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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Ekkehard schaute vorwurfsvoll auf die Gruppe herüber. Die Her-
zogin verstand den Blick.

So, nun hast du bereits sechs Worte gelernt, sprach sie zu Burkard.
Wenn du wieder in Hexametern drum bittest, soll dir ein Mehreres
verabreicht sein. Setz' dich jetzo mir zu Füßen und hör' andächtig zu.
Wir werden Virgilius lesen.

Da begann Ekkehard mit der Aeneide viertem Gesang, und las
die Sorgen der Dido, wie immerdar der Gedanke an den edeln tro-
janer Gast sie umschwebt und fest im innersten Busen sein Antlitz
haftet und Wort. Und sie klagt ihr Leid der Schwester:

Wenn's nicht fest in der Seele und unabänderlich stünde,
Keinem woll' ich hinfort durch ehliches Band mich gesellen,
Seit mit dem Erstgeliebten mir Freud' und Hoffnung dahinstarb,
Wenn nicht verhaßt Brautkammer und Hochzeitfackel mir wäre:
Dieser einen Versuchung vielleicht noch könnt' ich erliegen.
Anna, ich will es gestehn: nachdem mein armer Sichäus
Sank, der Gemahl, und troffen in Bruderblut die Penaten,
Hat er allein mir gewendet den Sinn und die wankende Seele
Mir bewegt, ich erkenne die Spur vormaliger Flammen.
...

Aber Frau Hadwig war wenig ergötzt von den Schmerzen der
carthagischen Königswittwe. Sie warf sich in ihrem Lehnstuhl zurück
und schaute zur Decke empor. Sie fand keine Beziehungen mehr
zwischen sich und der Frauengestalt des Dichters.

Haltet an! rief sie dem Vorlesenden zu, man merkt wieder, daß
ein Mann das geschrieben. Er will die Frau demüthigen. Alles
falsch. Wer wird sich so in einen fremden Gast vernarren?

Das mag Virgilius verantworten, sprach Ekkehard. Die Geschichte
wird's ihm so überliefert haben.

Dann lebt jetzt ein stärker Frauengeschlecht, sagte die Herzogin und
winkte ihm weiterzulesen. Sie war fast beleidigt von Virgilius Schil-
derung, vielleicht daß sie sich selber didonischer Anwandlungen erinnerte.
Es war nicht immer gewesen wie heute.

Und er las, wie Anna der Schwester zusprach, nicht vergeblich
wider gefällige Liebe zu streiten, wie an der Götter Altären Friede
und Heil durch Opfer erfleht wird, dieweil die geschmeidige Flamme

Ekkehard ſchaute vorwurfsvoll auf die Gruppe herüber. Die Her-
zogin verſtand den Blick.

So, nun haſt du bereits ſechs Worte gelernt, ſprach ſie zu Burkard.
Wenn du wieder in Hexametern drum bitteſt, ſoll dir ein Mehreres
verabreicht ſein. Setz' dich jetzo mir zu Füßen und hör' andächtig zu.
Wir werden Virgilius leſen.

Da begann Ekkehard mit der Aeneide viertem Geſang, und las
die Sorgen der Dido, wie immerdar der Gedanke an den edeln tro-
janer Gaſt ſie umſchwebt und feſt im innerſten Buſen ſein Antlitz
haftet und Wort. Und ſie klagt ihr Leid der Schweſter:

Wenn's nicht feſt in der Seele und unabänderlich ſtünde,
Keinem woll' ich hinfort durch ehliches Band mich geſellen,
Seit mit dem Erſtgeliebten mir Freud' und Hoffnung dahinſtarb,
Wenn nicht verhaßt Brautkammer und Hochzeitfackel mir wäre:
Dieſer einen Verſuchung vielleicht noch könnt' ich erliegen.
Anna, ich will es geſtehn: nachdem mein armer Sichäus
Sank, der Gemahl, und troffen in Bruderblut die Penaten,
Hat er allein mir gewendet den Sinn und die wankende Seele
Mir bewegt, ich erkenne die Spur vormaliger Flammen.
...

Aber Frau Hadwig war wenig ergötzt von den Schmerzen der
carthagiſchen Königswittwe. Sie warf ſich in ihrem Lehnſtuhl zurück
und ſchaute zur Decke empor. Sie fand keine Beziehungen mehr
zwiſchen ſich und der Frauengeſtalt des Dichters.

Haltet an! rief ſie dem Vorleſenden zu, man merkt wieder, daß
ein Mann das geſchrieben. Er will die Frau demüthigen. Alles
falſch. Wer wird ſich ſo in einen fremden Gaſt vernarren?

Das mag Virgilius verantworten, ſprach Ekkehard. Die Geſchichte
wird's ihm ſo überliefert haben.

Dann lebt jetzt ein ſtärker Frauengeſchlecht, ſagte die Herzogin und
winkte ihm weiterzuleſen. Sie war faſt beleidigt von Virgilius Schil-
derung, vielleicht daß ſie ſich ſelber didoniſcher Anwandlungen erinnerte.
Es war nicht immer geweſen wie heute.

Und er las, wie Anna der Schweſter zuſprach, nicht vergeblich
wider gefällige Liebe zu ſtreiten, wie an der Götter Altären Friede
und Heil durch Opfer erfleht wird, dieweil die geſchmeidige Flamme

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[277/0299] Ekkehard ſchaute vorwurfsvoll auf die Gruppe herüber. Die Her- zogin verſtand den Blick. So, nun haſt du bereits ſechs Worte gelernt, ſprach ſie zu Burkard. Wenn du wieder in Hexametern drum bitteſt, ſoll dir ein Mehreres verabreicht ſein. Setz' dich jetzo mir zu Füßen und hör' andächtig zu. Wir werden Virgilius leſen. Da begann Ekkehard mit der Aeneide viertem Geſang, und las die Sorgen der Dido, wie immerdar der Gedanke an den edeln tro- janer Gaſt ſie umſchwebt und feſt im innerſten Buſen ſein Antlitz haftet und Wort. Und ſie klagt ihr Leid der Schweſter: Wenn's nicht feſt in der Seele und unabänderlich ſtünde, Keinem woll' ich hinfort durch ehliches Band mich geſellen, Seit mit dem Erſtgeliebten mir Freud' und Hoffnung dahinſtarb, Wenn nicht verhaßt Brautkammer und Hochzeitfackel mir wäre: Dieſer einen Verſuchung vielleicht noch könnt' ich erliegen. Anna, ich will es geſtehn: nachdem mein armer Sichäus Sank, der Gemahl, und troffen in Bruderblut die Penaten, Hat er allein mir gewendet den Sinn und die wankende Seele Mir bewegt, ich erkenne die Spur vormaliger Flammen. ... Aber Frau Hadwig war wenig ergötzt von den Schmerzen der carthagiſchen Königswittwe. Sie warf ſich in ihrem Lehnſtuhl zurück und ſchaute zur Decke empor. Sie fand keine Beziehungen mehr zwiſchen ſich und der Frauengeſtalt des Dichters. Haltet an! rief ſie dem Vorleſenden zu, man merkt wieder, daß ein Mann das geſchrieben. Er will die Frau demüthigen. Alles falſch. Wer wird ſich ſo in einen fremden Gaſt vernarren? Das mag Virgilius verantworten, ſprach Ekkehard. Die Geſchichte wird's ihm ſo überliefert haben. Dann lebt jetzt ein ſtärker Frauengeſchlecht, ſagte die Herzogin und winkte ihm weiterzuleſen. Sie war faſt beleidigt von Virgilius Schil- derung, vielleicht daß ſie ſich ſelber didoniſcher Anwandlungen erinnerte. Es war nicht immer geweſen wie heute. Und er las, wie Anna der Schweſter zuſprach, nicht vergeblich wider gefällige Liebe zu ſtreiten, wie an der Götter Altären Friede und Heil durch Opfer erfleht wird, dieweil die geſchmeidige Flamme

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/299>, abgerufen am 22.11.2024.