Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Erlaubet, edle Base, erwiederte der Abt, daß ich Euch als Freund
und Blutsverwandter gemahne, weniger in Tag hinein zu reden. Das
Studium der Wissenschaft ist dem jungen Menschen kein lästiger
Zwang, es ist wie Erdbeeren, je mehr er genießt, desto größer der
Hunger.

Was hat aber die heidnische Kunst Logica mit der Gottesgelahrt-
heit zu schaffen? frug Frau Hadwig.

Die wird in rechten Händen zur Waffe, die Kirche Gottes zu
schützen, sprach der Abt. Mit ihren Künsten haben der Ketzer viele
die Gläubigen angefochten, jetzt fechten wir mit gleichem Rüstzeug
wider sie und glaubet mir, ein sauber Griechisch oder Latein ist eine
feinere Waffe als unsere einheimische Sprache, die sich auch in des
Gewandtesten Hand nur wie eine Keule schwingt.

Ei, sprach die Herzogin, müssen Wir noch bei Euch lernen, was
fein sei? Ich habe seither gelebt ohne Latein zu sprechen, Herr Vetter.

Es möcht' Euch nicht schaden, wenn Ihr's noch lerntet, sprach der
Abt. Und wenn die ersten Wohlklänge der Latinität Euer Gehör
erquickt haben, werdet Ihr zugeben, daß unsere Muttersprache ein
junger Bär ist, der nicht stehen und gehen lernt, wenn ihn nicht
classische Zunge beleckt.75) Zudem lehrt alter Römer Mund Weis-
heit, fraget einmal den Mann zu Eurer Linken.

Ist's wahr? wandte sich Frau Hadwig an Ekkehard, der schwei-
gend dem Zwiesprach gelauscht hatte.

Es wäre wahr, hohe Herrin! sprach er mit Feuer, so es Euch
von Nöthen wäre, Weisheit zu lernen.

Frau Hadwig drohte mit dem Finger: Habt Ihr selber denn Er-
quickung aus den alten Pergamenten geschöpft?

Erquickung und Glück! sprach Ekkehard, und seine Augen leuch-
teten. Glaubet mir, Herrin, es thut in allen Lebenslagen wohl, sich
bei den Classikern Raths zu erholen; lehrt uns nicht Cicero auf den
verschlungenen Pfaden weltlicher Klugheit den rechten Steg wandeln?
schöpfen wir nicht aus Sallust und Livius Anweisung zu Mannes-
muth und Stärke, aus Virgil's Gesängen die Ahnung unvergänglicher
Schönheit? Die Schrift ist uns Leitstern des Glaubens, die Alten
aber leuchten zu uns herüber wie das Spätroth einer Sonne, die

Erlaubet, edle Baſe, erwiederte der Abt, daß ich Euch als Freund
und Blutsverwandter gemahne, weniger in Tag hinein zu reden. Das
Studium der Wiſſenſchaft iſt dem jungen Menſchen kein läſtiger
Zwang, es iſt wie Erdbeeren, je mehr er genießt, deſto größer der
Hunger.

Was hat aber die heidniſche Kunſt Logica mit der Gottesgelahrt-
heit zu ſchaffen? frug Frau Hadwig.

Die wird in rechten Händen zur Waffe, die Kirche Gottes zu
ſchützen, ſprach der Abt. Mit ihren Künſten haben der Ketzer viele
die Gläubigen angefochten, jetzt fechten wir mit gleichem Rüſtzeug
wider ſie und glaubet mir, ein ſauber Griechiſch oder Latein iſt eine
feinere Waffe als unſere einheimiſche Sprache, die ſich auch in des
Gewandteſten Hand nur wie eine Keule ſchwingt.

Ei, ſprach die Herzogin, müſſen Wir noch bei Euch lernen, was
fein ſei? Ich habe ſeither gelebt ohne Latein zu ſprechen, Herr Vetter.

Es möcht' Euch nicht ſchaden, wenn Ihr's noch lerntet, ſprach der
Abt. Und wenn die erſten Wohlklänge der Latinität Euer Gehör
erquickt haben, werdet Ihr zugeben, daß unſere Mutterſprache ein
junger Bär iſt, der nicht ſtehen und gehen lernt, wenn ihn nicht
claſſiſche Zunge beleckt.75) Zudem lehrt alter Römer Mund Weis-
heit, fraget einmal den Mann zu Eurer Linken.

Iſt's wahr? wandte ſich Frau Hadwig an Ekkehard, der ſchwei-
gend dem Zwieſprach gelauſcht hatte.

Es wäre wahr, hohe Herrin! ſprach er mit Feuer, ſo es Euch
von Nöthen wäre, Weisheit zu lernen.

Frau Hadwig drohte mit dem Finger: Habt Ihr ſelber denn Er-
quickung aus den alten Pergamenten geſchöpft?

Erquickung und Glück! ſprach Ekkehard, und ſeine Augen leuch-
teten. Glaubet mir, Herrin, es thut in allen Lebenslagen wohl, ſich
bei den Claſſikern Raths zu erholen; lehrt uns nicht Cicero auf den
verſchlungenen Pfaden weltlicher Klugheit den rechten Steg wandeln?
ſchöpfen wir nicht aus Salluſt und Livius Anweiſung zu Mannes-
muth und Stärke, aus Virgil's Geſängen die Ahnung unvergänglicher
Schönheit? Die Schrift iſt uns Leitſtern des Glaubens, die Alten
aber leuchten zu uns herüber wie das Spätroth einer Sonne, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0070" n="48"/>
        <p>Erlaubet, edle Ba&#x017F;e, erwiederte der Abt, daß ich Euch als Freund<lb/>
und Blutsverwandter gemahne, weniger in Tag hinein zu reden. Das<lb/>
Studium der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft i&#x017F;t dem jungen Men&#x017F;chen kein lä&#x017F;tiger<lb/>
Zwang, es i&#x017F;t wie Erdbeeren, je mehr er genießt, de&#x017F;to größer der<lb/>
Hunger.</p><lb/>
        <p>Was hat aber die heidni&#x017F;che Kun&#x017F;t Logica mit der Gottesgelahrt-<lb/>
heit zu &#x017F;chaffen? frug Frau Hadwig.</p><lb/>
        <p>Die wird in rechten Händen zur Waffe, die Kirche Gottes zu<lb/>
&#x017F;chützen, &#x017F;prach der Abt. Mit ihren Kün&#x017F;ten haben der Ketzer viele<lb/>
die Gläubigen angefochten, jetzt fechten wir mit gleichem Rü&#x017F;tzeug<lb/>
wider &#x017F;ie und glaubet mir, ein &#x017F;auber Griechi&#x017F;ch oder Latein i&#x017F;t eine<lb/>
feinere Waffe als un&#x017F;ere einheimi&#x017F;che Sprache, die &#x017F;ich auch in des<lb/>
Gewandte&#x017F;ten Hand nur wie eine Keule &#x017F;chwingt.</p><lb/>
        <p>Ei, &#x017F;prach die Herzogin, mü&#x017F;&#x017F;en Wir noch bei Euch lernen, was<lb/>
fein &#x017F;ei? Ich habe &#x017F;either gelebt ohne Latein zu &#x017F;prechen, Herr Vetter.</p><lb/>
        <p>Es möcht' Euch nicht &#x017F;chaden, wenn Ihr's noch lerntet, &#x017F;prach der<lb/>
Abt. Und wenn die er&#x017F;ten Wohlklänge der Latinität Euer Gehör<lb/>
erquickt haben, werdet Ihr zugeben, daß un&#x017F;ere Mutter&#x017F;prache ein<lb/>
junger Bär i&#x017F;t, der nicht &#x017F;tehen und gehen lernt, wenn ihn nicht<lb/>
cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Zunge beleckt.<note xml:id="ed75" next="#edt75" place="end" n="75)"/> Zudem lehrt alter Römer Mund Weis-<lb/>
heit, fraget einmal den Mann zu Eurer Linken.</p><lb/>
        <p>I&#x017F;t's wahr? wandte &#x017F;ich Frau Hadwig an Ekkehard, der &#x017F;chwei-<lb/>
gend dem Zwie&#x017F;prach gelau&#x017F;cht hatte.</p><lb/>
        <p>Es wäre wahr, hohe Herrin! &#x017F;prach er mit Feuer, &#x017F;o es Euch<lb/>
von Nöthen wäre, Weisheit zu lernen.</p><lb/>
        <p>Frau Hadwig drohte mit dem Finger: Habt Ihr &#x017F;elber denn Er-<lb/>
quickung aus den alten Pergamenten ge&#x017F;chöpft?</p><lb/>
        <p>Erquickung und Glück! &#x017F;prach Ekkehard, und &#x017F;eine Augen leuch-<lb/>
teten. Glaubet mir, Herrin, es thut in allen Lebenslagen wohl, &#x017F;ich<lb/>
bei den Cla&#x017F;&#x017F;ikern Raths zu erholen; lehrt uns nicht Cicero auf den<lb/>
ver&#x017F;chlungenen Pfaden weltlicher Klugheit den rechten Steg wandeln?<lb/>
&#x017F;chöpfen wir nicht aus Sallu&#x017F;t und Livius Anwei&#x017F;ung zu Mannes-<lb/>
muth und Stärke, aus Virgil's Ge&#x017F;ängen die Ahnung unvergänglicher<lb/>
Schönheit? Die Schrift i&#x017F;t uns Leit&#x017F;tern des Glaubens, die Alten<lb/>
aber leuchten zu uns herüber wie das Spätroth einer Sonne, die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0070] Erlaubet, edle Baſe, erwiederte der Abt, daß ich Euch als Freund und Blutsverwandter gemahne, weniger in Tag hinein zu reden. Das Studium der Wiſſenſchaft iſt dem jungen Menſchen kein läſtiger Zwang, es iſt wie Erdbeeren, je mehr er genießt, deſto größer der Hunger. Was hat aber die heidniſche Kunſt Logica mit der Gottesgelahrt- heit zu ſchaffen? frug Frau Hadwig. Die wird in rechten Händen zur Waffe, die Kirche Gottes zu ſchützen, ſprach der Abt. Mit ihren Künſten haben der Ketzer viele die Gläubigen angefochten, jetzt fechten wir mit gleichem Rüſtzeug wider ſie und glaubet mir, ein ſauber Griechiſch oder Latein iſt eine feinere Waffe als unſere einheimiſche Sprache, die ſich auch in des Gewandteſten Hand nur wie eine Keule ſchwingt. Ei, ſprach die Herzogin, müſſen Wir noch bei Euch lernen, was fein ſei? Ich habe ſeither gelebt ohne Latein zu ſprechen, Herr Vetter. Es möcht' Euch nicht ſchaden, wenn Ihr's noch lerntet, ſprach der Abt. Und wenn die erſten Wohlklänge der Latinität Euer Gehör erquickt haben, werdet Ihr zugeben, daß unſere Mutterſprache ein junger Bär iſt, der nicht ſtehen und gehen lernt, wenn ihn nicht claſſiſche Zunge beleckt. ⁷⁵⁾ Zudem lehrt alter Römer Mund Weis- heit, fraget einmal den Mann zu Eurer Linken. Iſt's wahr? wandte ſich Frau Hadwig an Ekkehard, der ſchwei- gend dem Zwieſprach gelauſcht hatte. Es wäre wahr, hohe Herrin! ſprach er mit Feuer, ſo es Euch von Nöthen wäre, Weisheit zu lernen. Frau Hadwig drohte mit dem Finger: Habt Ihr ſelber denn Er- quickung aus den alten Pergamenten geſchöpft? Erquickung und Glück! ſprach Ekkehard, und ſeine Augen leuch- teten. Glaubet mir, Herrin, es thut in allen Lebenslagen wohl, ſich bei den Claſſikern Raths zu erholen; lehrt uns nicht Cicero auf den verſchlungenen Pfaden weltlicher Klugheit den rechten Steg wandeln? ſchöpfen wir nicht aus Salluſt und Livius Anweiſung zu Mannes- muth und Stärke, aus Virgil's Geſängen die Ahnung unvergänglicher Schönheit? Die Schrift iſt uns Leitſtern des Glaubens, die Alten aber leuchten zu uns herüber wie das Spätroth einer Sonne, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/70
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/70>, abgerufen am 23.11.2024.