Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.ihn drauf: Einstweilen sollst du von meinen Lippen etwas Anderes Sie strich ihm die Locken zurück. Der Klosterschüler war erröthet, Non possum prorsus dignos componere versus, *)Nam nimis expavi duce me libante suavi. Es waren wiederum zwei tadellose Hexameter. Die Herzogin lachte laut auf: Du hast sicher schon das Licht der Weil Ihr so vornehm und stolz und schön seid, sprach der Knabe. Sei zufrieden, entgegnete die Herzogin, wer mit frisch glühendem Sie sagen, wenn Einer Griechisch versteht, kann er so gescheidt Da lachte Frau Hadwig: Vorwärts denn! Weißt du den Anti- Ja, erwiederte Burkard. So sprich mir nach: Thalassi ke potami, eulogite ton kyrion! Jetzt sing' es! Er sang es. *)
Ich finde keinen Vers mehr, es stockt der Rede Fluß, Zu tief [h]at mich erschreckt der Herrin süßer Kuß. ihn drauf: Einſtweilen ſollſt du von meinen Lippen etwas Anderes Sie ſtrich ihm die Locken zurück. Der Kloſterſchüler war erröthet, Non possum prorsus dignos componere versus, *)Nam nimis expavi duce me libante suavi. Es waren wiederum zwei tadelloſe Hexameter. Die Herzogin lachte laut auf: Du haſt ſicher ſchon das Licht der Weil Ihr ſo vornehm und ſtolz und ſchön ſeid, ſprach der Knabe. Sei zufrieden, entgegnete die Herzogin, wer mit friſch glühendem Sie ſagen, wenn Einer Griechiſch verſteht, kann er ſo geſcheidt Da lachte Frau Hadwig: Vorwärts denn! Weißt du den Anti- Ja, erwiederte Burkard. So ſprich mir nach: Thalassi ke potami, eulogite ton kyrion! Jetzt ſing' es! Er ſang es. *)
Ich finde keinen Vers mehr, es ſtockt der Rede Fluß, Zu tief [h]at mich erſchreckt der Herrin ſüßer Kuß. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0298" n="276"/> ihn drauf: Einſtweilen ſollſt du von meinen Lippen etwas Anderes<lb/> pflücken als griechiſch, ſprach ſie ſcherzend und küßte ihn noch einmal, —<lb/> jetzt ſei aber ſo brav wie vorhin und ſag' ſchnell noch ein paar leicht-<lb/> hingleitende Verſe.</p><lb/> <p>Sie ſtrich ihm die Locken zurück. Der Kloſterſchüler war erröthet,<lb/> aber ſeine Metrik kam durch einer Herzogin Kuß nicht aus der<lb/> Faſſung. Ekkehard war an's Fenſter getreten und ſchaute nach den<lb/> Alpen, Burkard aber ſprach ohne ſich zu beſinnen:</p><lb/> <lg type="poem"> <l> <hi rendition="#aq">Non possum prorsus dignos componere versus,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#aq">Nam nimis expavi duce me libante suavi.</hi> </l> </lg> <note place="foot" n="*)"> <lg type="poem"> <l> <hi rendition="#aq">Ich finde keinen Vers mehr, es ſtockt der Rede Fluß,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#aq">Zu tief <supplied>h</supplied>at mich erſchreckt der Herrin ſüßer Kuß.</hi> </l> </lg> </note><lb/> <p>Es waren wiederum zwei tadelloſe Hexameter.</p><lb/> <p>Die Herzogin lachte laut auf: Du haſt ſicher ſchon das Licht der<lb/> Welt mit lateiniſchem Vers begrüßt; das klingt und ſtrömt ja als<lb/> wäre Virgil aus dem Grabe geſtiegen. Warum erſchrickſt du denn,<lb/> wenn ich dich küſſe?</p><lb/> <p>Weil Ihr ſo vornehm und ſtolz und ſchön ſeid, ſprach der Knabe.</p><lb/> <p>Sei zufrieden, entgegnete die Herzogin, wer mit friſch glühendem<lb/> Kuß auf den Lippen ſo regelrechte Verſe aus dem Aermel ſchüttelt,<lb/> dem hat der Schreck nicht tief in's Herz geſchlagen. Sie ſtellte ihn<lb/> ſich gegenüber. Warum begehrſt du ſo eifrig, das Griechiſche zu<lb/> erlernen?</p><lb/> <p>Sie ſagen, wenn Einer Griechiſch verſteht, kann er ſo geſcheidt<lb/> werden, daß er das Gras wachſen hört, war des Kloſterſchülers Ant-<lb/> wort. Seit mein älterer Mitſchüler Notker mit der großen Lippe ſich<lb/> gerühmt hat, er wolle dereinſt den ganzen Ariſtoteles auswendig ler-<lb/> nen und verdeutſchen, läßt mir's keine Ruhe mehr.</p><lb/> <p>Da lachte Frau Hadwig: Vorwärts denn! Weißt du den Anti-<lb/> phon: Ihr Meere und Flüſſe, lobet den Herren!</p><lb/> <p>Ja, erwiederte Burkard.</p><lb/> <p>So ſprich mir nach: <hi rendition="#aq">Thalassi ke potami, eulogite ton kyrion!</hi><lb/> Der Knabe ſprach's nach.</p><lb/> <p>Jetzt ſing' es! Er ſang es.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [276/0298]
ihn drauf: Einſtweilen ſollſt du von meinen Lippen etwas Anderes
pflücken als griechiſch, ſprach ſie ſcherzend und küßte ihn noch einmal, —
jetzt ſei aber ſo brav wie vorhin und ſag' ſchnell noch ein paar leicht-
hingleitende Verſe.
Sie ſtrich ihm die Locken zurück. Der Kloſterſchüler war erröthet,
aber ſeine Metrik kam durch einer Herzogin Kuß nicht aus der
Faſſung. Ekkehard war an's Fenſter getreten und ſchaute nach den
Alpen, Burkard aber ſprach ohne ſich zu beſinnen:
Non possum prorsus dignos componere versus,
Nam nimis expavi duce me libante suavi.
*)
Es waren wiederum zwei tadelloſe Hexameter.
Die Herzogin lachte laut auf: Du haſt ſicher ſchon das Licht der
Welt mit lateiniſchem Vers begrüßt; das klingt und ſtrömt ja als
wäre Virgil aus dem Grabe geſtiegen. Warum erſchrickſt du denn,
wenn ich dich küſſe?
Weil Ihr ſo vornehm und ſtolz und ſchön ſeid, ſprach der Knabe.
Sei zufrieden, entgegnete die Herzogin, wer mit friſch glühendem
Kuß auf den Lippen ſo regelrechte Verſe aus dem Aermel ſchüttelt,
dem hat der Schreck nicht tief in's Herz geſchlagen. Sie ſtellte ihn
ſich gegenüber. Warum begehrſt du ſo eifrig, das Griechiſche zu
erlernen?
Sie ſagen, wenn Einer Griechiſch verſteht, kann er ſo geſcheidt
werden, daß er das Gras wachſen hört, war des Kloſterſchülers Ant-
wort. Seit mein älterer Mitſchüler Notker mit der großen Lippe ſich
gerühmt hat, er wolle dereinſt den ganzen Ariſtoteles auswendig ler-
nen und verdeutſchen, läßt mir's keine Ruhe mehr.
Da lachte Frau Hadwig: Vorwärts denn! Weißt du den Anti-
phon: Ihr Meere und Flüſſe, lobet den Herren!
Ja, erwiederte Burkard.
So ſprich mir nach: Thalassi ke potami, eulogite ton kyrion!
Der Knabe ſprach's nach.
Jetzt ſing' es! Er ſang es.
*) Ich finde keinen Vers mehr, es ſtockt der Rede Fluß,
Zu tief hat mich erſchreckt der Herrin ſüßer Kuß.
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