Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

Uebrigens ging ich den gewöhnlichen
Dienstgang, auf dem vor dreyßig und eini-
gen Jahren selten einer den andern vorzu-
laufen, oder längre Tagreisen zu machen

"Lohn und Bequemlichkeit diesen als Menschen-
"charakter,
als Ziel und Genuß eines
"würdigen Menschenlebens.
Ein honet-
"ter Mann thut nichts Häßliches, wenn es den
"Augen der Welt auch verborgeu bliebe, er kann
"es nicht thun, denn es ist häßlich. Er muß
"sich ja vor sich selbst schämen. Ein Edelge-
"sinnter thut, was ihm sein Herz gebietet,
"sein selbst
d. i. der Gesinnung wegen, die im
"Gefühl der höchsten Convenienz, ohne alle Rück-
"und Seitenblicke sich ihrer Pflicht ganz und
"froh hingiebt. Nehmt der Tugend diesen Reiz,
"den Stachel der Liebe, wie eine hölzerne
"Braut sieht das Sittengesetz da, weder geliebt,
"noch fähig geliebt zu werden. Was erweckt
"Liebe? Jm Himmel und auf Erden nichts an-
"ders, als das kalon der Griechen. Das Vor-
"treffliche, das uns als unsre Bestimmung innig an-
"spricht
und ruft und fodert, das pulchrum,
"honestum, decens, decorum,
unser Ein und
"Alles, die Summe des Schönen. Sie ruft
"mich, nur mich zum Werk, das kein andrer
"statt meiner thun kann, denn es ist meiner
"Natur harmonisch. Die Gottheit selbst ruft mir.
"daß ich es thue, sie ist in mir und wird mich
"stärken. Wer den inwohnenden Reiz der ächten
"Honettetät einer Menschensecle, einer

Uebrigens ging ich den gewoͤhnlichen
Dienſtgang, auf dem vor dreyßig und eini-
gen Jahren ſelten einer den andern vorzu-
laufen, oder laͤngre Tagreiſen zu machen

„Lohn und Bequemlichkeit dieſen als Menſchen-
„charakter,
als Ziel und Genuß eines
„wuͤrdigen Menſchenlebens.
Ein honet-
„ter Mann thut nichts Haͤßliches, wenn es den
„Augen der Welt auch verborgeu bliebe, er kann
„es nicht thun, denn es iſt haͤßlich. Er muß
„ſich ja vor ſich ſelbſt ſchaͤmen. Ein Edelge-
„ſinnter thut, was ihm ſein Herz gebietet,
„ſein ſelbſt
d. i. der Geſinnung wegen, die im
„Gefuͤhl der hoͤchſten Convenienz, ohne alle Ruͤck-
„und Seitenblicke ſich ihrer Pflicht ganz und
„froh hingiebt. Nehmt der Tugend dieſen Reiz,
„den Stachel der Liebe, wie eine hoͤlzerne
„Braut ſieht das Sittengeſetz da, weder geliebt,
„noch faͤhig geliebt zu werden. Was erweckt
„Liebe? Jm Himmel und auf Erden nichts an-
„ders, als das καλον der Griechen. Das Vor-
„treffliche, das uns als unſre Beſtimmung innig an-
„ſpricht
und ruft und fodert, das pulchrum,
„honeſtum, decens, decorum,
unſer Ein und
Alles, die Summe des Schoͤnen. Sie ruft
mich, nur mich zum Werk, das kein andrer
„ſtatt meiner thun kann, denn es iſt meiner
„Natur harmoniſch. Die Gottheit ſelbſt ruft mir.
„daß ich es thue, ſie iſt in mir und wird mich
„ſtaͤrken. Wer den inwohnenden Reiz der aͤchten
Honettetaͤt einer Menſchenſecle, einer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0156" n="139"/>
        <p>Uebrigens ging ich den gewo&#x0364;hnlichen<lb/>
Dien&#x017F;tgang, auf dem vor dreyßig und eini-<lb/>
gen Jahren &#x017F;elten einer den andern vorzu-<lb/>
laufen, oder la&#x0364;ngre Tagrei&#x017F;en zu machen<lb/><note next="#seg2pn_12_3" xml:id="seg2pn_12_2" prev="#seg2pn_12_1" place="foot" n="*)"><cit><quote>&#x201E;Lohn und Bequemlichkeit die&#x017F;en als <hi rendition="#g">Men&#x017F;chen-<lb/>
&#x201E;charakter,</hi> als <hi rendition="#g">Ziel</hi> und <hi rendition="#g">Genuß eines<lb/>
&#x201E;wu&#x0364;rdigen Men&#x017F;chenlebens.</hi> Ein honet-<lb/>
&#x201E;ter Mann thut nichts Ha&#x0364;ßliches, wenn es den<lb/>
&#x201E;Augen der Welt auch verborgeu bliebe, er <hi rendition="#g">kann</hi><lb/>
&#x201E;es nicht thun, denn es i&#x017F;t <hi rendition="#g">ha&#x0364;ßlich.</hi> Er muß<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich ja vor &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#g">&#x017F;cha&#x0364;men.</hi> Ein Edelge-<lb/>
&#x201E;&#x017F;innter thut, was ihm &#x017F;ein <hi rendition="#g">Herz gebietet,<lb/>
&#x201E;&#x017F;ein &#x017F;elb&#x017F;t</hi> d. i. der Ge&#x017F;innung wegen, die im<lb/>
&#x201E;Gefu&#x0364;hl der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Convenienz, ohne alle Ru&#x0364;ck-<lb/>
&#x201E;und Seitenblicke &#x017F;ich <hi rendition="#g">ihrer</hi> Pflicht ganz und<lb/>
&#x201E;froh hingiebt. Nehmt der Tugend die&#x017F;en Reiz,<lb/>
&#x201E;den <hi rendition="#g">Stachel der Liebe,</hi> wie eine ho&#x0364;lzerne<lb/>
&#x201E;Braut &#x017F;ieht das Sittenge&#x017F;etz da, weder geliebt,<lb/>
&#x201E;noch fa&#x0364;hig geliebt zu werden. Was erweckt<lb/>
&#x201E;Liebe? Jm Himmel und auf Erden nichts an-<lb/>
&#x201E;ders, als das &#x03BA;&#x03B1;&#x03BB;&#x03BF;&#x03BD; der Griechen. Das Vor-<lb/>
&#x201E;treffliche, das uns als un&#x017F;re Be&#x017F;timmung innig <hi rendition="#g">an-<lb/>
&#x201E;&#x017F;pricht</hi> und ruft und fodert, das <hi rendition="#aq">pulchrum,<lb/>
&#x201E;hone&#x017F;tum, decens, decorum,</hi> un&#x017F;er <hi rendition="#g">Ein</hi> und<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">Alles,</hi> die Summe des Scho&#x0364;nen. Sie ruft<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">mich, nur mich</hi> zum Werk, das kein andrer<lb/>
&#x201E;&#x017F;tatt meiner thun kann, denn es i&#x017F;t <hi rendition="#g">meiner</hi><lb/>
&#x201E;Natur harmoni&#x017F;ch. Die Gottheit &#x017F;elb&#x017F;t ruft mir.<lb/>
&#x201E;daß ich es thue, &#x017F;ie i&#x017F;t in mir und wird mich<lb/>
&#x201E;&#x017F;ta&#x0364;rken. Wer den inwohnenden Reiz der a&#x0364;chten<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">Honetteta&#x0364;t einer Men&#x017F;chen&#x017F;ecle,</hi> einer</quote></cit></note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0156] Uebrigens ging ich den gewoͤhnlichen Dienſtgang, auf dem vor dreyßig und eini- gen Jahren ſelten einer den andern vorzu- laufen, oder laͤngre Tagreiſen zu machen *) *) „Lohn und Bequemlichkeit dieſen als Menſchen- „charakter, als Ziel und Genuß eines „wuͤrdigen Menſchenlebens. Ein honet- „ter Mann thut nichts Haͤßliches, wenn es den „Augen der Welt auch verborgeu bliebe, er kann „es nicht thun, denn es iſt haͤßlich. Er muß „ſich ja vor ſich ſelbſt ſchaͤmen. Ein Edelge- „ſinnter thut, was ihm ſein Herz gebietet, „ſein ſelbſt d. i. der Geſinnung wegen, die im „Gefuͤhl der hoͤchſten Convenienz, ohne alle Ruͤck- „und Seitenblicke ſich ihrer Pflicht ganz und „froh hingiebt. Nehmt der Tugend dieſen Reiz, „den Stachel der Liebe, wie eine hoͤlzerne „Braut ſieht das Sittengeſetz da, weder geliebt, „noch faͤhig geliebt zu werden. Was erweckt „Liebe? Jm Himmel und auf Erden nichts an- „ders, als das καλον der Griechen. Das Vor- „treffliche, das uns als unſre Beſtimmung innig an- „ſpricht und ruft und fodert, das pulchrum, „honeſtum, decens, decorum, unſer Ein und „Alles, die Summe des Schoͤnen. Sie ruft „mich, nur mich zum Werk, das kein andrer „ſtatt meiner thun kann, denn es iſt meiner „Natur harmoniſch. Die Gottheit ſelbſt ruft mir. „daß ich es thue, ſie iſt in mir und wird mich „ſtaͤrken. Wer den inwohnenden Reiz der aͤchten „Honettetaͤt einer Menſchenſecle, einer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/156
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/156>, abgerufen am 03.05.2024.