Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber die Schwester Wendelgard hatte just mit träumender Sehn-
sucht ihres Eheherrn gedacht; sie wußte in festem Gottvertrauen, daß
er dereinst noch heimkehren werde aus der Hunnen Landen, und hätte
am liebsten jetzt schon die Pforte ihrer Klause eingetreten, hinauszu-
schreiten in die wehende Luft, ihm entgegen.

Es ist nicht die Stunde des Psallirens, rief sie hinüber.

Desto lieblicher klingt freiwillige Andacht zum Himmel empor,
sprach Wiborad. Und sie intonirte mit rauher Stimme den Psalm.
Aber die Antwort blieb aus. Was stimmst du nicht in David's
Schallgesang?

Ich mag nicht, war Wendelgard's einfache Antwort. Es war ihr
in langjährigem Klausnerthum allmälig schwül geworden. Viel tausend
Psalmen hatte sie auf Wiborad's Geheiß gesungen, daß der heilige
Martinus ihren Ehegespons heraushaue aus der Feinde Gewalt, aber
die Sonne ging auf, die Sonne ging nieder -- noch immer blieb er
aus. Und die hagere Nachbarin mit ihren Phantasmen war ihr verleidet.

Wiborad aber wandte ihre Augen unverrückt dem Himmel zu,
gleich Einem, der am hellen Tag einen Cometen zu entdecken gedenkt:
O Gefäß voll Ungehorsam und Bosheit, rief sie, ich will für dich
beten, daß die bösen Geister von dir gebannet werden. Dein Aug' ist
blind, dein Sinn ist wirr.

Doch ruhig antwortete die Gescholtene: Richtet nicht, auf daß auch
Ihr nicht gerichtet werdet. Mein Aug' ist noch so scharf wie vor
Jahresfrist, da es Euch in mondumglänzter Nacht erschauen konnte,
wie Ihr aus dem Fenster der Clause stieget und hinausgewandelt seid,
Gott weiß wohin, -- und mein Sinn erwägt noch wohl, ob Psalmen-
gesang aus solchem Munde ein Wunder zu wirken im Stande.

Da verzog sich Wiborad's bleiches Antlitz, als ob sie auf einen
Kieselstein gebissen hätte. Weh dir, Teufelgeblendete! schrie sie, ein
Schwall scheltender Rede entströmte ihren Lippen; die Nachbarin blieb
keine Antwort schuldig, schneller und schneller kam Wort auf Wort
geflogen, verschlang sich, verwirrte sich; von den Felswänden klang un-
harmonischer Widerhall drein und schreckte ein Käuzleinpaar auf, das
dort in den Spalten horstete und scharf krächzend von dannen flat-
terte ... am Portal des Münsters zu Worms, da die Königinnen
einander schalten, ging's sänftlicher zu, als jetzo.

D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 3

Aber die Schweſter Wendelgard hatte juſt mit träumender Sehn-
ſucht ihres Eheherrn gedacht; ſie wußte in feſtem Gottvertrauen, daß
er dereinſt noch heimkehren werde aus der Hunnen Landen, und hätte
am liebſten jetzt ſchon die Pforte ihrer Klauſe eingetreten, hinauszu-
ſchreiten in die wehende Luft, ihm entgegen.

Es iſt nicht die Stunde des Pſallirens, rief ſie hinüber.

Deſto lieblicher klingt freiwillige Andacht zum Himmel empor,
ſprach Wiborad. Und ſie intonirte mit rauher Stimme den Pſalm.
Aber die Antwort blieb aus. Was ſtimmſt du nicht in David's
Schallgeſang?

Ich mag nicht, war Wendelgard's einfache Antwort. Es war ihr
in langjährigem Klausnerthum allmälig ſchwül geworden. Viel tauſend
Pſalmen hatte ſie auf Wiborad's Geheiß geſungen, daß der heilige
Martinus ihren Ehegeſpons heraushaue aus der Feinde Gewalt, aber
die Sonne ging auf, die Sonne ging nieder — noch immer blieb er
aus. Und die hagere Nachbarin mit ihren Phantasmen war ihr verleidet.

Wiborad aber wandte ihre Augen unverrückt dem Himmel zu,
gleich Einem, der am hellen Tag einen Cometen zu entdecken gedenkt:
O Gefäß voll Ungehorſam und Bosheit, rief ſie, ich will für dich
beten, daß die böſen Geiſter von dir gebannet werden. Dein Aug' iſt
blind, dein Sinn iſt wirr.

Doch ruhig antwortete die Geſcholtene: Richtet nicht, auf daß auch
Ihr nicht gerichtet werdet. Mein Aug' iſt noch ſo ſcharf wie vor
Jahresfriſt, da es Euch in mondumglänzter Nacht erſchauen konnte,
wie Ihr aus dem Fenſter der Clauſe ſtieget und hinausgewandelt ſeid,
Gott weiß wohin, — und mein Sinn erwägt noch wohl, ob Pſalmen-
geſang aus ſolchem Munde ein Wunder zu wirken im Stande.

Da verzog ſich Wiborad's bleiches Antlitz, als ob ſie auf einen
Kieſelſtein gebiſſen hätte. Weh dir, Teufelgeblendete! ſchrie ſie, ein
Schwall ſcheltender Rede entſtrömte ihren Lippen; die Nachbarin blieb
keine Antwort ſchuldig, ſchneller und ſchneller kam Wort auf Wort
geflogen, verſchlang ſich, verwirrte ſich; von den Felswänden klang un-
harmoniſcher Widerhall drein und ſchreckte ein Käuzleinpaar auf, das
dort in den Spalten horſtete und ſcharf krächzend von dannen flat-
terte ... am Portal des Münſters zu Worms, da die Königinnen
einander ſchalten, ging's ſänftlicher zu, als jetzo.

D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0055" n="33"/>
        <p>Aber die Schwe&#x017F;ter Wendelgard hatte ju&#x017F;t mit träumender Sehn-<lb/>
&#x017F;ucht ihres Eheherrn gedacht; &#x017F;ie wußte in fe&#x017F;tem Gottvertrauen, daß<lb/>
er derein&#x017F;t noch heimkehren werde aus der Hunnen Landen, und hätte<lb/>
am lieb&#x017F;ten jetzt &#x017F;chon die Pforte ihrer Klau&#x017F;e eingetreten, hinauszu-<lb/>
&#x017F;chreiten in die wehende Luft, ihm entgegen.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t nicht die Stunde des P&#x017F;allirens, rief &#x017F;ie hinüber.</p><lb/>
        <p>De&#x017F;to lieblicher klingt freiwillige Andacht zum Himmel empor,<lb/>
&#x017F;prach Wiborad. Und &#x017F;ie intonirte mit rauher Stimme den P&#x017F;alm.<lb/>
Aber die Antwort blieb aus. Was &#x017F;timm&#x017F;t du nicht in David's<lb/>
Schallge&#x017F;ang?</p><lb/>
        <p>Ich mag nicht, war Wendelgard's einfache Antwort. Es war ihr<lb/>
in langjährigem Klausnerthum allmälig &#x017F;chwül geworden. Viel tau&#x017F;end<lb/>
P&#x017F;almen hatte &#x017F;ie auf Wiborad's Geheiß ge&#x017F;ungen, daß der heilige<lb/>
Martinus ihren Ehege&#x017F;pons heraushaue aus der Feinde Gewalt, aber<lb/>
die Sonne ging auf, die Sonne ging nieder &#x2014; noch immer blieb er<lb/>
aus. Und die hagere Nachbarin mit ihren Phantasmen war ihr verleidet.</p><lb/>
        <p>Wiborad aber wandte ihre Augen unverrückt dem Himmel zu,<lb/>
gleich Einem, der am hellen Tag einen Cometen zu entdecken gedenkt:<lb/>
O Gefäß voll Ungehor&#x017F;am und Bosheit, rief &#x017F;ie, ich will für dich<lb/>
beten, daß die bö&#x017F;en Gei&#x017F;ter von dir gebannet werden. Dein Aug' i&#x017F;t<lb/>
blind, dein Sinn i&#x017F;t wirr.</p><lb/>
        <p>Doch ruhig antwortete die Ge&#x017F;choltene: Richtet nicht, auf daß auch<lb/>
Ihr nicht gerichtet werdet. Mein Aug' i&#x017F;t noch &#x017F;o &#x017F;charf wie vor<lb/>
Jahresfri&#x017F;t, da es Euch in mondumglänzter Nacht er&#x017F;chauen konnte,<lb/>
wie Ihr aus dem Fen&#x017F;ter der Clau&#x017F;e &#x017F;tieget und hinausgewandelt &#x017F;eid,<lb/>
Gott weiß wohin, &#x2014; und mein Sinn erwägt noch wohl, ob P&#x017F;almen-<lb/>
ge&#x017F;ang aus &#x017F;olchem Munde ein Wunder zu wirken im Stande.</p><lb/>
        <p>Da verzog &#x017F;ich Wiborad's bleiches Antlitz, als ob &#x017F;ie auf einen<lb/>
Kie&#x017F;el&#x017F;tein gebi&#x017F;&#x017F;en hätte. Weh dir, Teufelgeblendete! &#x017F;chrie &#x017F;ie, ein<lb/>
Schwall &#x017F;cheltender Rede ent&#x017F;trömte ihren Lippen; die Nachbarin blieb<lb/>
keine Antwort &#x017F;chuldig, &#x017F;chneller und &#x017F;chneller kam Wort auf Wort<lb/>
geflogen, ver&#x017F;chlang &#x017F;ich, verwirrte &#x017F;ich; von den Felswänden klang un-<lb/>
harmoni&#x017F;cher Widerhall drein und &#x017F;chreckte ein Käuzleinpaar auf, das<lb/>
dort in den Spalten hor&#x017F;tete und &#x017F;charf krächzend von dannen flat-<lb/>
terte ... am Portal des Mün&#x017F;ters zu Worms, da die Königinnen<lb/>
einander &#x017F;chalten, ging's &#x017F;änftlicher zu, als jetzo.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">D. B. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">VII.</hi></hi> Scheffel, Ekkehard. 3</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[33/0055] Aber die Schweſter Wendelgard hatte juſt mit träumender Sehn- ſucht ihres Eheherrn gedacht; ſie wußte in feſtem Gottvertrauen, daß er dereinſt noch heimkehren werde aus der Hunnen Landen, und hätte am liebſten jetzt ſchon die Pforte ihrer Klauſe eingetreten, hinauszu- ſchreiten in die wehende Luft, ihm entgegen. Es iſt nicht die Stunde des Pſallirens, rief ſie hinüber. Deſto lieblicher klingt freiwillige Andacht zum Himmel empor, ſprach Wiborad. Und ſie intonirte mit rauher Stimme den Pſalm. Aber die Antwort blieb aus. Was ſtimmſt du nicht in David's Schallgeſang? Ich mag nicht, war Wendelgard's einfache Antwort. Es war ihr in langjährigem Klausnerthum allmälig ſchwül geworden. Viel tauſend Pſalmen hatte ſie auf Wiborad's Geheiß geſungen, daß der heilige Martinus ihren Ehegeſpons heraushaue aus der Feinde Gewalt, aber die Sonne ging auf, die Sonne ging nieder — noch immer blieb er aus. Und die hagere Nachbarin mit ihren Phantasmen war ihr verleidet. Wiborad aber wandte ihre Augen unverrückt dem Himmel zu, gleich Einem, der am hellen Tag einen Cometen zu entdecken gedenkt: O Gefäß voll Ungehorſam und Bosheit, rief ſie, ich will für dich beten, daß die böſen Geiſter von dir gebannet werden. Dein Aug' iſt blind, dein Sinn iſt wirr. Doch ruhig antwortete die Geſcholtene: Richtet nicht, auf daß auch Ihr nicht gerichtet werdet. Mein Aug' iſt noch ſo ſcharf wie vor Jahresfriſt, da es Euch in mondumglänzter Nacht erſchauen konnte, wie Ihr aus dem Fenſter der Clauſe ſtieget und hinausgewandelt ſeid, Gott weiß wohin, — und mein Sinn erwägt noch wohl, ob Pſalmen- geſang aus ſolchem Munde ein Wunder zu wirken im Stande. Da verzog ſich Wiborad's bleiches Antlitz, als ob ſie auf einen Kieſelſtein gebiſſen hätte. Weh dir, Teufelgeblendete! ſchrie ſie, ein Schwall ſcheltender Rede entſtrömte ihren Lippen; die Nachbarin blieb keine Antwort ſchuldig, ſchneller und ſchneller kam Wort auf Wort geflogen, verſchlang ſich, verwirrte ſich; von den Felswänden klang un- harmoniſcher Widerhall drein und ſchreckte ein Käuzleinpaar auf, das dort in den Spalten horſtete und ſcharf krächzend von dannen flat- terte ... am Portal des Münſters zu Worms, da die Königinnen einander ſchalten, ging's ſänftlicher zu, als jetzo. D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/55
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/55>, abgerufen am 03.05.2024.