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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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forthalfen. Nicht nur ist dies das angenehmste Ge-
schäft dankbarer Erinnerung, die auf den lichtvoll-
sten Augenblicken des jugendlichen Lebens am liebsten
weilet, sondern eben diese gefühlvolle Auszeichnung
erhebt andre gleich Bedrängte, ruft andre gleich Edle
zu hülfreichen Schutzengeln der Verlassenen auf. Wie
Undankbarkeit das schändlichste Laster im menschlichen
Leben ist, so wird Dankbarkeit der süße Weyrauch,
der auch das Widrigste im Leben mit der Erquickung
begabet. Noth und Mühe sind dem Zurückdenkenden
wie ein Traum vorüber, die Fesseln der Pein sind
von unsern Händen hinweg, der lichte Befreyer sieht
vor uns unserm Herzen eingeprägt, unsre Erinnrung
unauslöschlich. Milde Gabe des Himmels; Balsam,
den ein mitfühlender Geist dem leidenden Geschlecht
der Sterblichen, durch das Gesetz gab, daß in der
Erinnrung das Bittre selbst süß werde,

wenn wir es wohl anwandten, und daß uns in unserm
Leben nichts so aufrichtet, stärkt und belebt, als das
genossene Mitgefühl Andrer. Wie Sterne
einer andern Welt erscheinen uns diese Edlen; wie
Sterne einer andern Welt glänzen sie ewig in unserm
Herzen erquickend und erwärmend. Niemand ist, der
auch in der fremdesten Lebensbeschreibung dergleichen
Erscheinungen nicht mit Wohlgefallen lese; sanft be-
zaubert lieben und loben wir an andern, was wir selbst
vielleicht nicht leisten konnten Wohlan! andre höhere
Gemüther werden es leisten, und du muntertest sie
dazu an.

4) Ueber Fehler der Jugend hüpfe man nicht
hinweg, ihre Folgen ziehen sich durchs ganze Leben.
Dies baut seine Alter wie seine Stockwerke übereinander,
unter dem Dache wohnt sichs unsicher, wenn der Grund

forthalfen. Nicht nur iſt dies das angenehmſte Ge-
ſchaͤft dankbarer Erinnerung, die auf den lichtvoll-
ſten Augenblicken des jugendlichen Lebens am liebſten
weilet, ſondern eben dieſe gefuͤhlvolle Auszeichnung
erhebt andre gleich Bedraͤngte, ruft andre gleich Edle
zu huͤlfreichen Schutzengeln der Verlaſſenen auf. Wie
Undankbarkeit das ſchaͤndlichſte Laſter im menſchlichen
Leben iſt, ſo wird Dankbarkeit der ſuͤße Weyrauch,
der auch das Widrigſte im Leben mit der Erquickung
begabet. Noth und Muͤhe ſind dem Zuruͤckdenkenden
wie ein Traum voruͤber, die Feſſeln der Pein ſind
von unſern Haͤnden hinweg, der lichte Befreyer ſieht
vor uns unſerm Herzen eingepraͤgt, unſre Erinnrung
unausloͤſchlich. Milde Gabe des Himmels; Balſam,
den ein mitfuͤhlender Geiſt dem leidenden Geſchlecht
der Sterblichen, durch das Geſetz gab, daß in der
Erinnrung das Bittre ſelbſt ſuͤß werde,

wenn wir es wohl anwandten, und daß uns in unſerm
Leben nichts ſo aufrichtet, ſtaͤrkt und belebt, als das
genoſſene Mitgefuͤhl Andrer. Wie Sterne
einer andern Welt erſcheinen uns dieſe Edlen; wie
Sterne einer andern Welt glaͤnzen ſie ewig in unſerm
Herzen erquickend und erwaͤrmend. Niemand iſt, der
auch in der fremdeſten Lebensbeſchreibung dergleichen
Erſcheinungen nicht mit Wohlgefallen leſe; ſanft be-
zaubert lieben und loben wir an andern, was wir ſelbſt
vielleicht nicht leiſten konnten Wohlan! andre hoͤhere
Gemuͤther werden es leiſten, und du munterteſt ſie
dazu an.

4) Ueber Fehler der Jugend huͤpfe man nicht
hinweg, ihre Folgen ziehen ſich durchs ganze Leben.
Dies baut ſeine Alter wie ſeine Stockwerke uͤbereinander,
unter dem Dache wohnt ſichs unſicher, wenn der Grund

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[0540] forthalfen. Nicht nur iſt dies das angenehmſte Ge- ſchaͤft dankbarer Erinnerung, die auf den lichtvoll- ſten Augenblicken des jugendlichen Lebens am liebſten weilet, ſondern eben dieſe gefuͤhlvolle Auszeichnung erhebt andre gleich Bedraͤngte, ruft andre gleich Edle zu huͤlfreichen Schutzengeln der Verlaſſenen auf. Wie Undankbarkeit das ſchaͤndlichſte Laſter im menſchlichen Leben iſt, ſo wird Dankbarkeit der ſuͤße Weyrauch, der auch das Widrigſte im Leben mit der Erquickung begabet. Noth und Muͤhe ſind dem Zuruͤckdenkenden wie ein Traum voruͤber, die Feſſeln der Pein ſind von unſern Haͤnden hinweg, der lichte Befreyer ſieht vor uns unſerm Herzen eingepraͤgt, unſre Erinnrung unausloͤſchlich. Milde Gabe des Himmels; Balſam, den ein mitfuͤhlender Geiſt dem leidenden Geſchlecht der Sterblichen, durch das Geſetz gab, daß in der Erinnrung das Bittre ſelbſt ſuͤß werde, wenn wir es wohl anwandten, und daß uns in unſerm Leben nichts ſo aufrichtet, ſtaͤrkt und belebt, als das genoſſene Mitgefuͤhl Andrer. Wie Sterne einer andern Welt erſcheinen uns dieſe Edlen; wie Sterne einer andern Welt glaͤnzen ſie ewig in unſerm Herzen erquickend und erwaͤrmend. Niemand iſt, der auch in der fremdeſten Lebensbeſchreibung dergleichen Erſcheinungen nicht mit Wohlgefallen leſe; ſanft be- zaubert lieben und loben wir an andern, was wir ſelbſt vielleicht nicht leiſten konnten Wohlan! andre hoͤhere Gemuͤther werden es leiſten, und du munterteſt ſie dazu an. 4) Ueber Fehler der Jugend huͤpfe man nicht hinweg, ihre Folgen ziehen ſich durchs ganze Leben. Dies baut ſeine Alter wie ſeine Stockwerke uͤbereinander, unter dem Dache wohnt ſichs unſicher, wenn der Grund

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/540>, abgerufen am 17.05.2024.