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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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verhalf, vermuthlich weil meine Hofmeister
alles zu schnell mit heroischen Mitteln zu-
heilten.

Jch war 15 Jahr alt, als meine Eltern
wahrnahmen, daß ihre durch einige Verluste
geschmälerten Capitalien nicht hinreichen wür-
den, bloß von Zinsen in der Stadt zu leben,
und sich daher entschlossen, mit ihren bey-
den Töchtern aufs Land zu ziehen, mich aber
einer Tante zu übergeben. So sehr mir
anfangs diese Nachricht auffiel, so tröstete
ich mich doch bald durch kindische Freude
über meine künftige größere Freyheit, die
ich doch zu Hause, mehr vielleicht als mir
diente, genoß. Die Aussicht, meine Eltern
in den Ferien zu besuchen und dann von
ihnen gästlich behandelt zu werden, schien
mir überaus reizend. Sie traten ihre Land-
wirthschaft an, und ich zog zu meines Va-
ters jüngsten Schwester, einer Wittwe, die
mir so wie ihre Tochter alles Liebe und Gute
erwieß. Bey einer Schulprüfung hielt ich
eine französische vom Stundenlehrer wider
meinen Willen angefertigte Rede, und lache
noch jetzt, wenn ich an die Tonhände und
Stellungsvariationen denke, zu denen er mir
bey den Proben anrieth, und durch die er

seinem

verhalf, vermuthlich weil meine Hofmeiſter
alles zu ſchnell mit heroiſchen Mitteln zu-
heilten.

Jch war 15 Jahr alt, als meine Eltern
wahrnahmen, daß ihre durch einige Verluſte
geſchmaͤlerten Capitalien nicht hinreichen wuͤr-
den, bloß von Zinſen in der Stadt zu leben,
und ſich daher entſchloſſen, mit ihren bey-
den Toͤchtern aufs Land zu ziehen, mich aber
einer Tante zu uͤbergeben. So ſehr mir
anfangs dieſe Nachricht auffiel, ſo troͤſtete
ich mich doch bald durch kindiſche Freude
uͤber meine kuͤnftige groͤßere Freyheit, die
ich doch zu Hauſe, mehr vielleicht als mir
diente, genoß. Die Ausſicht, meine Eltern
in den Ferien zu beſuchen und dann von
ihnen gaͤſtlich behandelt zu werden, ſchien
mir uͤberaus reizend. Sie traten ihre Land-
wirthſchaft an, und ich zog zu meines Va-
ters juͤngſten Schweſter, einer Wittwe, die
mir ſo wie ihre Tochter alles Liebe und Gute
erwieß. Bey einer Schulpruͤfung hielt ich
eine franzoͤſiſche vom Stundenlehrer wider
meinen Willen angefertigte Rede, und lache
noch jetzt, wenn ich an die Tonhaͤnde und
Stellungsvariationen denke, zu denen er mir
bey den Proben anrieth, und durch die er

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[32/0049] verhalf, vermuthlich weil meine Hofmeiſter alles zu ſchnell mit heroiſchen Mitteln zu- heilten. Jch war 15 Jahr alt, als meine Eltern wahrnahmen, daß ihre durch einige Verluſte geſchmaͤlerten Capitalien nicht hinreichen wuͤr- den, bloß von Zinſen in der Stadt zu leben, und ſich daher entſchloſſen, mit ihren bey- den Toͤchtern aufs Land zu ziehen, mich aber einer Tante zu uͤbergeben. So ſehr mir anfangs dieſe Nachricht auffiel, ſo troͤſtete ich mich doch bald durch kindiſche Freude uͤber meine kuͤnftige groͤßere Freyheit, die ich doch zu Hauſe, mehr vielleicht als mir diente, genoß. Die Ausſicht, meine Eltern in den Ferien zu beſuchen und dann von ihnen gaͤſtlich behandelt zu werden, ſchien mir uͤberaus reizend. Sie traten ihre Land- wirthſchaft an, und ich zog zu meines Va- ters juͤngſten Schweſter, einer Wittwe, die mir ſo wie ihre Tochter alles Liebe und Gute erwieß. Bey einer Schulpruͤfung hielt ich eine franzoͤſiſche vom Stundenlehrer wider meinen Willen angefertigte Rede, und lache noch jetzt, wenn ich an die Tonhaͤnde und Stellungsvariationen denke, zu denen er mir bey den Proben anrieth, und durch die er ſeinem

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/49>, abgerufen am 25.04.2024.