Anfangs Septembers 1806. schrieb ich eine Art von Epistel an Johannes Müller, in der die Frage: wo will das hin, in Rücksicht auf mein eignes Jch mehrmals vorkommt. Mit weit lebhafterm Jnteresse frug ich mich aber seit der eingezogenen Nachricht von der Auerstädter Schlacht mit Rücksicht auf den preußischen Staat: wo will das hin? Wenn man mit Vorstel- lungen von der Wichtigkeit seines Vater- landes alt und grau geworden und von der Greisheitslast nicht ganz zur Fühllosigkeit herabgedrückt ist, so macht das Sehen in den Abgrund der Erniedrigung einem den Kopf schwindlich, und die Fragen: wo will das hin? wer hätte das denken können? und wie war das möglich? setzen sich auf das patriotische Herz wie der Geyer auf die Le- ber des Prometheus. Jn dem, was ich mir zu ihrer Beantwortung denke, find' ich nur neue Gründe für den Glauben, daß ge- wisse Jahre zum Führen großer Geschäfte, die auch leibliche Thätigkeit erfordern, nicht tauglich sind; daß Leichtsinn der obersten Be- hörden zu vielen Erbärmlichkeiten und gro- ben Pflichtvergessenheiten der untern Behör-, den Anlaß giebt; daß die richtigsten Theo-
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Anfangs Septembers 1806. ſchrieb ich eine Art von Epiſtel an Johannes Muͤller, in der die Frage: wo will das hin, in Ruͤckſicht auf mein eignes Jch mehrmals vorkommt. Mit weit lebhafterm Jntereſſe frug ich mich aber ſeit der eingezogenen Nachricht von der Auerſtaͤdter Schlacht mit Ruͤckſicht auf den preußiſchen Staat: wo will das hin? Wenn man mit Vorſtel- lungen von der Wichtigkeit ſeines Vater- landes alt und grau geworden und von der Greisheitslaſt nicht ganz zur Fuͤhlloſigkeit herabgedruͤckt iſt, ſo macht das Sehen in den Abgrund der Erniedrigung einem den Kopf ſchwindlich, und die Fragen: wo will das hin? wer haͤtte das denken koͤnnen? und wie war das moͤglich? ſetzen ſich auf das patriotiſche Herz wie der Geyer auf die Le- ber des Prometheus. Jn dem, was ich mir zu ihrer Beantwortung denke, find’ ich nur neue Gruͤnde fuͤr den Glauben, daß ge- wiſſe Jahre zum Fuͤhren großer Geſchaͤfte, die auch leibliche Thaͤtigkeit erfordern, nicht tauglich ſind; daß Leichtſinn der oberſten Be- hoͤrden zu vielen Erbaͤrmlichkeiten und gro- ben Pflichtvergeſſenheiten der untern Behoͤr-, den Anlaß giebt; daß die richtigſten Theo-
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Anfangs Septembers 1806. ſchrieb ich
eine Art von Epiſtel an Johannes Muͤller,
in der die Frage: wo will das hin,
in Ruͤckſicht auf mein eignes Jch mehrmals
vorkommt. Mit weit lebhafterm Jntereſſe
frug ich mich aber ſeit der eingezogenen
Nachricht von der Auerſtaͤdter Schlacht mit
Ruͤckſicht auf den preußiſchen Staat: wo
will das hin? Wenn man mit Vorſtel-
lungen von der Wichtigkeit ſeines Vater-
landes alt und grau geworden und von der
Greisheitslaſt nicht ganz zur Fuͤhlloſigkeit
herabgedruͤckt iſt, ſo macht das Sehen in den
Abgrund der Erniedrigung einem den Kopf
ſchwindlich, und die Fragen: wo will
das hin? wer haͤtte das denken koͤnnen?
und wie war das moͤglich? ſetzen ſich auf das
patriotiſche Herz wie der Geyer auf die Le-
ber des Prometheus. Jn dem, was ich
mir zu ihrer Beantwortung denke, find’ ich
nur neue Gruͤnde fuͤr den Glauben, daß ge-
wiſſe Jahre zum Fuͤhren großer Geſchaͤfte,
die auch leibliche Thaͤtigkeit erfordern, nicht
tauglich ſind; daß Leichtſinn der oberſten Be-
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/274>, abgerufen am 27.11.2024.
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