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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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wandelte ein braunlockiger Knabe, er trug ein Mönchsröcklein, das bis
an die Knöchel reichte, Sandalen am nackten Fuß, einen ledernen
Ranzen auf dem Rücken, den eisenbeschlagenen Wanderstab in der
Hand. Ekkehard kannte ihn noch nicht.

Nach einer Weile stand er am Burgthor.

Er hielt die Hand vor die Augen und schaute in das weite schöne
Land hinaus. Dann trat er in Hof und ging gemessenen Schrittes
auf Ekkehard zu.

Es war Burkard der Klosterschüler, Ekkehard's Schwestersohn, der
von Constanz herüberkam, seinem jungen Oheim einen Ferienbesuch
abzustatten.

Er machte ein feierlich Gesicht und sprach den Begrüßungsspruch,
als hätte er ihn auswendig gelernt.

Ekkehard küßte den wohlerzogenen Schüler, der in den fünfzehn
Jahren seines Lebens noch keinen einzigen dummen Streich be-
gangen. Burkard richtete Grüße von Sanct Gallen aus, und
brachte eine Epistel Meister Ratpert's, der sich behufs vergleichender
Studien von Ekkehard Auskunft erbat, in welcherlei Fassung und
Wortlaut er gewisse schwierige Stellen im Virgilius zu übersetzen
pflege. Heil, Gedeihen und Fortschritt in der Erkenntniß!225) lautete
des Briefes Abschiedsgruß.

Ekkehard begann ein langes Fragen nach seinen dortigen Brüdern.
Aber Praxedis fiel ihm in die Rede.

Lasset doch den frommen jungen Mann ausruhen. Trockene Zunge
erzählt nicht gern. Komm mit mir, Männlein, du sollst uns ein
lieberer Besuch sein, als der böse Rudimann von Reichenau.

Vater Rudimann? sprach der Knabe, den kenne ich auch.

Woher? fragte Ekkehard.

Er ist vor wenig Tagen bei uns gewesen und hat dem Abt ein
großes Schreiben überbracht, und eine Schrift; es soll Vieles über
Euch drin stehen, liebwerther Ohm, und nicht lauter Schönes.

Hört! sprach Praxedis.

... und wie er Abschied genommen, ist er nur bis zur Kirche ge-
gangen; dort hat er gebetet bis daß es dunkel war. Er muß aber
alle Gänge und Schliche im Kloster kennen, wie die Glocke die Schlaf-
stunde angeläutet, ist er heimlich und auf den Zehen in's große Dor-

wandelte ein braunlockiger Knabe, er trug ein Mönchsröcklein, das bis
an die Knöchel reichte, Sandalen am nackten Fuß, einen ledernen
Ranzen auf dem Rücken, den eiſenbeſchlagenen Wanderſtab in der
Hand. Ekkehard kannte ihn noch nicht.

Nach einer Weile ſtand er am Burgthor.

Er hielt die Hand vor die Augen und ſchaute in das weite ſchöne
Land hinaus. Dann trat er in Hof und ging gemeſſenen Schrittes
auf Ekkehard zu.

Es war Burkard der Kloſterſchüler, Ekkehard's Schweſterſohn, der
von Conſtanz herüberkam, ſeinem jungen Oheim einen Ferienbeſuch
abzuſtatten.

Er machte ein feierlich Geſicht und ſprach den Begrüßungsſpruch,
als hätte er ihn auswendig gelernt.

Ekkehard küßte den wohlerzogenen Schüler, der in den fünfzehn
Jahren ſeines Lebens noch keinen einzigen dummen Streich be-
gangen. Burkard richtete Grüße von Sanct Gallen aus, und
brachte eine Epiſtel Meiſter Ratpert's, der ſich behufs vergleichender
Studien von Ekkehard Auskunft erbat, in welcherlei Faſſung und
Wortlaut er gewiſſe ſchwierige Stellen im Virgilius zu überſetzen
pflege. Heil, Gedeihen und Fortſchritt in der Erkenntniß!225) lautete
des Briefes Abſchiedsgruß.

Ekkehard begann ein langes Fragen nach ſeinen dortigen Brüdern.
Aber Praxedis fiel ihm in die Rede.

Laſſet doch den frommen jungen Mann ausruhen. Trockene Zunge
erzählt nicht gern. Komm mit mir, Männlein, du ſollſt uns ein
lieberer Beſuch ſein, als der böſe Rudimann von Reichenau.

Vater Rudimann? ſprach der Knabe, den kenne ich auch.

Woher? fragte Ekkehard.

Er iſt vor wenig Tagen bei uns geweſen und hat dem Abt ein
großes Schreiben überbracht, und eine Schrift; es ſoll Vieles über
Euch drin ſtehen, liebwerther Ohm, und nicht lauter Schönes.

Hört! ſprach Praxedis.

... und wie er Abſchied genommen, iſt er nur bis zur Kirche ge-
gangen; dort hat er gebetet bis daß es dunkel war. Er muß aber
alle Gänge und Schliche im Kloſter kennen, wie die Glocke die Schlaf-
ſtunde angeläutet, iſt er heimlich und auf den Zehen in's große Dor-

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[271/0293] wandelte ein braunlockiger Knabe, er trug ein Mönchsröcklein, das bis an die Knöchel reichte, Sandalen am nackten Fuß, einen ledernen Ranzen auf dem Rücken, den eiſenbeſchlagenen Wanderſtab in der Hand. Ekkehard kannte ihn noch nicht. Nach einer Weile ſtand er am Burgthor. Er hielt die Hand vor die Augen und ſchaute in das weite ſchöne Land hinaus. Dann trat er in Hof und ging gemeſſenen Schrittes auf Ekkehard zu. Es war Burkard der Kloſterſchüler, Ekkehard's Schweſterſohn, der von Conſtanz herüberkam, ſeinem jungen Oheim einen Ferienbeſuch abzuſtatten. Er machte ein feierlich Geſicht und ſprach den Begrüßungsſpruch, als hätte er ihn auswendig gelernt. Ekkehard küßte den wohlerzogenen Schüler, der in den fünfzehn Jahren ſeines Lebens noch keinen einzigen dummen Streich be- gangen. Burkard richtete Grüße von Sanct Gallen aus, und brachte eine Epiſtel Meiſter Ratpert's, der ſich behufs vergleichender Studien von Ekkehard Auskunft erbat, in welcherlei Faſſung und Wortlaut er gewiſſe ſchwierige Stellen im Virgilius zu überſetzen pflege. Heil, Gedeihen und Fortſchritt in der Erkenntniß! ²²⁵⁾ lautete des Briefes Abſchiedsgruß. Ekkehard begann ein langes Fragen nach ſeinen dortigen Brüdern. Aber Praxedis fiel ihm in die Rede. Laſſet doch den frommen jungen Mann ausruhen. Trockene Zunge erzählt nicht gern. Komm mit mir, Männlein, du ſollſt uns ein lieberer Beſuch ſein, als der böſe Rudimann von Reichenau. Vater Rudimann? ſprach der Knabe, den kenne ich auch. Woher? fragte Ekkehard. Er iſt vor wenig Tagen bei uns geweſen und hat dem Abt ein großes Schreiben überbracht, und eine Schrift; es ſoll Vieles über Euch drin ſtehen, liebwerther Ohm, und nicht lauter Schönes. Hört! ſprach Praxedis. ... und wie er Abſchied genommen, iſt er nur bis zur Kirche ge- gangen; dort hat er gebetet bis daß es dunkel war. Er muß aber alle Gänge und Schliche im Kloſter kennen, wie die Glocke die Schlaf- ſtunde angeläutet, iſt er heimlich und auf den Zehen in's große Dor-

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/293>, abgerufen am 18.05.2024.