Scheffel, Joseph Victor von: Hugideo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 237–254. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Wer fern im Bodensee oder an helvetischem Ufer ihm zur Beute wird, den behält er und trägt ihn gelassen weiter durch rauschenden Fall und Strudel und Hölle hacken hindurch, bis er den westwärts gewendeten Lauf umkehrt; aber zur Wanderung gen Norden und in des Rheingau fröhlich Nebengefild nimmt er die Leichen des obern Landes nicht mit, und in der stillen Bucht am Klotz von Istein spült er sie sorgsam ans Ufer. Da kam oftmals Nebi, der Salmenfischer, zum Klausner gestiegen und rief ihn herab, den stillen, unbekannten Gästen die letzte Ehre zu erweisen, und sie schaufelten Manchem ein Grab, den bei Schaffhausen oder im tosenden Strudel von Laufenburg die Wellen verschlungen, und Manchem, den an der Aar oder Reuß der Fischfang ins Verderben geführt;-- kam auch Mancher geschwommen, dessen Schädel von alamannischem Schwerthieb klaffte, oder dessen Brust noch eine abgebrochene Speerspitze trug. . . Alte und Junge, Nackte und Bekleidete, wie Solche, die nur noch einen Bundschuh am rechten Fuß oder ein zerrissen Lederwamms am Leibe trugen, Alle wurden sie mit gleichen Ehren empfangen und in gleicher kühler Erde eingeherbergt. Im vierhunderteinundfünfzigsten Jahre war ein milder Frühling aufgegangen, und hatten nicht viele Leute Muße, dem Sprossen der Schlüsselblumen und Sang der Nachtigallen zu lauschen. Vielmehr war ein Drang in Alle diesseits des Rheins gefahren, als müßten sie selber Zugvögel werden und gen Süden und Wer fern im Bodensee oder an helvetischem Ufer ihm zur Beute wird, den behält er und trägt ihn gelassen weiter durch rauschenden Fall und Strudel und Hölle hacken hindurch, bis er den westwärts gewendeten Lauf umkehrt; aber zur Wanderung gen Norden und in des Rheingau fröhlich Nebengefild nimmt er die Leichen des obern Landes nicht mit, und in der stillen Bucht am Klotz von Istein spült er sie sorgsam ans Ufer. Da kam oftmals Nebi, der Salmenfischer, zum Klausner gestiegen und rief ihn herab, den stillen, unbekannten Gästen die letzte Ehre zu erweisen, und sie schaufelten Manchem ein Grab, den bei Schaffhausen oder im tosenden Strudel von Laufenburg die Wellen verschlungen, und Manchem, den an der Aar oder Reuß der Fischfang ins Verderben geführt;— kam auch Mancher geschwommen, dessen Schädel von alamannischem Schwerthieb klaffte, oder dessen Brust noch eine abgebrochene Speerspitze trug. . . Alte und Junge, Nackte und Bekleidete, wie Solche, die nur noch einen Bundschuh am rechten Fuß oder ein zerrissen Lederwamms am Leibe trugen, Alle wurden sie mit gleichen Ehren empfangen und in gleicher kühler Erde eingeherbergt. Im vierhunderteinundfünfzigsten Jahre war ein milder Frühling aufgegangen, und hatten nicht viele Leute Muße, dem Sprossen der Schlüsselblumen und Sang der Nachtigallen zu lauschen. Vielmehr war ein Drang in Alle diesseits des Rheins gefahren, als müßten sie selber Zugvögel werden und gen Süden und <TEI> <text> <body> <div n="0"> <p><pb facs="#f0011"/> Wer fern im Bodensee oder an helvetischem Ufer ihm zur Beute wird, den behält er und trägt ihn gelassen weiter durch rauschenden Fall und Strudel und Hölle hacken hindurch, bis er den westwärts gewendeten Lauf umkehrt; aber zur Wanderung gen Norden und in des Rheingau fröhlich Nebengefild nimmt er die Leichen des obern Landes nicht mit, und in der stillen Bucht am Klotz von Istein spült er sie sorgsam ans Ufer.</p><lb/> <p>Da kam oftmals Nebi, der Salmenfischer, zum Klausner gestiegen und rief ihn herab, den stillen, unbekannten Gästen die letzte Ehre zu erweisen, und sie schaufelten Manchem ein Grab, den bei Schaffhausen oder im tosenden Strudel von Laufenburg die Wellen verschlungen, und Manchem, den an der Aar oder Reuß der Fischfang ins Verderben geführt;— kam auch Mancher geschwommen, dessen Schädel von alamannischem Schwerthieb klaffte, oder dessen Brust noch eine abgebrochene Speerspitze trug. . . Alte und Junge, Nackte und Bekleidete, wie Solche, die nur noch einen Bundschuh am rechten Fuß oder ein zerrissen Lederwamms am Leibe trugen, Alle wurden sie mit gleichen Ehren empfangen und in gleicher kühler Erde eingeherbergt.</p><lb/> <p>Im vierhunderteinundfünfzigsten Jahre war ein milder Frühling aufgegangen, und hatten nicht viele Leute Muße, dem Sprossen der Schlüsselblumen und Sang der Nachtigallen zu lauschen. Vielmehr war ein Drang in Alle diesseits des Rheins gefahren, als müßten sie selber Zugvögel werden und gen Süden und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0011]
Wer fern im Bodensee oder an helvetischem Ufer ihm zur Beute wird, den behält er und trägt ihn gelassen weiter durch rauschenden Fall und Strudel und Hölle hacken hindurch, bis er den westwärts gewendeten Lauf umkehrt; aber zur Wanderung gen Norden und in des Rheingau fröhlich Nebengefild nimmt er die Leichen des obern Landes nicht mit, und in der stillen Bucht am Klotz von Istein spült er sie sorgsam ans Ufer.
Da kam oftmals Nebi, der Salmenfischer, zum Klausner gestiegen und rief ihn herab, den stillen, unbekannten Gästen die letzte Ehre zu erweisen, und sie schaufelten Manchem ein Grab, den bei Schaffhausen oder im tosenden Strudel von Laufenburg die Wellen verschlungen, und Manchem, den an der Aar oder Reuß der Fischfang ins Verderben geführt;— kam auch Mancher geschwommen, dessen Schädel von alamannischem Schwerthieb klaffte, oder dessen Brust noch eine abgebrochene Speerspitze trug. . . Alte und Junge, Nackte und Bekleidete, wie Solche, die nur noch einen Bundschuh am rechten Fuß oder ein zerrissen Lederwamms am Leibe trugen, Alle wurden sie mit gleichen Ehren empfangen und in gleicher kühler Erde eingeherbergt.
Im vierhunderteinundfünfzigsten Jahre war ein milder Frühling aufgegangen, und hatten nicht viele Leute Muße, dem Sprossen der Schlüsselblumen und Sang der Nachtigallen zu lauschen. Vielmehr war ein Drang in Alle diesseits des Rheins gefahren, als müßten sie selber Zugvögel werden und gen Süden und
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Zitationshilfe: | Scheffel, Joseph Victor von: Hugideo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 237–254. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_hugideo_1910/11>, abgerufen am 16.02.2025. |