nicht recht männlich, die Mädchen nicht recht weiblich werden; doch will ich keinesweges behaupten, diese strengere Scheidung der Geschlechter sey die Ursache gewesen, von einer unter den Studenten damals einge- rißnen Gewohnheit, sich Sonntags, wenn sie vom Besuch des schwarzen Bretes zurück kamen, in der Vorhalle der Kneiphöf- schen Kirche in 2 -- 3 Reihen zu stellen und das Frauenzimmer durch diese Censur- gasse laufen zu lassen. Die Jungfer, die den Herren das Compliment nicht recht machte, oder sich extraiudicialiter ein tadeln- des Urtheil erlaubt hatte, konnte sicher dar- auf rechnen, von einem dieser ungebetenen Richter eine mündliche Weisung zu erhal- ten, oder irgend eine Neckerey zu erleiden. Oft wurde bloß über die Häßlichen gespottet, obgleich doch wohl diese Sittenhäßlichkeit der Spötter jene unverschuldete Nichtschön- heit weit übertraf, und es auch manches übermüthige Stumpfnäschen gab, das dem Tadler seinen stumpfen Einfall so spitz erwie- derte, daß er von seinen Spaßcommilitonen wacker ausgelacht, bisweilen sogar vom et- wanigen stillen Verehrer des bewitzelten Mädchens zur Rechenschaft gefordert wurde.
nicht recht maͤnnlich, die Maͤdchen nicht recht weiblich werden; doch will ich keinesweges behaupten, dieſe ſtrengere Scheidung der Geſchlechter ſey die Urſache geweſen, von einer unter den Studenten damals einge- rißnen Gewohnheit, ſich Sonntags, wenn ſie vom Beſuch des ſchwarzen Bretes zuruͤck kamen, in der Vorhalle der Kneiphoͤf- ſchen Kirche in 2 — 3 Reihen zu ſtellen und das Frauenzimmer durch dieſe Cenſur- gaſſe laufen zu laſſen. Die Jungfer, die den Herren das Compliment nicht recht machte, oder ſich extraiudicialiter ein tadeln- des Urtheil erlaubt hatte, konnte ſicher dar- auf rechnen, von einem dieſer ungebetenen Richter eine muͤndliche Weiſung zu erhal- ten, oder irgend eine Neckerey zu erleiden. Oft wurde bloß uͤber die Haͤßlichen geſpottet, obgleich doch wohl dieſe Sittenhaͤßlichkeit der Spoͤtter jene unverſchuldete Nichtſchoͤn- heit weit uͤbertraf, und es auch manches uͤbermuͤthige Stumpfnaͤschen gab, das dem Tadler ſeinen ſtumpfen Einfall ſo ſpitz erwie- derte, daß er von ſeinen Spaßcommilitonen wacker ausgelacht, bisweilen ſogar vom et- wanigen ſtillen Verehrer des bewitzelten Maͤdchens zur Rechenſchaft gefordert wurde.
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nicht recht maͤnnlich, die Maͤdchen nicht recht
weiblich werden; doch will ich keinesweges
behaupten, dieſe ſtrengere Scheidung der
Geſchlechter ſey die Urſache geweſen, von
einer unter den Studenten damals einge-
rißnen Gewohnheit, ſich Sonntags, wenn
ſie vom Beſuch des ſchwarzen Bretes
zuruͤck kamen, in der Vorhalle der Kneiphoͤf-
ſchen Kirche in 2 — 3 Reihen zu ſtellen
und das Frauenzimmer durch dieſe Cenſur-
gaſſe laufen zu laſſen. Die Jungfer, die
den Herren das Compliment nicht recht
machte, oder ſich extraiudicialiter ein tadeln-
des Urtheil erlaubt hatte, konnte ſicher dar-
auf rechnen, von einem dieſer ungebetenen
Richter eine muͤndliche Weiſung zu erhal-
ten, oder irgend eine Neckerey zu erleiden.
Oft wurde bloß uͤber die Haͤßlichen geſpottet,
obgleich doch wohl dieſe Sittenhaͤßlichkeit
der Spoͤtter jene unverſchuldete Nichtſchoͤn-
heit weit uͤbertraf, und es auch manches
uͤbermuͤthige Stumpfnaͤschen gab, das dem
Tadler ſeinen ſtumpfen Einfall ſo ſpitz erwie-
derte, daß er von ſeinen Spaßcommilitonen
wacker ausgelacht, bisweilen ſogar vom et-
wanigen ſtillen Verehrer des bewitzelten
Maͤdchens zur Rechenſchaft gefordert wurde.
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/62>, abgerufen am 23.11.2024.
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