Scheffel, Joseph Victor von: Hugideo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 237–254. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Die Büste aber war das Abbild einer jugendschönen Römerin, einer von jenen Köpfen, deren Anblick anderthalb Jahrtausende später den Altmeister Wolfgang von Frankfurt anmuthete wie ein Gesang des Homerus: -- das Haar in loser Flechte am Nacken geknüpft, frei, edel und groß das Antlitz, ein güldener Reif um die Stirn. Jenseits des Steinhäusleins, da wo ein Felsvorsprung Raum giebt in der Biegung des Berges, hämmerte der Mann eine Nische in die Wand und stellte das fremde Frauenbildniß darein, als sollt' es der schirmende Geist des Ortes sein und Aller, die unten vorüber ruderten. Und auf daß kein ungeweihter Fuß sich jener Stelle nahe, stellte er die Felswand senkrecht ab und baute aus Tannenstämmen eine Zugbrücke, auf welcher er allein aus der Klause Rückfenster hinüber wandeln mochte. Was er sonst trieb, ward nicht viel ruchbar im Land; Schiffer und Fischer, die in leichtem Kahn rheinab fuhren, sahen ihn oftmals bei sinkender Sonne droben sitzen und Hinausschauen gen Süden; es war damals nicht Brauch, daß Einer sich viel drum kümmerte, was der Andre that, und noch viel weniger, daß von Obrigkeitswegen einem Jeden der Deckel von seinen Töpfen gelupft ward, -- so ließen sie ihn gewähren. Der Rhein aber schuf dem Klausenmann eine Arbeit eigener Art, denn er hält besondere Ordnung in Betreff der Todten, die seine Wellen fortragen sollen. Die Büste aber war das Abbild einer jugendschönen Römerin, einer von jenen Köpfen, deren Anblick anderthalb Jahrtausende später den Altmeister Wolfgang von Frankfurt anmuthete wie ein Gesang des Homerus: — das Haar in loser Flechte am Nacken geknüpft, frei, edel und groß das Antlitz, ein güldener Reif um die Stirn. Jenseits des Steinhäusleins, da wo ein Felsvorsprung Raum giebt in der Biegung des Berges, hämmerte der Mann eine Nische in die Wand und stellte das fremde Frauenbildniß darein, als sollt‘ es der schirmende Geist des Ortes sein und Aller, die unten vorüber ruderten. Und auf daß kein ungeweihter Fuß sich jener Stelle nahe, stellte er die Felswand senkrecht ab und baute aus Tannenstämmen eine Zugbrücke, auf welcher er allein aus der Klause Rückfenster hinüber wandeln mochte. Was er sonst trieb, ward nicht viel ruchbar im Land; Schiffer und Fischer, die in leichtem Kahn rheinab fuhren, sahen ihn oftmals bei sinkender Sonne droben sitzen und Hinausschauen gen Süden; es war damals nicht Brauch, daß Einer sich viel drum kümmerte, was der Andre that, und noch viel weniger, daß von Obrigkeitswegen einem Jeden der Deckel von seinen Töpfen gelupft ward, — so ließen sie ihn gewähren. Der Rhein aber schuf dem Klausenmann eine Arbeit eigener Art, denn er hält besondere Ordnung in Betreff der Todten, die seine Wellen fortragen sollen. <TEI> <text> <body> <div n="0"> <pb facs="#f0010"/> <p>Die Büste aber war das Abbild einer jugendschönen Römerin, einer von jenen Köpfen, deren Anblick anderthalb Jahrtausende später den Altmeister Wolfgang von Frankfurt anmuthete wie ein Gesang des Homerus: — das Haar in loser Flechte am Nacken geknüpft, frei, edel und groß das Antlitz, ein güldener Reif um die Stirn.</p><lb/> <p>Jenseits des Steinhäusleins, da wo ein Felsvorsprung Raum giebt in der Biegung des Berges, hämmerte der Mann eine Nische in die Wand und stellte das fremde Frauenbildniß darein, als sollt‘ es der schirmende Geist des Ortes sein und Aller, die unten vorüber ruderten.</p><lb/> <p>Und auf daß kein ungeweihter Fuß sich jener Stelle nahe, stellte er die Felswand senkrecht ab und baute aus Tannenstämmen eine Zugbrücke, auf welcher er allein aus der Klause Rückfenster hinüber wandeln mochte. Was er sonst trieb, ward nicht viel ruchbar im Land; Schiffer und Fischer, die in leichtem Kahn rheinab fuhren, sahen ihn oftmals bei sinkender Sonne droben sitzen und Hinausschauen gen Süden; es war damals nicht Brauch, daß Einer sich viel drum kümmerte, was der Andre that, und noch viel weniger, daß von Obrigkeitswegen einem Jeden der Deckel von seinen Töpfen gelupft ward, — so ließen sie ihn gewähren.</p><lb/> <p>Der Rhein aber schuf dem Klausenmann eine Arbeit eigener Art, denn er hält besondere Ordnung in Betreff der Todten, die seine Wellen fortragen sollen.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
Die Büste aber war das Abbild einer jugendschönen Römerin, einer von jenen Köpfen, deren Anblick anderthalb Jahrtausende später den Altmeister Wolfgang von Frankfurt anmuthete wie ein Gesang des Homerus: — das Haar in loser Flechte am Nacken geknüpft, frei, edel und groß das Antlitz, ein güldener Reif um die Stirn.
Jenseits des Steinhäusleins, da wo ein Felsvorsprung Raum giebt in der Biegung des Berges, hämmerte der Mann eine Nische in die Wand und stellte das fremde Frauenbildniß darein, als sollt‘ es der schirmende Geist des Ortes sein und Aller, die unten vorüber ruderten.
Und auf daß kein ungeweihter Fuß sich jener Stelle nahe, stellte er die Felswand senkrecht ab und baute aus Tannenstämmen eine Zugbrücke, auf welcher er allein aus der Klause Rückfenster hinüber wandeln mochte. Was er sonst trieb, ward nicht viel ruchbar im Land; Schiffer und Fischer, die in leichtem Kahn rheinab fuhren, sahen ihn oftmals bei sinkender Sonne droben sitzen und Hinausschauen gen Süden; es war damals nicht Brauch, daß Einer sich viel drum kümmerte, was der Andre that, und noch viel weniger, daß von Obrigkeitswegen einem Jeden der Deckel von seinen Töpfen gelupft ward, — so ließen sie ihn gewähren.
Der Rhein aber schuf dem Klausenmann eine Arbeit eigener Art, denn er hält besondere Ordnung in Betreff der Todten, die seine Wellen fortragen sollen.
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(2017-03-16T11:06:35Z)
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T11:06:35Z)
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