unsern Zeiten kaum aufgehellte dunkle Weisheit im Buch von der hermeneia, und Cicero's rednerische Würde in der Topik. Wie ernst und fruchtbringend hätte die Unterhaltung gedeihen mögen, wenn sie mich über solche Schätze befragt! Wie konnte ich glauben, daß sie mich, dem Gott so Vieles verliehen, ob der Verwechslung eines Casus durchhecheln würden, mich, der den Donat und Priscian von innen und außen kennt! Es mag freilich jener Aufgeblasene wähnen, daß er die ganze Grammatika in seiner Capuze mit sich trage -- theure Mitbrüder! kaum ihren Rücken hat er von Ferne erschaut und wollte er eilen, einen Blick ihres hehren Angesichts zu erhaschen, er würde über den eigenen täppischen Fuß stolpernd zu Boden sinken. Die Grammatik ist ein hohes Weib, anders erscheint sie Holzhackern, an- ders einem Aristoteles.
"Soll ich euch aber von der Schwester der Grammatik, von der Dialectik reden, die jener griechische Meister die Amme seines Geistes genannt? O edle Kunst, die den Thoren in ihren Schlingen fängt, dem Weisen aber zeigt wie er die Schlinge meide; die uns die ver- borgenen Fäden aufdeckt, durch welche das Sein mit dem Nichtsein verknüpft ist! Freilich davon weiß jener Kuttenträger nichts, -- nichts von jener subtilen Feinheit, die mit neunzehn Gattungen von Schlüssen Alles zu erledigen versteht, was je gedacht und was denkbar. Gott ist gütig, er entzieht ihm solches Wissen, weil er's doch nur zu Lug und Trug nützen würde ..."
In solcher Weise wies der gelahrte Welsche seine Ueberlegenheit in allen freien Künsten nach; der Rhetorik und ihren Herrlichkeiten war ein Abschnitt gewidmet, worin wieder stark von Solchen die Rede, denen die Göttin Minerva einmal von Weitem im Traum erschienen, und von Thoren, die da glauben Kürze des Ausdrucks sei Zeichen von Weisheit. Dann aber ging's auf Arithmetik, Geometrie und Astronomie, mit Einschaltung tiefsinniger Abhandlungen über die Frage, ob die Himmelskörper mit Seele, Vernunft und Anspruch auf Un- sterblichkeit begabt, und ferner ob damals, als Josua geboten: Bewege dich nicht, Sonne, gegen Gabaon, noch du Mond gegen das Thal Aialon, gleichzeitig auch den andern fünf Planeten Stillstand auferlegt worden oder ob diese ihren Kreislauf fortsetzen durften.
unſern Zeiten kaum aufgehellte dunkle Weisheit im Buch von der hermeneia, und Cicero's redneriſche Würde in der Topik. Wie ernſt und fruchtbringend hätte die Unterhaltung gedeihen mögen, wenn ſie mich über ſolche Schätze befragt! Wie konnte ich glauben, daß ſie mich, dem Gott ſo Vieles verliehen, ob der Verwechslung eines Caſus durchhecheln würden, mich, der den Donat und Priscian von innen und außen kennt! Es mag freilich jener Aufgeblaſene wähnen, daß er die ganze Grammatika in ſeiner Capuze mit ſich trage — theure Mitbrüder! kaum ihren Rücken hat er von Ferne erſchaut und wollte er eilen, einen Blick ihres hehren Angeſichts zu erhaſchen, er würde über den eigenen täppiſchen Fuß ſtolpernd zu Boden ſinken. Die Grammatik iſt ein hohes Weib, anders erſcheint ſie Holzhackern, an- ders einem Ariſtoteles.
„Soll ich euch aber von der Schweſter der Grammatik, von der Dialectik reden, die jener griechiſche Meiſter die Amme ſeines Geiſtes genannt? O edle Kunſt, die den Thoren in ihren Schlingen fängt, dem Weiſen aber zeigt wie er die Schlinge meide; die uns die ver- borgenen Fäden aufdeckt, durch welche das Sein mit dem Nichtſein verknüpft iſt! Freilich davon weiß jener Kuttenträger nichts, — nichts von jener ſubtilen Feinheit, die mit neunzehn Gattungen von Schlüſſen Alles zu erledigen verſteht, was je gedacht und was denkbar. Gott iſt gütig, er entzieht ihm ſolches Wiſſen, weil er's doch nur zu Lug und Trug nützen würde ...“
In ſolcher Weiſe wies der gelahrte Welſche ſeine Ueberlegenheit in allen freien Künſten nach; der Rhetorik und ihren Herrlichkeiten war ein Abſchnitt gewidmet, worin wieder ſtark von Solchen die Rede, denen die Göttin Minerva einmal von Weitem im Traum erſchienen, und von Thoren, die da glauben Kürze des Ausdrucks ſei Zeichen von Weisheit. Dann aber ging's auf Arithmetik, Geometrie und Aſtronomie, mit Einſchaltung tiefſinniger Abhandlungen über die Frage, ob die Himmelskörper mit Seele, Vernunft und Anſpruch auf Un- ſterblichkeit begabt, und ferner ob damals, als Joſua geboten: Bewege dich nicht, Sonne, gegen Gabaon, noch du Mond gegen das Thal Aialon, gleichzeitig auch den andern fünf Planeten Stillſtand auferlegt worden oder ob dieſe ihren Kreislauf fortſetzen durften.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0261"n="239"/>
unſern Zeiten kaum aufgehellte dunkle Weisheit im Buch von der<lb/><hirendition="#aq">hermeneia,</hi> und Cicero's redneriſche Würde in der Topik. Wie ernſt<lb/>
und fruchtbringend hätte die Unterhaltung gedeihen mögen, wenn ſie<lb/>
mich über ſolche Schätze befragt! Wie konnte ich glauben, daß ſie<lb/>
mich, dem Gott ſo Vieles verliehen, ob der Verwechslung eines Caſus<lb/>
durchhecheln würden, mich, der den Donat und Priscian von innen<lb/>
und außen kennt! Es mag freilich jener Aufgeblaſene wähnen, daß<lb/>
er die ganze Grammatika in ſeiner Capuze mit ſich trage — theure<lb/>
Mitbrüder! kaum ihren Rücken hat er von Ferne erſchaut und wollte<lb/>
er eilen, einen Blick ihres hehren Angeſichts zu erhaſchen, er würde<lb/>
über den eigenen täppiſchen Fuß ſtolpernd zu Boden ſinken. Die<lb/>
Grammatik iſt ein hohes Weib, anders erſcheint ſie Holzhackern, an-<lb/>
ders einem Ariſtoteles.</p><lb/><p>„Soll ich euch aber von der Schweſter der Grammatik, von der<lb/>
Dialectik reden, die jener griechiſche Meiſter die Amme ſeines Geiſtes<lb/>
genannt? O edle Kunſt, die den Thoren in ihren Schlingen fängt,<lb/>
dem Weiſen aber zeigt wie er die Schlinge meide; die uns die ver-<lb/>
borgenen Fäden aufdeckt, durch welche das Sein mit dem Nichtſein<lb/>
verknüpft iſt! Freilich davon weiß jener Kuttenträger nichts, —<lb/>
nichts von jener ſubtilen Feinheit, die mit neunzehn Gattungen von<lb/>
Schlüſſen Alles zu erledigen verſteht, was je gedacht und was denkbar.<lb/>
Gott iſt gütig, er entzieht ihm ſolches Wiſſen, weil er's doch nur zu<lb/>
Lug und Trug nützen würde ...“</p><lb/><p>In ſolcher Weiſe wies der gelahrte Welſche ſeine Ueberlegenheit in<lb/>
allen freien Künſten nach; der Rhetorik und ihren Herrlichkeiten war<lb/>
ein Abſchnitt gewidmet, worin wieder ſtark von Solchen die Rede,<lb/>
denen die Göttin Minerva einmal von Weitem im Traum erſchienen,<lb/>
und von Thoren, die da glauben Kürze des Ausdrucks ſei Zeichen<lb/>
von Weisheit. Dann aber ging's auf Arithmetik, Geometrie und<lb/>
Aſtronomie, mit Einſchaltung tiefſinniger Abhandlungen über die Frage,<lb/>
ob die Himmelskörper mit Seele, Vernunft und Anſpruch auf Un-<lb/>ſterblichkeit begabt, und ferner ob damals, als Joſua geboten: Bewege<lb/>
dich nicht, Sonne, gegen Gabaon, noch du Mond gegen das Thal<lb/>
Aialon, gleichzeitig auch den andern fünf Planeten Stillſtand auferlegt<lb/>
worden oder ob dieſe ihren Kreislauf fortſetzen durften.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[239/0261]
unſern Zeiten kaum aufgehellte dunkle Weisheit im Buch von der
hermeneia, und Cicero's redneriſche Würde in der Topik. Wie ernſt
und fruchtbringend hätte die Unterhaltung gedeihen mögen, wenn ſie
mich über ſolche Schätze befragt! Wie konnte ich glauben, daß ſie
mich, dem Gott ſo Vieles verliehen, ob der Verwechslung eines Caſus
durchhecheln würden, mich, der den Donat und Priscian von innen
und außen kennt! Es mag freilich jener Aufgeblaſene wähnen, daß
er die ganze Grammatika in ſeiner Capuze mit ſich trage — theure
Mitbrüder! kaum ihren Rücken hat er von Ferne erſchaut und wollte
er eilen, einen Blick ihres hehren Angeſichts zu erhaſchen, er würde
über den eigenen täppiſchen Fuß ſtolpernd zu Boden ſinken. Die
Grammatik iſt ein hohes Weib, anders erſcheint ſie Holzhackern, an-
ders einem Ariſtoteles.
„Soll ich euch aber von der Schweſter der Grammatik, von der
Dialectik reden, die jener griechiſche Meiſter die Amme ſeines Geiſtes
genannt? O edle Kunſt, die den Thoren in ihren Schlingen fängt,
dem Weiſen aber zeigt wie er die Schlinge meide; die uns die ver-
borgenen Fäden aufdeckt, durch welche das Sein mit dem Nichtſein
verknüpft iſt! Freilich davon weiß jener Kuttenträger nichts, —
nichts von jener ſubtilen Feinheit, die mit neunzehn Gattungen von
Schlüſſen Alles zu erledigen verſteht, was je gedacht und was denkbar.
Gott iſt gütig, er entzieht ihm ſolches Wiſſen, weil er's doch nur zu
Lug und Trug nützen würde ...“
In ſolcher Weiſe wies der gelahrte Welſche ſeine Ueberlegenheit in
allen freien Künſten nach; der Rhetorik und ihren Herrlichkeiten war
ein Abſchnitt gewidmet, worin wieder ſtark von Solchen die Rede,
denen die Göttin Minerva einmal von Weitem im Traum erſchienen,
und von Thoren, die da glauben Kürze des Ausdrucks ſei Zeichen
von Weisheit. Dann aber ging's auf Arithmetik, Geometrie und
Aſtronomie, mit Einſchaltung tiefſinniger Abhandlungen über die Frage,
ob die Himmelskörper mit Seele, Vernunft und Anſpruch auf Un-
ſterblichkeit begabt, und ferner ob damals, als Joſua geboten: Bewege
dich nicht, Sonne, gegen Gabaon, noch du Mond gegen das Thal
Aialon, gleichzeitig auch den andern fünf Planeten Stillſtand auferlegt
worden oder ob dieſe ihren Kreislauf fortſetzen durften.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/261>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.