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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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Rücksicht auf jene nicht ganz vortheilhaft ge-
schildert, hätt ich aber aus Vorliebe für ihre
Persönlichkeit dem Sachrecht Unrecht thun
sollen?

Shakespear läßt den Brutus im Julius
Cäsar
sagen: "Wenn dieser Freund dann
"fragt, warum Brutus gegen Cäsarn auf-
"stand? ist meine Antwort: nicht weil
"ich Cäsarn weniger liebte, son-
"dern weil ich Rom mehr liebte.
"

und in seinem Was ihr wollt sagt Oli-
via: "ein Mann, der als verständig bekannt
"ist, verspottet nicht, wenn er auch nichts
"thut, als tadeln."

Und hat die preussische Staatsverwaltung,
die freylich besser ist, wie viele andre sind,
den guten Ruf schon wirklich verdient in dem
sie bey manchen Schriftstellern steht, wenn
das, was der Jnländer von ihr sieht, jenen
Ruf wiederlegt?

Wer wollte die Vermehrung der Straßen-
orgeln und die etwas richtigere Bestiftung ihrer
Walzen für wahren Fortschritt in der Musik
halten, und von ihren etwas erträglicher
gewordnen Liederweisen Verbesserung in der
Tonkunst erwarten?

Kann man es oft genug sagen, daß durch
zu rasches Einreissen und Abschaffen und zu
künstliches Bauen und Einführen, die Wir-
kungen kluger Einfachheit (mit großem Recht
sancta genannten simplicitas) gehindert wer-
den, und daß ohne Herausreissung aus den
Sümpfen des leiblichen und geistigen Müssig-

Ruͤckſicht auf jene nicht ganz vortheilhaft ge-
ſchildert, haͤtt ich aber aus Vorliebe fuͤr ihre
Perſoͤnlichkeit dem Sachrecht Unrecht thun
ſollen?

Shakespear laͤßt den Brutus im Julius
Caͤſar
ſagen: „Wenn dieſer Freund dann
„fragt, warum Brutus gegen Caͤſarn auf-
„ſtand? iſt meine Antwort: nicht weil
„ich Caͤſarn weniger liebte, ſon-
„dern weil ich Rom mehr liebte.

und in ſeinem Was ihr wollt ſagt Oli-
via: „ein Mann, der als verſtaͤndig bekannt
„iſt, verſpottet nicht, wenn er auch nichts
„thut, als tadeln.“

Und hat die preuſſiſche Staatsverwaltung,
die freylich beſſer iſt, wie viele andre ſind,
den guten Ruf ſchon wirklich verdient in dem
ſie bey manchen Schriftſtellern ſteht, wenn
das, was der Jnlaͤnder von ihr ſieht, jenen
Ruf wiederlegt?

Wer wollte die Vermehrung der Straßen-
orgeln und die etwas richtigere Beſtiftung ihrer
Walzen fuͤr wahren Fortſchritt in der Muſik
halten, und von ihren etwas ertraͤglicher
gewordnen Liederweiſen Verbeſſerung in der
Tonkunſt erwarten?

Kann man es oft genug ſagen, daß durch
zu raſches Einreiſſen und Abſchaffen und zu
kuͤnſtliches Bauen und Einfuͤhren, die Wir-
kungen kluger Einfachheit (mit großem Recht
ſancta genannten ſimplicitas) gehindert wer-
den, und daß ohne Herausreiſſung aus den
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[509/0526] Ruͤckſicht auf jene nicht ganz vortheilhaft ge- ſchildert, haͤtt ich aber aus Vorliebe fuͤr ihre Perſoͤnlichkeit dem Sachrecht Unrecht thun ſollen? Shakespear laͤßt den Brutus im Julius Caͤſar ſagen: „Wenn dieſer Freund dann „fragt, warum Brutus gegen Caͤſarn auf- „ſtand? iſt meine Antwort: nicht weil „ich Caͤſarn weniger liebte, ſon- „dern weil ich Rom mehr liebte.“ und in ſeinem Was ihr wollt ſagt Oli- via: „ein Mann, der als verſtaͤndig bekannt „iſt, verſpottet nicht, wenn er auch nichts „thut, als tadeln.“ Und hat die preuſſiſche Staatsverwaltung, die freylich beſſer iſt, wie viele andre ſind, den guten Ruf ſchon wirklich verdient in dem ſie bey manchen Schriftſtellern ſteht, wenn das, was der Jnlaͤnder von ihr ſieht, jenen Ruf wiederlegt? Wer wollte die Vermehrung der Straßen- orgeln und die etwas richtigere Beſtiftung ihrer Walzen fuͤr wahren Fortſchritt in der Muſik halten, und von ihren etwas ertraͤglicher gewordnen Liederweiſen Verbeſſerung in der Tonkunſt erwarten? Kann man es oft genug ſagen, daß durch zu raſches Einreiſſen und Abſchaffen und zu kuͤnſtliches Bauen und Einfuͤhren, die Wir- kungen kluger Einfachheit (mit großem Recht ſancta genannten ſimplicitas) gehindert wer- den, und daß ohne Herausreiſſung aus den Suͤmpfen des leiblichen und geiſtigen Muͤſſig-

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/526>, abgerufen am 17.05.2024.