Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

fortzehrt im Mark und die alte Wunde nicht vernarbt. Und wieder
will die Bethörte von den Kämpfen um Ilium vernehmen und hängt
am Mund des Erzählers --

Wenn sie darauf sich getrennt und ihr Licht die erdunkelnde Luna
Jetzo gesenkt und zum Schlaf die sinkenden Sterne ermahnen
Trauert sie einsam im leeren Gemach -- auf's verlassene Lager
Wirft sie sich, jenen entfernt den Entferneten hört sie und schaut sie.
Oft den Ascanius auch, von des Vaters Bilde bezaubert,
Hält sie im Schooß um zu täuschen die unaussprechliche Liebe.

Ein leises Kichern unterbrach die Vorlesung. Der Klosterschüler
war aufmerksam zu der Herzogin Füßen gesessen, schier angeschmiegt
an ihr wallend Gewand, jetzt hatte er gekämpft ein aufsteigend Lachen
zu unterdrücken, es mißlang, er platzte heraus und hielt die Hände
vergeblich vor's Antlitz, sich zu decken.

Was gibt's, junger Versemacher? sprach Frau Hadwig.

Ich habe denken müssen, sprach der Junge verlegen, wenn meine
hohe Herrin die Königin Dido wäre, so wär' ich vorhin der Ascanius
gewesen, da Ihr mich zu herzen und küssen geruhtet.

Die Herzogin schaute scharf auf den Knaben herab. Will man
ungezogen werden? Kein Wunder -- schalt sie mit einem Fingerzeig
auf seine Locken, die junge Altklugheit trägt ja schon graue Haare
auf dem Scheitel.

... Das ist von der Nacht, da sie den Romeias erschlugen, wollte
der Klosterschüler sagen.

Das ist vom Fürwitz, der thörigte Dinge redet, wo er schweigen
sollte, fuhr die Herzogin drein. Steh auf, Schülerlein!

Burkard erhob sich vom Schemel und stand erröthend vor ihr.
So, sprach sie, jetzt geh zu der Jungfrau Praxedis und melde ihr, es
müßten dir zur Strafe alle grauen Haare abgeschnitten werden, und
bitte schön, daß sie dir's thue. Das wird gut sein für unzeitig
Lachen.

Dem Knaben standen die hellen Thränen in den Augen. Er
wagte keine Widerrede. Er ging zu Praxedis hin, die hegte Theil-
nahme für ihn, seit sie gehört, daß er des Romeias Gefährte bei sei-
nem letzten Gang gewesen: Ich thu' dir nicht weh, kleiner Heiliger,

fortzehrt im Mark und die alte Wunde nicht vernarbt. Und wieder
will die Bethörte von den Kämpfen um Ilium vernehmen und hängt
am Mund des Erzählers —

Wenn ſie darauf ſich getrennt und ihr Licht die erdunkelnde Luna
Jetzo geſenkt und zum Schlaf die ſinkenden Sterne ermahnen
Trauert ſie einſam im leeren Gemach — auf's verlaſſene Lager
Wirft ſie ſich, jenen entfernt den Entferneten hört ſie und ſchaut ſie.
Oft den Ascanius auch, von des Vaters Bilde bezaubert,
Hält ſie im Schooß um zu täuſchen die unausſprechliche Liebe.

Ein leiſes Kichern unterbrach die Vorleſung. Der Kloſterſchüler
war aufmerkſam zu der Herzogin Füßen geſeſſen, ſchier angeſchmiegt
an ihr wallend Gewand, jetzt hatte er gekämpft ein aufſteigend Lachen
zu unterdrücken, es mißlang, er platzte heraus und hielt die Hände
vergeblich vor's Antlitz, ſich zu decken.

Was gibt's, junger Verſemacher? ſprach Frau Hadwig.

Ich habe denken müſſen, ſprach der Junge verlegen, wenn meine
hohe Herrin die Königin Dido wäre, ſo wär' ich vorhin der Ascanius
geweſen, da Ihr mich zu herzen und küſſen geruhtet.

Die Herzogin ſchaute ſcharf auf den Knaben herab. Will man
ungezogen werden? Kein Wunder — ſchalt ſie mit einem Fingerzeig
auf ſeine Locken, die junge Altklugheit trägt ja ſchon graue Haare
auf dem Scheitel.

... Das iſt von der Nacht, da ſie den Romeias erſchlugen, wollte
der Kloſterſchüler ſagen.

Das iſt vom Fürwitz, der thörigte Dinge redet, wo er ſchweigen
ſollte, fuhr die Herzogin drein. Steh auf, Schülerlein!

Burkard erhob ſich vom Schemel und ſtand erröthend vor ihr.
So, ſprach ſie, jetzt geh zu der Jungfrau Praxedis und melde ihr, es
müßten dir zur Strafe alle grauen Haare abgeſchnitten werden, und
bitte ſchön, daß ſie dir's thue. Das wird gut ſein für unzeitig
Lachen.

Dem Knaben ſtanden die hellen Thränen in den Augen. Er
wagte keine Widerrede. Er ging zu Praxedis hin, die hegte Theil-
nahme für ihn, ſeit ſie gehört, daß er des Romeias Gefährte bei ſei-
nem letzten Gang geweſen: Ich thu' dir nicht weh, kleiner Heiliger,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0300" n="278"/>
fortzehrt im Mark und die alte Wunde nicht vernarbt. Und wieder<lb/>
will die Bethörte von den Kämpfen um Ilium vernehmen und hängt<lb/>
am Mund des Erzählers &#x2014;</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Wenn &#x017F;ie darauf &#x017F;ich getrennt und ihr Licht die erdunkelnde Luna</l><lb/>
          <l>Jetzo ge&#x017F;enkt und zum Schlaf die &#x017F;inkenden Sterne ermahnen</l><lb/>
          <l>Trauert &#x017F;ie ein&#x017F;am im leeren Gemach &#x2014; auf's verla&#x017F;&#x017F;ene Lager</l><lb/>
          <l>Wirft &#x017F;ie &#x017F;ich, jenen entfernt den Entferneten hört &#x017F;ie und &#x017F;chaut &#x017F;ie.</l><lb/>
          <l>Oft den Ascanius auch, von des Vaters Bilde bezaubert,</l><lb/>
          <l>Hält &#x017F;ie im Schooß um zu täu&#x017F;chen die unaus&#x017F;prechliche Liebe.</l>
        </lg><lb/>
        <p>Ein lei&#x017F;es Kichern unterbrach die Vorle&#x017F;ung. Der Klo&#x017F;ter&#x017F;chüler<lb/>
war aufmerk&#x017F;am zu der Herzogin Füßen ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;chier ange&#x017F;chmiegt<lb/>
an ihr wallend Gewand, jetzt hatte er gekämpft ein auf&#x017F;teigend Lachen<lb/>
zu unterdrücken, es mißlang, er platzte heraus und hielt die Hände<lb/>
vergeblich vor's Antlitz, &#x017F;ich zu decken.</p><lb/>
        <p>Was gibt's, junger Ver&#x017F;emacher? &#x017F;prach Frau Hadwig.</p><lb/>
        <p>Ich habe denken mü&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;prach der Junge verlegen, wenn meine<lb/>
hohe Herrin die Königin Dido wäre, &#x017F;o wär' ich vorhin der Ascanius<lb/>
gewe&#x017F;en, da Ihr mich zu herzen und kü&#x017F;&#x017F;en geruhtet.</p><lb/>
        <p>Die Herzogin &#x017F;chaute &#x017F;charf auf den Knaben herab. Will man<lb/>
ungezogen werden? Kein Wunder &#x2014; &#x017F;chalt &#x017F;ie mit einem Fingerzeig<lb/>
auf &#x017F;eine Locken, die junge Altklugheit trägt ja &#x017F;chon graue Haare<lb/>
auf dem Scheitel.</p><lb/>
        <p>... Das i&#x017F;t von der Nacht, da &#x017F;ie den Romeias er&#x017F;chlugen, wollte<lb/>
der Klo&#x017F;ter&#x017F;chüler &#x017F;agen.</p><lb/>
        <p>Das i&#x017F;t vom Fürwitz, der thörigte Dinge redet, wo er &#x017F;chweigen<lb/>
&#x017F;ollte, fuhr die Herzogin drein. Steh auf, Schülerlein!</p><lb/>
        <p>Burkard erhob &#x017F;ich vom Schemel und &#x017F;tand erröthend vor ihr.<lb/>
So, &#x017F;prach &#x017F;ie, jetzt geh zu der Jungfrau Praxedis und melde ihr, es<lb/>
müßten dir zur Strafe alle grauen Haare abge&#x017F;chnitten werden, und<lb/>
bitte &#x017F;chön, daß &#x017F;ie dir's thue. Das wird gut &#x017F;ein für unzeitig<lb/>
Lachen.</p><lb/>
        <p>Dem Knaben &#x017F;tanden die hellen Thränen in den Augen. Er<lb/>
wagte keine Widerrede. Er ging zu Praxedis hin, die hegte Theil-<lb/>
nahme für ihn, &#x017F;eit &#x017F;ie gehört, daß er des Romeias Gefährte bei &#x017F;ei-<lb/>
nem letzten Gang gewe&#x017F;en: Ich thu' dir nicht weh, kleiner Heiliger,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0300] fortzehrt im Mark und die alte Wunde nicht vernarbt. Und wieder will die Bethörte von den Kämpfen um Ilium vernehmen und hängt am Mund des Erzählers — Wenn ſie darauf ſich getrennt und ihr Licht die erdunkelnde Luna Jetzo geſenkt und zum Schlaf die ſinkenden Sterne ermahnen Trauert ſie einſam im leeren Gemach — auf's verlaſſene Lager Wirft ſie ſich, jenen entfernt den Entferneten hört ſie und ſchaut ſie. Oft den Ascanius auch, von des Vaters Bilde bezaubert, Hält ſie im Schooß um zu täuſchen die unausſprechliche Liebe. Ein leiſes Kichern unterbrach die Vorleſung. Der Kloſterſchüler war aufmerkſam zu der Herzogin Füßen geſeſſen, ſchier angeſchmiegt an ihr wallend Gewand, jetzt hatte er gekämpft ein aufſteigend Lachen zu unterdrücken, es mißlang, er platzte heraus und hielt die Hände vergeblich vor's Antlitz, ſich zu decken. Was gibt's, junger Verſemacher? ſprach Frau Hadwig. Ich habe denken müſſen, ſprach der Junge verlegen, wenn meine hohe Herrin die Königin Dido wäre, ſo wär' ich vorhin der Ascanius geweſen, da Ihr mich zu herzen und küſſen geruhtet. Die Herzogin ſchaute ſcharf auf den Knaben herab. Will man ungezogen werden? Kein Wunder — ſchalt ſie mit einem Fingerzeig auf ſeine Locken, die junge Altklugheit trägt ja ſchon graue Haare auf dem Scheitel. ... Das iſt von der Nacht, da ſie den Romeias erſchlugen, wollte der Kloſterſchüler ſagen. Das iſt vom Fürwitz, der thörigte Dinge redet, wo er ſchweigen ſollte, fuhr die Herzogin drein. Steh auf, Schülerlein! Burkard erhob ſich vom Schemel und ſtand erröthend vor ihr. So, ſprach ſie, jetzt geh zu der Jungfrau Praxedis und melde ihr, es müßten dir zur Strafe alle grauen Haare abgeſchnitten werden, und bitte ſchön, daß ſie dir's thue. Das wird gut ſein für unzeitig Lachen. Dem Knaben ſtanden die hellen Thränen in den Augen. Er wagte keine Widerrede. Er ging zu Praxedis hin, die hegte Theil- nahme für ihn, ſeit ſie gehört, daß er des Romeias Gefährte bei ſei- nem letzten Gang geweſen: Ich thu' dir nicht weh, kleiner Heiliger,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/300
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/300>, abgerufen am 22.11.2024.