Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

Werke noch nicht gelesen hat, zu hoch span-
nen, den noch nicht ganz sichern-Geschmack
irre führen oder beunruhigen, und dem schon
befestigten manchmal anstößig werden, wenn
seine Erfahrungen ihm andere Resultate ge-
liefert haben, die daun ihn, der in ihrer
Zustimmung ein befriedigendes Zeuguiß für
die Richtigkeit seines Urtheils suchte, ver-
anlassen können, den Kritikus für exaltirt,
oder partheyisch zu halten?

Herders Bemerkungen über den kalos
khagathos erinnern mich an den Eindruck, den
die Jdee eines griechischen kalos khagathos auf
mich gemacht, und wie sie in mir, ohne
eben das principibus viris placuisse non
ultima laus est
zu denken, den Wunsch er-
regt, ein solcher zu werden. Mir scheint in
ihr das Jdeal der brittischen Gentlemanu-
schaft zu liegen. *)

*) "Das kalon der Alten begriff in sich, nicht den
"flachen Anschein, mit welchem wir tändeln. Jh-
"nen war es der höchste Begriff der Harmonie,
"des Anstandes, der Würde, die auch höchste
"Pflicht ist. Dieser Begriff schließt weder die
"Nutzbarkeit der Handlungen aus, noch weniger
"Pflicht, schwere Pflicht. Vielmehr ist diese
"Schönheit des Menschen nichts als reiner
"Charakter.
Sie fordert ohne Rücksicht auf

Werke noch nicht geleſen hat, zu hoch ſpan-
nen, den noch nicht ganz ſichern-Geſchmack
irre fuͤhren oder beunruhigen, und dem ſchon
befeſtigten manchmal anſtoͤßig werden, wenn
ſeine Erfahrungen ihm andere Reſultate ge-
liefert haben, die daun ihn, der in ihrer
Zuſtimmung ein befriedigendes Zeuguiß fuͤr
die Richtigkeit ſeines Urtheils ſuchte, ver-
anlaſſen koͤnnen, den Kritikus fuͤr exaltirt,
oder partheyiſch zu halten?

Herders Bemerkungen uͤber den ϰαλος
χἀγαϑος erinnern mich an den Eindruck, den
die Jdee eines griechiſchen ϰαλος χἀγαϑος auf
mich gemacht, und wie ſie in mir, ohne
eben das principibus viris placuiſſe non
ultima laus eſt
zu denken, den Wunſch er-
regt, ein ſolcher zu werden. Mir ſcheint in
ihr das Jdeal der brittiſchen Gentlemanu-
ſchaft zu liegen. *)

*) „Das ϰαλον der Alten begriff in ſich, nicht den
„flachen Anſchein, mit welchem wir taͤndeln. Jh-
„nen war es der hoͤchſte Begriff der Harmonie,
„des Anſtandes, der Wuͤrde, die auch hoͤchſte
Pflicht iſt. Dieſer Begriff ſchließt weder die
„Nutzbarkeit der Handlungen aus, noch weniger
„Pflicht, ſchwere Pflicht. Vielmehr iſt dieſe
„Schoͤnheit des Menſchen nichts als reiner
„Charakter.
Sie fordert ohne Ruͤckſicht auf
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0155" n="138"/>
Werke noch nicht gele&#x017F;en hat, zu hoch &#x017F;pan-<lb/>
nen, den noch nicht ganz &#x017F;ichern-Ge&#x017F;chmack<lb/>
irre fu&#x0364;hren oder beunruhigen, und dem &#x017F;chon<lb/>
befe&#x017F;tigten manchmal an&#x017F;to&#x0364;ßig werden, wenn<lb/>
&#x017F;eine Erfahrungen ihm andere Re&#x017F;ultate ge-<lb/>
liefert haben, die daun ihn, der in ihrer<lb/>
Zu&#x017F;timmung ein befriedigendes Zeuguiß fu&#x0364;r<lb/>
die Richtigkeit &#x017F;eines Urtheils &#x017F;uchte, ver-<lb/>
anla&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnen, den Kritikus fu&#x0364;r exaltirt,<lb/>
oder partheyi&#x017F;ch zu halten?</p><lb/>
        <p>Herders Bemerkungen u&#x0364;ber den &#x03F0;&#x03B1;&#x03BB;&#x03BF;&#x03C2;<lb/>
&#x03C7;&#x1F00;&#x03B3;&#x03B1;&#x03D1;&#x03BF;&#x03C2; erinnern mich an den Eindruck, den<lb/>
die Jdee eines griechi&#x017F;chen &#x03F0;&#x03B1;&#x03BB;&#x03BF;&#x03C2; &#x03C7;&#x1F00;&#x03B3;&#x03B1;&#x03D1;&#x03BF;&#x03C2; auf<lb/>
mich gemacht, und wie &#x017F;ie in mir, ohne<lb/>
eben das <hi rendition="#aq">principibus viris placui&#x017F;&#x017F;e non<lb/>
ultima laus e&#x017F;t</hi> zu denken, den Wun&#x017F;ch er-<lb/>
regt, ein &#x017F;olcher zu werden. Mir &#x017F;cheint in<lb/>
ihr das Jdeal der britti&#x017F;chen Gentlemanu-<lb/>
&#x017F;chaft zu liegen. <note xml:id="seg2pn_12_1" next="#seg2pn_12_2" place="foot" n="*)"><cit><quote>&#x201E;Das &#x03F0;&#x03B1;&#x03BB;&#x03BF;&#x03BD; der Alten begriff in &#x017F;ich, nicht den<lb/>
&#x201E;flachen An&#x017F;chein, mit welchem wir ta&#x0364;ndeln. Jh-<lb/>
&#x201E;nen war es der ho&#x0364;ch&#x017F;te Begriff der <hi rendition="#g">Harmonie,</hi><lb/>
&#x201E;des <hi rendition="#g">An&#x017F;tandes,</hi> der <hi rendition="#g">Wu&#x0364;rde,</hi> die auch ho&#x0364;ch&#x017F;te<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">Pflicht</hi> i&#x017F;t. Die&#x017F;er Begriff &#x017F;chließt weder die<lb/>
&#x201E;Nutzbarkeit der Handlungen aus, noch weniger<lb/>
&#x201E;Pflicht, <hi rendition="#g">&#x017F;chwere Pflicht.</hi> Vielmehr i&#x017F;t die&#x017F;e<lb/>
&#x201E;Scho&#x0364;nheit des Men&#x017F;chen nichts als <hi rendition="#g">reiner<lb/>
&#x201E;Charakter.</hi> Sie fordert ohne Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf</quote></cit></note></p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0155] Werke noch nicht geleſen hat, zu hoch ſpan- nen, den noch nicht ganz ſichern-Geſchmack irre fuͤhren oder beunruhigen, und dem ſchon befeſtigten manchmal anſtoͤßig werden, wenn ſeine Erfahrungen ihm andere Reſultate ge- liefert haben, die daun ihn, der in ihrer Zuſtimmung ein befriedigendes Zeuguiß fuͤr die Richtigkeit ſeines Urtheils ſuchte, ver- anlaſſen koͤnnen, den Kritikus fuͤr exaltirt, oder partheyiſch zu halten? Herders Bemerkungen uͤber den ϰαλος χἀγαϑος erinnern mich an den Eindruck, den die Jdee eines griechiſchen ϰαλος χἀγαϑος auf mich gemacht, und wie ſie in mir, ohne eben das principibus viris placuiſſe non ultima laus eſt zu denken, den Wunſch er- regt, ein ſolcher zu werden. Mir ſcheint in ihr das Jdeal der brittiſchen Gentlemanu- ſchaft zu liegen. *) *) „Das ϰαλον der Alten begriff in ſich, nicht den „flachen Anſchein, mit welchem wir taͤndeln. Jh- „nen war es der hoͤchſte Begriff der Harmonie, „des Anſtandes, der Wuͤrde, die auch hoͤchſte „Pflicht iſt. Dieſer Begriff ſchließt weder die „Nutzbarkeit der Handlungen aus, noch weniger „Pflicht, ſchwere Pflicht. Vielmehr iſt dieſe „Schoͤnheit des Menſchen nichts als reiner „Charakter. Sie fordert ohne Ruͤckſicht auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/155
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/155>, abgerufen am 28.11.2024.