Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

Einsamkeit etc. ist mir der Unterschied zwi-
schen dem, was ein Autor diktirt, und dem,
was er selbst aufschreibt, sehr aufgefallen.
Beym ersten fließt manches Wort zu viel
ein, und es werden Lückenbüßer eingemischt,
die die Nachrevision nicht immer wegschafft.
Von leiblich blinden Schriftstellern ist daher
Präcision des Ausdrucks selten zu erwarten,
auch nicht zu fordern, so hab ich auch irgend-
wo gelesen, daß sich die selbstgeschrieb-
nen
Briefe der Sevigne an ihre Tochter
sehr gut von denen, die sie an selbige diktirt,
sollen unterscheiden lassen.

Jn der Vorrede zu den Anno 1809. er-
schienenen Lettres et pensees du Prince de
Ligne
hat die Frau von Stael den
Unterschied zwischen dem stil parle (Con-
versation) und dem Bücherstil auseinander-
gesetzt, wo sie sagt, ein Buch habe immer
etwas von einem Schema, das den Autor
in einige Entfernung vom Leser stelle. Der
Göttingsche Recensent (vermuthlich Bran-
des) sagt darüber (Jn Anz. No. 104. von
1809.): "Aus dieser im Ganzen richtigen
"Ansicht folgt für uns zweyerley: erstlich,
"daß, die Autoren leicht pedantisch oder un-
"wahr werden, die Autorschaft ganz beson-

Einſamkeit ꝛc. iſt mir der Unterſchied zwi-
ſchen dem, was ein Autor diktirt, und dem,
was er ſelbſt aufſchreibt, ſehr aufgefallen.
Beym erſten fließt manches Wort zu viel
ein, und es werden Luͤckenbuͤßer eingemiſcht,
die die Nachreviſion nicht immer wegſchafft.
Von leiblich blinden Schriftſtellern iſt daher
Praͤciſion des Ausdrucks ſelten zu erwarten,
auch nicht zu fordern, ſo hab ich auch irgend-
wo geleſen, daß ſich die ſelbſtgeſchrieb-
nen
Briefe der Sevigne an ihre Tochter
ſehr gut von denen, die ſie an ſelbige diktirt,
ſollen unterſcheiden laſſen.

Jn der Vorrede zu den Anno 1809. er-
ſchienenen Lettres et penſèes du Prince de
Ligne
hat die Frau von Stael den
Unterſchied zwiſchen dem ſtil parlé (Con-
verſation) und dem Buͤcherſtil auseinander-
geſetzt, wo ſie ſagt, ein Buch habe immer
etwas von einem Schema, das den Autor
in einige Entfernung vom Leſer ſtelle. Der
Goͤttingſche Recenſent (vermuthlich Bran-
des) ſagt daruͤber (Jn Anz. No. 104. von
1809.): „Aus dieſer im Ganzen richtigen
„Anſicht folgt fuͤr uns zweyerley: erſtlich,
„daß, die Autoren leicht pedantiſch oder un-
„wahr werden, die Autorſchaft ganz beſon-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0198" n="181"/>
Ein&#x017F;amkeit &#xA75B;c. i&#x017F;t mir der Unter&#x017F;chied zwi-<lb/>
&#x017F;chen dem, was ein Autor diktirt, und dem,<lb/>
was er &#x017F;elb&#x017F;t auf&#x017F;chreibt, &#x017F;ehr aufgefallen.<lb/>
Beym er&#x017F;ten fließt manches Wort zu viel<lb/>
ein, und es werden Lu&#x0364;ckenbu&#x0364;ßer eingemi&#x017F;cht,<lb/>
die die Nachrevi&#x017F;ion nicht immer weg&#x017F;chafft.<lb/>
Von leiblich blinden Schrift&#x017F;tellern i&#x017F;t daher<lb/>
Pra&#x0364;ci&#x017F;ion des Ausdrucks &#x017F;elten zu erwarten,<lb/>
auch nicht zu fordern, &#x017F;o hab ich auch irgend-<lb/>
wo gele&#x017F;en, daß &#x017F;ich die <hi rendition="#g">&#x017F;elb&#x017F;tge&#x017F;chrieb-<lb/>
nen</hi> Briefe der Sevigne an ihre Tochter<lb/>
&#x017F;ehr gut von denen, die &#x017F;ie an &#x017F;elbige diktirt,<lb/>
&#x017F;ollen unter&#x017F;cheiden la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Jn der Vorrede zu den Anno 1809. er-<lb/>
&#x017F;chienenen <hi rendition="#aq">Lettres et pen&#x017F;èes du Prince de<lb/>
Ligne</hi> hat die Frau von <hi rendition="#g">Stael</hi> den<lb/>
Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen dem <hi rendition="#aq">&#x017F;til parlé</hi> (Con-<lb/>
ver&#x017F;ation) und dem Bu&#x0364;cher&#x017F;til auseinander-<lb/>
ge&#x017F;etzt, wo &#x017F;ie &#x017F;agt, ein Buch habe immer<lb/>
etwas von einem Schema, das den Autor<lb/>
in einige Entfernung vom Le&#x017F;er &#x017F;telle. Der<lb/>
Go&#x0364;tting&#x017F;che Recen&#x017F;ent (vermuthlich Bran-<lb/>
des) &#x017F;agt daru&#x0364;ber (Jn Anz. No. 104. von<lb/>
1809.): <cit><quote>&#x201E;Aus die&#x017F;er im Ganzen richtigen<lb/>
&#x201E;An&#x017F;icht folgt fu&#x0364;r uns zweyerley: er&#x017F;tlich,<lb/>
&#x201E;daß, die Autoren leicht pedanti&#x017F;ch oder un-<lb/>
&#x201E;wahr werden, die Autor&#x017F;chaft ganz be&#x017F;on-<lb/></quote></cit></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181/0198] Einſamkeit ꝛc. iſt mir der Unterſchied zwi- ſchen dem, was ein Autor diktirt, und dem, was er ſelbſt aufſchreibt, ſehr aufgefallen. Beym erſten fließt manches Wort zu viel ein, und es werden Luͤckenbuͤßer eingemiſcht, die die Nachreviſion nicht immer wegſchafft. Von leiblich blinden Schriftſtellern iſt daher Praͤciſion des Ausdrucks ſelten zu erwarten, auch nicht zu fordern, ſo hab ich auch irgend- wo geleſen, daß ſich die ſelbſtgeſchrieb- nen Briefe der Sevigne an ihre Tochter ſehr gut von denen, die ſie an ſelbige diktirt, ſollen unterſcheiden laſſen. Jn der Vorrede zu den Anno 1809. er- ſchienenen Lettres et penſèes du Prince de Ligne hat die Frau von Stael den Unterſchied zwiſchen dem ſtil parlé (Con- verſation) und dem Buͤcherſtil auseinander- geſetzt, wo ſie ſagt, ein Buch habe immer etwas von einem Schema, das den Autor in einige Entfernung vom Leſer ſtelle. Der Goͤttingſche Recenſent (vermuthlich Bran- des) ſagt daruͤber (Jn Anz. No. 104. von 1809.): „Aus dieſer im Ganzen richtigen „Anſicht folgt fuͤr uns zweyerley: erſtlich, „daß, die Autoren leicht pedantiſch oder un- „wahr werden, die Autorſchaft ganz beſon-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/198
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/198>, abgerufen am 03.05.2024.