"ders eine höchstgefährliche Klippe für die- "jenigen Menschen sey, deren großer Werth "und Zierde in einer liebenswürdigen Wahr- "heit und Natürlichkeit besteht, wohin außer "vielen Männern das andre Geschlecht zu "rechnen ist. Zweytens folgt daraus, daß, "wenn Bücher recht auf das Gemüth des "Lesers wirken sollen (doch wohl der höchste "Zweck mehrerer Gattungen von Schriften, "mit Ausnahme eigentlich wissenschaftlicher "Werke), der Verfasser sich in möglichst ge- "ringe Entfernung von dem Leser stellen "müsse. Daß dieses nicht geschah, ist Haupt- "ursache des Verfalls der neuen Literatur, "nicht allein der deutschen, sondern eben so "sehr der französischen und englischen. Wir "sind freylich auf dem Standpunkt der "Cultur, zu welcher die gewöhnliche Ge- "schwätzigkeit des Montaigne nicht mehr "paßt, allein eben so gegründet ist es, daß "eine vollkommne Entziehung der Persön- "lichkeit der Verfasser in manchen Gattun- "gen von Büchern theils unmöglich, theils "die versuchte sehr nachtheilig wird. Die "Affektation, den Leser vom Autor in Ent- "fernung zu halten, nur blenden, nur frap- "piren, nur auf die Vernunft und den
„ders eine hoͤchſtgefaͤhrliche Klippe fuͤr die- „jenigen Menſchen ſey, deren großer Werth „und Zierde in einer liebenswuͤrdigen Wahr- „heit und Natuͤrlichkeit beſteht, wohin außer „vielen Maͤnnern das andre Geſchlecht zu „rechnen iſt. Zweytens folgt daraus, daß, „wenn Buͤcher recht auf das Gemuͤth des „Leſers wirken ſollen (doch wohl der hoͤchſte „Zweck mehrerer Gattungen von Schriften, „mit Ausnahme eigentlich wiſſenſchaftlicher „Werke), der Verfaſſer ſich in moͤglichſt ge- „ringe Entfernung von dem Leſer ſtellen „muͤſſe. Daß dieſes nicht geſchah, iſt Haupt- „urſache des Verfalls der neuen Literatur, „nicht allein der deutſchen, ſondern eben ſo „ſehr der franzoͤſiſchen und engliſchen. Wir „ſind freylich auf dem Standpunkt der „Cultur, zu welcher die gewoͤhnliche Ge- „ſchwaͤtzigkeit des Montaigne nicht mehr „paßt, allein eben ſo gegruͤndet iſt es, daß „eine vollkommne Entziehung der Perſoͤn- „lichkeit der Verfaſſer in manchen Gattun- „gen von Buͤchern theils unmoͤglich, theils „die verſuchte ſehr nachtheilig wird. Die „Affektation, den Leſer vom Autor in Ent- „fernung zu halten, nur blenden, nur frap- „piren, nur auf die Vernunft und den
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„ders eine hoͤchſtgefaͤhrliche Klippe fuͤr die-
„jenigen Menſchen ſey, deren großer Werth
„und Zierde in einer liebenswuͤrdigen Wahr-
„heit und Natuͤrlichkeit beſteht, wohin außer
„vielen Maͤnnern das andre Geſchlecht zu
„rechnen iſt. Zweytens folgt daraus, daß,
„wenn Buͤcher recht auf das Gemuͤth des
„Leſers wirken ſollen (doch wohl der hoͤchſte
„Zweck mehrerer Gattungen von Schriften,
„mit Ausnahme eigentlich wiſſenſchaftlicher
„Werke), der Verfaſſer ſich in moͤglichſt ge-
„ringe Entfernung von dem Leſer ſtellen
„muͤſſe. Daß dieſes nicht geſchah, iſt Haupt-
„urſache des Verfalls der neuen Literatur,
„nicht allein der deutſchen, ſondern eben ſo
„ſehr der franzoͤſiſchen und engliſchen. Wir
„ſind freylich auf dem Standpunkt der
„Cultur, zu welcher die gewoͤhnliche Ge-
„ſchwaͤtzigkeit des Montaigne nicht mehr
„paßt, allein eben ſo gegruͤndet iſt es, daß
„eine vollkommne Entziehung der Perſoͤn-
„lichkeit der Verfaſſer in manchen Gattun-
„gen von Buͤchern theils unmoͤglich, theils
„die verſuchte ſehr nachtheilig wird. Die
„Affektation, den Leſer vom Autor in Ent-
„fernung zu halten, nur blenden, nur frap-
„piren, nur auf die Vernunft und den
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/199>, abgerufen am 22.11.2024.
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