de- ren Stelle durch die Zier-, Ball-, Schlit- tenfahrt- und Galanterieſucht eine Art von Gemeinſchaft und Gemeinmacherey gekom- men iſt, die die Achtung, welche ein Ge- ſchlecht vor dem andern billig haben muß, wenn es auch nur aͤußerlich ſittſam zugehen ſoll, wahrlich nicht vermehrt haben und vielmehr Anlaß geben, daß die Juͤnglinge
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wuͤrde gewiß ziemlich lange Widerwillen oder
wenigſtens eine abnergende Furcht gegen
manche unverſchaͤmte Worte und Werke er-
zeugen. Auch verdiente es wohl unterſucht
zu werden, bey welchem Geſchlecht das Vei-
ſchaͤmtſeyn am erſten aufhoͤrt, oder am ſtaͤrk-
ſten bey Seite geſetzt zu werden pflegt, ob-
gleich es eine kitzliche Sache iſt, daruͤber Er-
fahrungen anzuſtellen, bey denen man leicht
in der Lehre bleiben koͤnnte. Die fruͤhere
Dreuſtigkeit der Maͤdchen und das lange
Anhalten bloͤder Unbehuͤlflichkeit der Juͤng-
linge ſcheint den Ausſchlag zum Vortheil
des maͤnnlichen Geſchlechts geben zu wollen.
Es ließe ſich aber auch eine andere Urſache
denken, warum man in der Geſchichte nur
Meſſalinen hat anfuͤhren koͤnnen. Zu dama-
liger Zeit lebten die beyden Geſchlechter in
einer ziemlich ſtrengen Abſonderung, an de-
ren Stelle durch die Zier-, Ball-, Schlit-
tenfahrt- und Galanterieſucht eine Art von
Gemeinſchaft und Gemeinmacherey gekom-
men iſt, die die Achtung, welche ein Ge-
ſchlecht vor dem andern billig haben muß,
wenn es auch nur aͤußerlich ſittſam zugehen
ſoll, wahrlich nicht vermehrt haben und
vielmehr Anlaß geben, daß die Juͤnglinge
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/61>, abgerufen am 23.11.2024.
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