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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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"Verstand wirken zu wollen, geht daraus
"hervor. Aus diesem folgt das Einherschrei-
"ten auf Stelzen, das Sententiöse nach
"Senecas Manier, das Orakeln in For-
"meln, das Gesuchte, das Gemachte in al-
"ler Art. Wahrer Geist, herausquellend
"aus der ganzen ungesuchten Eigenthüm-
"lichkeit des Autors, aus seinem Gemüthe,
"die allein dauernd stark auf den Leser ein-
"wirkt, geht dabey verloren. Selbst die
"besten, die nicht künsteln, nicht affektiren
"wollen, laufen in einem sogenannten phi-
"losophischen Jahrhundert, welches nur Re-
"sultate, nur Vernunftschlüsse hören mag,
"große Gefahr, in Trockenheit zu verfallen,
"wenn sie sich in der Schriftstellerey der
"natürlichen Lebendigkeit, dem Gehenlassen
"gänzlich zu entäußern suchen, und sicher
"ist das viele Arbeiten an Journalen eine
"der bedeutenden Hauptursachen, welche aus
"einleuchtenden Gründen auf diesen Abweg
"führt. Unsre ersten Schriftsteller, Win-
"kelmann, Lessing, Zimmermann,

"theilen sich dem aufmerksamen Veobachter,
"natürlich nach Maaßgabe der Verschieden-
"heit des Jnhalts, in ihrer ganzen Persön-
"lichkeit mit. Die sich über alles erstreckende

„Verſtand wirken zu wollen, geht daraus
„hervor. Aus dieſem folgt das Einherſchrei-
„ten auf Stelzen, das Sententioͤſe nach
„Senecas Manier, das Orakeln in For-
„meln, das Geſuchte, das Gemachte in al-
„ler Art. Wahrer Geiſt, herausquellend
„aus der ganzen ungeſuchten Eigenthuͤm-
„lichkeit des Autors, aus ſeinem Gemuͤthe,
„die allein dauernd ſtark auf den Leſer ein-
„wirkt, geht dabey verloren. Selbſt die
„beſten, die nicht kuͤnſteln, nicht affektiren
„wollen, laufen in einem ſogenannten phi-
„loſophiſchen Jahrhundert, welches nur Re-
„ſultate, nur Vernunftſchluͤſſe hoͤren mag,
„große Gefahr, in Trockenheit zu verfallen,
„wenn ſie ſich in der Schriftſtellerey der
„natuͤrlichen Lebendigkeit, dem Gehenlaſſen
„gaͤnzlich zu entaͤußern ſuchen, und ſicher
„iſt das viele Arbeiten an Journalen eine
„der bedeutenden Haupturſachen, welche aus
„einleuchtenden Gruͤnden auf dieſen Abweg
„fuͤhrt. Unſre erſten Schriftſteller, Win-
„kelmann, Leſſing, Zimmermann,

„theilen ſich dem aufmerkſamen Veobachter,
„natuͤrlich nach Maaßgabe der Verſchieden-
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[183/0200] „Verſtand wirken zu wollen, geht daraus „hervor. Aus dieſem folgt das Einherſchrei- „ten auf Stelzen, das Sententioͤſe nach „Senecas Manier, das Orakeln in For- „meln, das Geſuchte, das Gemachte in al- „ler Art. Wahrer Geiſt, herausquellend „aus der ganzen ungeſuchten Eigenthuͤm- „lichkeit des Autors, aus ſeinem Gemuͤthe, „die allein dauernd ſtark auf den Leſer ein- „wirkt, geht dabey verloren. Selbſt die „beſten, die nicht kuͤnſteln, nicht affektiren „wollen, laufen in einem ſogenannten phi- „loſophiſchen Jahrhundert, welches nur Re- „ſultate, nur Vernunftſchluͤſſe hoͤren mag, „große Gefahr, in Trockenheit zu verfallen, „wenn ſie ſich in der Schriftſtellerey der „natuͤrlichen Lebendigkeit, dem Gehenlaſſen „gaͤnzlich zu entaͤußern ſuchen, und ſicher „iſt das viele Arbeiten an Journalen eine „der bedeutenden Haupturſachen, welche aus „einleuchtenden Gruͤnden auf dieſen Abweg „fuͤhrt. Unſre erſten Schriftſteller, Win- „kelmann, Leſſing, Zimmermann, „theilen ſich dem aufmerkſamen Veobachter, „natuͤrlich nach Maaßgabe der Verſchieden- „heit des Jnhalts, in ihrer ganzen Perſoͤn- „lichkeit mit. Die ſich uͤber alles erſtreckende

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/200>, abgerufen am 03.05.2024.