Abzug! sprach er zum Schüler. Einen alten welken Strauß hatte er an Eisenhut gesteckt, erzählte Burkard, da gingen die zwei zum blin- den Thieto hinüber, der wollte den Winkel der Alten nimmer ver- lassen, sie aber setzten ihn auf zwei Speere und trugen ihn fort -- zum hinteren Pförtlein hinaus, das Schwarzathal aufwärts fliehend.
Schon waren die Hunnen von den Rossen gestiegen und kletterten über die Mauern; wie sich Nichts regte schwärmten sie ein wie die Mücken auf den Honigtropfen, aber Romeias ging gelassenen Schrit- tes mit seiner greisen Bürde bergan. Niemand soll vom Kloster- wächter sagen, daß er struppigen Heidenhunden zu lieb einen Trab angeschlagen -- so sprach er seinem jungen Freunde Muth zu. Aber bald waren ihm die Hunnen auf der Fährte, wild Geschrei erscholl durch die Thalschlucht, -- wieder ein Stück weit, da pfiffen die ersten Pfeile. So kamen sie bis an den Felsen der Klausnerinnen. Dort aber staunte selbst Romeias. Als wär' nichts geschehen, tönte ihnen Wi- borad's dumpfes Psalmodiren entgegen. In himmlischer Erscheinung war ihr Noth und Tod geoffenbart worden, selbst der fromme Ge- wissensrath Waldramm vermochte ihren Sinn nicht zur Flucht zu wen- den. Meine Zelle ist das Schlachtfeld, wo ich gegen der Menschheit alten Feind gestritten, ein Streiter Gottes deckt's mit seinem Leibe,167) so sprach sie und verharrte in der Wildniß, als Alles entwich.
Die Waldburg war nimmer zu erreichen, da suchte Romeias das abgelegenste Häuslein aus. Auf den Fels tretend ließ er den blinden Thieto sorglich durch's Dach hinab, er küßte den Greisen eh' er sich von ihm wandte -- dann hieß er den Klosterschüler sich auf die Flucht machen: es könnt' mir was Menschliches zustoßen, sag' denen in der Waldburg, daß sie nach dem Blinden sehen. Vergeblich flehte Burkard zu ihm und citirte den Nisus und Euryalus, die auch vor der Ueber- macht volskischer Reiter in nächtiges Waldesdunkel geflohen. Ich müßt' zu schnell laufen, sprach Romeias, Erhitzung ist ungesund und schafft Brustschmerzen, ich muß ein Wörtlein mit den Söhnen des Teufels reden.
Er ging an Wiborad's Zelle und klopfte an Laden: reich' mir die Hand, alter Drache, rief er hinein, wir wollen Friede machen! und Wiborad streckte ihm ihre verwelkte Rechte hinaus ... dann wälzte Romeias etliche Felsblöcke an des steilen Pfades Ausgang, so daß der
Abzug! ſprach er zum Schüler. Einen alten welken Strauß hatte er an Eiſenhut geſteckt, erzählte Burkard, da gingen die zwei zum blin- den Thieto hinüber, der wollte den Winkel der Alten nimmer ver- laſſen, ſie aber ſetzten ihn auf zwei Speere und trugen ihn fort — zum hinteren Pförtlein hinaus, das Schwarzathal aufwärts fliehend.
Schon waren die Hunnen von den Roſſen geſtiegen und kletterten über die Mauern; wie ſich Nichts regte ſchwärmten ſie ein wie die Mücken auf den Honigtropfen, aber Romeias ging gelaſſenen Schrit- tes mit ſeiner greiſen Bürde bergan. Niemand ſoll vom Kloſter- wächter ſagen, daß er ſtruppigen Heidenhunden zu lieb einen Trab angeſchlagen — ſo ſprach er ſeinem jungen Freunde Muth zu. Aber bald waren ihm die Hunnen auf der Fährte, wild Geſchrei erſcholl durch die Thalſchlucht, — wieder ein Stück weit, da pfiffen die erſten Pfeile. So kamen ſie bis an den Felſen der Klausnerinnen. Dort aber ſtaunte ſelbſt Romeias. Als wär' nichts geſchehen, tönte ihnen Wi- borad's dumpfes Pſalmodiren entgegen. In himmliſcher Erſcheinung war ihr Noth und Tod geoffenbart worden, ſelbſt der fromme Ge- wiſſensrath Waldramm vermochte ihren Sinn nicht zur Flucht zu wen- den. Meine Zelle iſt das Schlachtfeld, wo ich gegen der Menſchheit alten Feind geſtritten, ein Streiter Gottes deckt's mit ſeinem Leibe,167) ſo ſprach ſie und verharrte in der Wildniß, als Alles entwich.
Die Waldburg war nimmer zu erreichen, da ſuchte Romeias das abgelegenſte Häuslein aus. Auf den Fels tretend ließ er den blinden Thieto ſorglich durch's Dach hinab, er küßte den Greiſen eh' er ſich von ihm wandte — dann hieß er den Kloſterſchüler ſich auf die Flucht machen: es könnt' mir was Menſchliches zuſtoßen, ſag' denen in der Waldburg, daß ſie nach dem Blinden ſehen. Vergeblich flehte Burkard zu ihm und citirte den Niſus und Euryalus, die auch vor der Ueber- macht volskiſcher Reiter in nächtiges Waldesdunkel geflohen. Ich müßt' zu ſchnell laufen, ſprach Romeias, Erhitzung iſt ungeſund und ſchafft Bruſtſchmerzen, ich muß ein Wörtlein mit den Söhnen des Teufels reden.
Er ging an Wiborad's Zelle und klopfte an Laden: reich' mir die Hand, alter Drache, rief er hinein, wir wollen Friede machen! und Wiborad ſtreckte ihm ihre verwelkte Rechte hinaus ... dann wälzte Romeias etliche Felsblöcke an des ſteilen Pfades Ausgang, ſo daß der
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Abzug! ſprach er zum Schüler. Einen alten welken Strauß hatte er
an Eiſenhut geſteckt, erzählte Burkard, da gingen die zwei zum blin-
den Thieto hinüber, der wollte den Winkel der Alten nimmer ver-
laſſen, ſie aber ſetzten ihn auf zwei Speere und trugen ihn fort —
zum hinteren Pförtlein hinaus, das Schwarzathal aufwärts fliehend.
Schon waren die Hunnen von den Roſſen geſtiegen und kletterten
über die Mauern; wie ſich Nichts regte ſchwärmten ſie ein wie die
Mücken auf den Honigtropfen, aber Romeias ging gelaſſenen Schrit-
tes mit ſeiner greiſen Bürde bergan. Niemand ſoll vom Kloſter-
wächter ſagen, daß er ſtruppigen Heidenhunden zu lieb einen Trab
angeſchlagen — ſo ſprach er ſeinem jungen Freunde Muth zu. Aber
bald waren ihm die Hunnen auf der Fährte, wild Geſchrei erſcholl
durch die Thalſchlucht, — wieder ein Stück weit, da pfiffen die erſten
Pfeile. So kamen ſie bis an den Felſen der Klausnerinnen. Dort aber
ſtaunte ſelbſt Romeias. Als wär' nichts geſchehen, tönte ihnen Wi-
borad's dumpfes Pſalmodiren entgegen. In himmliſcher Erſcheinung
war ihr Noth und Tod geoffenbart worden, ſelbſt der fromme Ge-
wiſſensrath Waldramm vermochte ihren Sinn nicht zur Flucht zu wen-
den. Meine Zelle iſt das Schlachtfeld, wo ich gegen der Menſchheit
alten Feind geſtritten, ein Streiter Gottes deckt's mit ſeinem Leibe,
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ſo ſprach ſie und verharrte in der Wildniß, als Alles entwich.
Die Waldburg war nimmer zu erreichen, da ſuchte Romeias das
abgelegenſte Häuslein aus. Auf den Fels tretend ließ er den blinden
Thieto ſorglich durch's Dach hinab, er küßte den Greiſen eh' er ſich
von ihm wandte — dann hieß er den Kloſterſchüler ſich auf die Flucht
machen: es könnt' mir was Menſchliches zuſtoßen, ſag' denen in der
Waldburg, daß ſie nach dem Blinden ſehen. Vergeblich flehte Burkard
zu ihm und citirte den Niſus und Euryalus, die auch vor der Ueber-
macht volskiſcher Reiter in nächtiges Waldesdunkel geflohen. Ich
müßt' zu ſchnell laufen, ſprach Romeias, Erhitzung iſt ungeſund
und ſchafft Bruſtſchmerzen, ich muß ein Wörtlein mit den Söhnen
des Teufels reden.
Er ging an Wiborad's Zelle und klopfte an Laden: reich' mir
die Hand, alter Drache, rief er hinein, wir wollen Friede machen!
und Wiborad ſtreckte ihm ihre verwelkte Rechte hinaus ... dann wälzte
Romeias etliche Felsblöcke an des ſteilen Pfades Ausgang, ſo daß der
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/181>, abgerufen am 25.11.2024.
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