Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Jetzt tönte die Vesperglocke vom Kloster durch den Tannenwald
herauf. Da trat die Klausnerin vom Fenster ab und schloß ihren
Laden. Dumpfes Psalmbeten ward drinnen hörbar, untermischt mit
einem Geräusch wie von niederfallenden Streichen. Sie geißelte sich.

Inzwischen hatte Romeias im fernen Gehölz das Gejaid begonnen
und warf seinen Spieß; aber er hatte einen Eichstrunk für ein Rehlein
angesehen. Zürnend zog er sein Geschoß aus dem widerstrebenden
Holz, -- es war das erstemal in seinem Leben, daß ihm solches vorkam.

Vor Wiborad's Klause war's lange still. Dann tönte ihre Stimme
wieder, aber wie verwandelt, mit klangvoller Leidenschaft: Steig
hernieder, heiliger Martinus, tapferer Kriegstribun, du meine Tröst-
einsamkeit, Stern im Dunkel der Zeit! steig hernieder, meine Seele ist
gerüstet, dich zu erschauen, meine Augen dürsten nach dir.49)

Und wieder war's still auf dem Plan -- da schreckte Praxedis
zusammen. Ein dumpfer Schrei klang in der Zelle auf. Sie sprang
an's Fenster und schaute hinein: die Klausnerin war in die Knie ge-
sunken, die Arme hoch erhoben, ihr Auge gläsern starrend. Neben ihr
lag die Geißel, das Werkzeug der Buße.

Um Gotteswillen! rief Praxedis, was ist Euch!

Wiborad fuhr empor und preßte der Griechin Hand krampfhaft.
Menschenkind, sprach sie mit gebrochenem Ton, die du Wiborad's
Schmerzen zu sehen gewürdigt bist, klopf an deine Brust, es ist ein
Zeichen geschehen. Ausgeblieben ist der Erwählte meiner Gedanken,
er zürnt, daß sein Name von unheiligen Lippen entweiht ward, aber
der heilige Gallus ist dem Aug' meiner Seele erschienen, er, der noch
niemals Einkehr hier genommen -- und sein Antlitz war das eines
Dulders und sein Gewand zerrissen und brandig. Seinem Kloster
droht ein Unheil. Wir müssen eine Fürbitte thun, daß seine Jünger
nicht straucheln auf dem Pfad der Gerechten.

Sie beugte sich aus dem schmalen Fenster und rief zur nachbar-
lichen Klause hinüber: Schwester Wendelgard!

Da schob sich drüben das Lädlein zurück, ein ältlich Antlitz er-
schien, das war die brave Frau Wendelgard, die dort um ihren Ehge-
mahl trauerte, der vom letzten Heereszug nimmer heimgekommen.

Schwester Wendelgard, sprach Wiborad, laß uns dreimal singen
den Psalm: Sei mir gnädig, o Gott, nach deiner Huld.

Jetzt tönte die Vesperglocke vom Kloſter durch den Tannenwald
herauf. Da trat die Klausnerin vom Fenſter ab und ſchloß ihren
Laden. Dumpfes Pſalmbeten ward drinnen hörbar, untermiſcht mit
einem Geräuſch wie von niederfallenden Streichen. Sie geißelte ſich.

Inzwiſchen hatte Romeias im fernen Gehölz das Gejaid begonnen
und warf ſeinen Spieß; aber er hatte einen Eichſtrunk für ein Rehlein
angeſehen. Zürnend zog er ſein Geſchoß aus dem widerſtrebenden
Holz, — es war das erſtemal in ſeinem Leben, daß ihm ſolches vorkam.

Vor Wiborad's Klauſe war's lange ſtill. Dann tönte ihre Stimme
wieder, aber wie verwandelt, mit klangvoller Leidenſchaft: Steig
hernieder, heiliger Martinus, tapferer Kriegstribun, du meine Tröſt-
einſamkeit, Stern im Dunkel der Zeit! ſteig hernieder, meine Seele iſt
gerüſtet, dich zu erſchauen, meine Augen dürſten nach dir.49)

Und wieder war's ſtill auf dem Plan — da ſchreckte Praxedis
zuſammen. Ein dumpfer Schrei klang in der Zelle auf. Sie ſprang
an's Fenſter und ſchaute hinein: die Klausnerin war in die Knie ge-
ſunken, die Arme hoch erhoben, ihr Auge gläſern ſtarrend. Neben ihr
lag die Geißel, das Werkzeug der Buße.

Um Gotteswillen! rief Praxedis, was iſt Euch!

Wiborad fuhr empor und preßte der Griechin Hand krampfhaft.
Menſchenkind, ſprach ſie mit gebrochenem Ton, die du Wiborad's
Schmerzen zu ſehen gewürdigt biſt, klopf an deine Bruſt, es iſt ein
Zeichen geſchehen. Ausgeblieben iſt der Erwählte meiner Gedanken,
er zürnt, daß ſein Name von unheiligen Lippen entweiht ward, aber
der heilige Gallus iſt dem Aug' meiner Seele erſchienen, er, der noch
niemals Einkehr hier genommen — und ſein Antlitz war das eines
Dulders und ſein Gewand zerriſſen und brandig. Seinem Kloſter
droht ein Unheil. Wir müſſen eine Fürbitte thun, daß ſeine Jünger
nicht ſtraucheln auf dem Pfad der Gerechten.

Sie beugte ſich aus dem ſchmalen Fenſter und rief zur nachbar-
lichen Klauſe hinüber: Schweſter Wendelgard!

Da ſchob ſich drüben das Lädlein zurück, ein ältlich Antlitz er-
ſchien, das war die brave Frau Wendelgard, die dort um ihren Ehge-
mahl trauerte, der vom letzten Heereszug nimmer heimgekommen.

Schweſter Wendelgard, ſprach Wiborad, laß uns dreimal ſingen
den Pſalm: Sei mir gnädig, o Gott, nach deiner Huld.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0054" n="32"/>
        <p>Jetzt tönte die Vesperglocke vom Klo&#x017F;ter durch den Tannenwald<lb/>
herauf. Da trat die Klausnerin vom Fen&#x017F;ter ab und &#x017F;chloß ihren<lb/>
Laden. Dumpfes P&#x017F;almbeten ward drinnen hörbar, untermi&#x017F;cht mit<lb/>
einem Geräu&#x017F;ch wie von niederfallenden Streichen. Sie geißelte &#x017F;ich.</p><lb/>
        <p>Inzwi&#x017F;chen hatte Romeias im fernen Gehölz das Gejaid begonnen<lb/>
und warf &#x017F;einen Spieß; aber er hatte einen Eich&#x017F;trunk für ein Rehlein<lb/>
ange&#x017F;ehen. Zürnend zog er &#x017F;ein Ge&#x017F;choß aus dem wider&#x017F;trebenden<lb/>
Holz, &#x2014; es war das er&#x017F;temal in &#x017F;einem Leben, daß ihm &#x017F;olches vorkam.</p><lb/>
        <p>Vor Wiborad's Klau&#x017F;e war's lange &#x017F;till. Dann tönte ihre Stimme<lb/>
wieder, aber wie verwandelt, mit klangvoller Leiden&#x017F;chaft: Steig<lb/>
hernieder, heiliger Martinus, tapferer Kriegstribun, du meine Trö&#x017F;t-<lb/>
ein&#x017F;amkeit, Stern im Dunkel der Zeit! &#x017F;teig hernieder, meine Seele i&#x017F;t<lb/>
gerü&#x017F;tet, dich zu er&#x017F;chauen, meine Augen dür&#x017F;ten nach dir.<note xml:id="ed49" next="#edt49" place="end" n="49)"/></p><lb/>
        <p>Und wieder war's &#x017F;till auf dem Plan &#x2014; da &#x017F;chreckte Praxedis<lb/>
zu&#x017F;ammen. Ein dumpfer Schrei klang in der Zelle auf. Sie &#x017F;prang<lb/>
an's Fen&#x017F;ter und &#x017F;chaute hinein: die Klausnerin war in die Knie ge-<lb/>
&#x017F;unken, die Arme hoch erhoben, ihr Auge glä&#x017F;ern &#x017F;tarrend. Neben ihr<lb/>
lag die Geißel, das Werkzeug der Buße.</p><lb/>
        <p>Um Gotteswillen! rief Praxedis, was i&#x017F;t Euch!</p><lb/>
        <p>Wiborad fuhr empor und preßte der Griechin Hand krampfhaft.<lb/>
Men&#x017F;chenkind, &#x017F;prach &#x017F;ie mit gebrochenem Ton, die du Wiborad's<lb/>
Schmerzen zu &#x017F;ehen gewürdigt bi&#x017F;t, klopf an deine Bru&#x017F;t, es i&#x017F;t ein<lb/>
Zeichen ge&#x017F;chehen. Ausgeblieben i&#x017F;t der Erwählte meiner Gedanken,<lb/>
er zürnt, daß &#x017F;ein Name von unheiligen Lippen entweiht ward, aber<lb/>
der heilige Gallus i&#x017F;t dem Aug' meiner Seele er&#x017F;chienen, er, der noch<lb/>
niemals Einkehr hier genommen &#x2014; und &#x017F;ein Antlitz war das eines<lb/>
Dulders und &#x017F;ein Gewand zerri&#x017F;&#x017F;en und brandig. Seinem Klo&#x017F;ter<lb/>
droht ein Unheil. Wir mü&#x017F;&#x017F;en eine Fürbitte thun, daß &#x017F;eine Jünger<lb/>
nicht &#x017F;traucheln auf dem Pfad der Gerechten.</p><lb/>
        <p>Sie beugte &#x017F;ich aus dem &#x017F;chmalen Fen&#x017F;ter und rief zur nachbar-<lb/>
lichen Klau&#x017F;e hinüber: Schwe&#x017F;ter Wendelgard!</p><lb/>
        <p>Da &#x017F;chob &#x017F;ich drüben das Lädlein zurück, ein ältlich Antlitz er-<lb/>
&#x017F;chien, das war die brave Frau Wendelgard, die dort um ihren Ehge-<lb/>
mahl trauerte, der vom letzten Heereszug nimmer heimgekommen.</p><lb/>
        <p>Schwe&#x017F;ter Wendelgard, &#x017F;prach Wiborad, laß uns dreimal &#x017F;ingen<lb/>
den P&#x017F;alm: Sei mir gnädig, o Gott, nach deiner Huld.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0054] Jetzt tönte die Vesperglocke vom Kloſter durch den Tannenwald herauf. Da trat die Klausnerin vom Fenſter ab und ſchloß ihren Laden. Dumpfes Pſalmbeten ward drinnen hörbar, untermiſcht mit einem Geräuſch wie von niederfallenden Streichen. Sie geißelte ſich. Inzwiſchen hatte Romeias im fernen Gehölz das Gejaid begonnen und warf ſeinen Spieß; aber er hatte einen Eichſtrunk für ein Rehlein angeſehen. Zürnend zog er ſein Geſchoß aus dem widerſtrebenden Holz, — es war das erſtemal in ſeinem Leben, daß ihm ſolches vorkam. Vor Wiborad's Klauſe war's lange ſtill. Dann tönte ihre Stimme wieder, aber wie verwandelt, mit klangvoller Leidenſchaft: Steig hernieder, heiliger Martinus, tapferer Kriegstribun, du meine Tröſt- einſamkeit, Stern im Dunkel der Zeit! ſteig hernieder, meine Seele iſt gerüſtet, dich zu erſchauen, meine Augen dürſten nach dir. ⁴⁹⁾ Und wieder war's ſtill auf dem Plan — da ſchreckte Praxedis zuſammen. Ein dumpfer Schrei klang in der Zelle auf. Sie ſprang an's Fenſter und ſchaute hinein: die Klausnerin war in die Knie ge- ſunken, die Arme hoch erhoben, ihr Auge gläſern ſtarrend. Neben ihr lag die Geißel, das Werkzeug der Buße. Um Gotteswillen! rief Praxedis, was iſt Euch! Wiborad fuhr empor und preßte der Griechin Hand krampfhaft. Menſchenkind, ſprach ſie mit gebrochenem Ton, die du Wiborad's Schmerzen zu ſehen gewürdigt biſt, klopf an deine Bruſt, es iſt ein Zeichen geſchehen. Ausgeblieben iſt der Erwählte meiner Gedanken, er zürnt, daß ſein Name von unheiligen Lippen entweiht ward, aber der heilige Gallus iſt dem Aug' meiner Seele erſchienen, er, der noch niemals Einkehr hier genommen — und ſein Antlitz war das eines Dulders und ſein Gewand zerriſſen und brandig. Seinem Kloſter droht ein Unheil. Wir müſſen eine Fürbitte thun, daß ſeine Jünger nicht ſtraucheln auf dem Pfad der Gerechten. Sie beugte ſich aus dem ſchmalen Fenſter und rief zur nachbar- lichen Klauſe hinüber: Schweſter Wendelgard! Da ſchob ſich drüben das Lädlein zurück, ein ältlich Antlitz er- ſchien, das war die brave Frau Wendelgard, die dort um ihren Ehge- mahl trauerte, der vom letzten Heereszug nimmer heimgekommen. Schweſter Wendelgard, ſprach Wiborad, laß uns dreimal ſingen den Pſalm: Sei mir gnädig, o Gott, nach deiner Huld.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/54
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/54>, abgerufen am 03.05.2024.