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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Feuer, daß eine verzehrende Liebe in ihm zu glühen begann und er
von Lust und Sehnsucht bewältigt, seinen Einsiedelstand jäh zu ver-
lassen gedachte.

"Da warf plötzlich des Himmels Gnade einen Schein auf ihn,
daß er zu sich selber rückkehrte. Und er sah ihm zur Seite ein dicht
Gebüsch von Brennesseln und Dörnern stehen, zog sein Gewand aus
und warf sich nackt in die Stacheln des Gedörns und den Brand der
Nesseln, bis daß er am ganzen Körper verwundet von dannen ging.

"Also löschete er des Geistes Wunde durch die Wunden der Haut
und siegte ob der Sünde ..."

Frau Hadwig war von dieser Vorlesung nicht erbaut; sie ließ
ihre Augen gelangweilt im Saal die Runde machen. Der Kämmerer
Spazzo, -- däuchte auch ihm die Wahl des Kapitels unpassend oder
war ihm der Valtelliner zu Häupten gestiegen? -- schlug unversehens
dem Vorleser das Buch zu, daß der holzbeschlagene Deckel klappte,
hob ihm seinen Pocal entgegen und sprach: soll leben der heilige
Benedict! und wie ihn Ekkehard vorwurfsvoll ansah, stimmte schon
die jüngere Mannschaft der Klosterbrüder lärmend ein, sie hielten den
Trinkspruch für Ernst; da und dort ward das Loblied auf den heili-
gen Mann intonirt, diesmal als fröhlicher Zechgesang und lauter
Jubel klang durch den Saal.

Dieweil aber Abt Cralo bedenklich umschaute und Herr Spazzo
immer noch beschäftigt war, mit den jungen Clerikern auf das Wohl
ihres Schutzpatrons zu trinken, neigte sich Frau Hadwig zu Ekkehard
und frug ihn mit nicht allzulauter Stimme:

Würdet Ihr mich das Lateinische lehren, junger Verehrer des
Alterthums, wenn ich's lernen wollte?77)

Da klang es in Ekkehard's Herz wie ein Widerhall des Gelesenen:
"wirf dich in die Nesseln und Dornen und sag Nein!" er aber sprach:

Befehlet, ich gehorche!

Die Herzogin schaute den jungen Mönch noch einmal mit einem
sonderbar flüchtigen Blicke an, wandte sich dann zum Abt und sprach
über gleichgiltige Dinge.

Die Klosterbrüder zeigten noch kein Verlangen, des Tages günstige
Gelegenheit unbenutzt verstreichen zu lassen. In des Abts Augen
mochte ein gnädig milder Schein leuchten, und der Kellermeister schob

Feuer, daß eine verzehrende Liebe in ihm zu glühen begann und er
von Luſt und Sehnſucht bewältigt, ſeinen Einſiedelſtand jäh zu ver-
laſſen gedachte.

„Da warf plötzlich des Himmels Gnade einen Schein auf ihn,
daß er zu ſich ſelber rückkehrte. Und er ſah ihm zur Seite ein dicht
Gebüſch von Brenneſſeln und Dörnern ſtehen, zog ſein Gewand aus
und warf ſich nackt in die Stacheln des Gedörns und den Brand der
Neſſeln, bis daß er am ganzen Körper verwundet von dannen ging.

„Alſo löſchete er des Geiſtes Wunde durch die Wunden der Haut
und ſiegte ob der Sünde ...“

Frau Hadwig war von dieſer Vorleſung nicht erbaut; ſie ließ
ihre Augen gelangweilt im Saal die Runde machen. Der Kämmerer
Spazzo, — däuchte auch ihm die Wahl des Kapitels unpaſſend oder
war ihm der Valtelliner zu Häupten geſtiegen? — ſchlug unverſehens
dem Vorleſer das Buch zu, daß der holzbeſchlagene Deckel klappte,
hob ihm ſeinen Pocal entgegen und ſprach: ſoll leben der heilige
Benedict! und wie ihn Ekkehard vorwurfsvoll anſah, ſtimmte ſchon
die jüngere Mannſchaft der Kloſterbrüder lärmend ein, ſie hielten den
Trinkſpruch für Ernſt; da und dort ward das Loblied auf den heili-
gen Mann intonirt, diesmal als fröhlicher Zechgeſang und lauter
Jubel klang durch den Saal.

Dieweil aber Abt Cralo bedenklich umſchaute und Herr Spazzo
immer noch beſchäftigt war, mit den jungen Clerikern auf das Wohl
ihres Schutzpatrons zu trinken, neigte ſich Frau Hadwig zu Ekkehard
und frug ihn mit nicht allzulauter Stimme:

Würdet Ihr mich das Lateiniſche lehren, junger Verehrer des
Alterthums, wenn ich's lernen wollte?77)

Da klang es in Ekkehard's Herz wie ein Widerhall des Geleſenen:
„wirf dich in die Neſſeln und Dornen und ſag Nein!“ er aber ſprach:

Befehlet, ich gehorche!

Die Herzogin ſchaute den jungen Mönch noch einmal mit einem
ſonderbar flüchtigen Blicke an, wandte ſich dann zum Abt und ſprach
über gleichgiltige Dinge.

Die Kloſterbrüder zeigten noch kein Verlangen, des Tages günſtige
Gelegenheit unbenutzt verſtreichen zu laſſen. In des Abts Augen
mochte ein gnädig milder Schein leuchten, und der Kellermeiſter ſchob

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[50/0072] Feuer, daß eine verzehrende Liebe in ihm zu glühen begann und er von Luſt und Sehnſucht bewältigt, ſeinen Einſiedelſtand jäh zu ver- laſſen gedachte. „Da warf plötzlich des Himmels Gnade einen Schein auf ihn, daß er zu ſich ſelber rückkehrte. Und er ſah ihm zur Seite ein dicht Gebüſch von Brenneſſeln und Dörnern ſtehen, zog ſein Gewand aus und warf ſich nackt in die Stacheln des Gedörns und den Brand der Neſſeln, bis daß er am ganzen Körper verwundet von dannen ging. „Alſo löſchete er des Geiſtes Wunde durch die Wunden der Haut und ſiegte ob der Sünde ...“ Frau Hadwig war von dieſer Vorleſung nicht erbaut; ſie ließ ihre Augen gelangweilt im Saal die Runde machen. Der Kämmerer Spazzo, — däuchte auch ihm die Wahl des Kapitels unpaſſend oder war ihm der Valtelliner zu Häupten geſtiegen? — ſchlug unverſehens dem Vorleſer das Buch zu, daß der holzbeſchlagene Deckel klappte, hob ihm ſeinen Pocal entgegen und ſprach: ſoll leben der heilige Benedict! und wie ihn Ekkehard vorwurfsvoll anſah, ſtimmte ſchon die jüngere Mannſchaft der Kloſterbrüder lärmend ein, ſie hielten den Trinkſpruch für Ernſt; da und dort ward das Loblied auf den heili- gen Mann intonirt, diesmal als fröhlicher Zechgeſang und lauter Jubel klang durch den Saal. Dieweil aber Abt Cralo bedenklich umſchaute und Herr Spazzo immer noch beſchäftigt war, mit den jungen Clerikern auf das Wohl ihres Schutzpatrons zu trinken, neigte ſich Frau Hadwig zu Ekkehard und frug ihn mit nicht allzulauter Stimme: Würdet Ihr mich das Lateiniſche lehren, junger Verehrer des Alterthums, wenn ich's lernen wollte? ⁷⁷⁾ Da klang es in Ekkehard's Herz wie ein Widerhall des Geleſenen: „wirf dich in die Neſſeln und Dornen und ſag Nein!“ er aber ſprach: Befehlet, ich gehorche! Die Herzogin ſchaute den jungen Mönch noch einmal mit einem ſonderbar flüchtigen Blicke an, wandte ſich dann zum Abt und ſprach über gleichgiltige Dinge. Die Kloſterbrüder zeigten noch kein Verlangen, des Tages günſtige Gelegenheit unbenutzt verſtreichen zu laſſen. In des Abts Augen mochte ein gnädig milder Schein leuchten, und der Kellermeiſter ſchob

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/72>, abgerufen am 03.05.2024.