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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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"mir ganz unübersetzbar. Ein großer, viel-
"leicht der größte Theil ihrer Naivität liegt
"einzig in der Sprache, und diese geht in
"der hochdeutschen Mundart verloren. He-
"bel hat selbst Uebersetzungsversuche gemacht,
"und sie zurückgelegt; unsere Sprache ist
"längst zu vornehm geworden, um in den
"Ton eines naiven Landmädchens einzustim-
"men etc."

Verzicht auf alle Prinzeßlichkeit stellte
ihren guten Kopf in vortheilhaftes Licht,
auch kam jenem eine gewisse nicht unculti-
virt gebliebne Naturcoquetterie, *) wofern
dieser Ausdruck nicht ein Bowl ist, und der
Ton ihrer sehr musicalischen Stimme zu
Hülfe.

Solche Naturcoquetterie scheint mir ein
vortrefflicher Boden, der zwar ohne sittliche
Cultur hohes blumigtes Steppengras wach-

*) Eine solche Coquetterie ist auch unserm Geschlecht
nicht fremd, denn Kant sagte zum Hagemann,
den Schadow nach Königsberg geschickt hatte,
um den alten Philosophen zum Behuf der Mar-
morbüste zu modelliren, als er ihn frug: ob er
ihn ganz treu nachbilden sollte? "so alt und häß-
"lich, wie ich nun bin, dürfen sie mich eben nicht
"machen?"

„mir ganz unuͤberſetzbar. Ein großer, viel-
„leicht der groͤßte Theil ihrer Naivitaͤt liegt
„einzig in der Sprache, und dieſe geht in
„der hochdeutſchen Mundart verloren. He-
„bel hat ſelbſt Ueberſetzungsverſuche gemacht,
„und ſie zuruͤckgelegt; unſere Sprache iſt
„laͤngſt zu vornehm geworden, um in den
„Ton eines naiven Landmaͤdchens einzuſtim-
„men ꝛc.“

Verzicht auf alle Prinzeßlichkeit ſtellte
ihren guten Kopf in vortheilhaftes Licht,
auch kam jenem eine gewiſſe nicht unculti-
virt gebliebne Naturcoquetterie, *) wofern
dieſer Ausdruck nicht ein Bowl iſt, und der
Ton ihrer ſehr muſicaliſchen Stimme zu
Huͤlfe.

Solche Naturcoquetterie ſcheint mir ein
vortrefflicher Boden, der zwar ohne ſittliche
Cultur hohes blumigtes Steppengras wach-

*) Eine ſolche Coquetterie iſt auch unſerm Geſchlecht
nicht fremd, denn Kant ſagte zum Hagemann,
den Schadow nach Koͤnigsberg geſchickt hatte,
um den alten Philoſophen zum Behuf der Mar-
morbuͤſte zu modelliren, als er ihn frug: ob er
ihn ganz treu nachbilden ſollte? „ſo alt und haͤß-
„lich, wie ich nun bin, duͤrfen ſie mich eben nicht
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[264/0281] „mir ganz unuͤberſetzbar. Ein großer, viel- „leicht der groͤßte Theil ihrer Naivitaͤt liegt „einzig in der Sprache, und dieſe geht in „der hochdeutſchen Mundart verloren. He- „bel hat ſelbſt Ueberſetzungsverſuche gemacht, „und ſie zuruͤckgelegt; unſere Sprache iſt „laͤngſt zu vornehm geworden, um in den „Ton eines naiven Landmaͤdchens einzuſtim- „men ꝛc.“ Verzicht auf alle Prinzeßlichkeit ſtellte ihren guten Kopf in vortheilhaftes Licht, auch kam jenem eine gewiſſe nicht unculti- virt gebliebne Naturcoquetterie, *) wofern dieſer Ausdruck nicht ein Bowl iſt, und der Ton ihrer ſehr muſicaliſchen Stimme zu Huͤlfe. Solche Naturcoquetterie ſcheint mir ein vortrefflicher Boden, der zwar ohne ſittliche Cultur hohes blumigtes Steppengras wach- *) Eine ſolche Coquetterie iſt auch unſerm Geſchlecht nicht fremd, denn Kant ſagte zum Hagemann, den Schadow nach Koͤnigsberg geſchickt hatte, um den alten Philoſophen zum Behuf der Mar- morbuͤſte zu modelliren, als er ihn frug: ob er ihn ganz treu nachbilden ſollte? „ſo alt und haͤß- „lich, wie ich nun bin, duͤrfen ſie mich eben nicht „machen?“

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/281>, abgerufen am 27.11.2024.