Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Abzug! sprach er zum Schüler. Einen alten welken Strauß hatte er
an Eisenhut gesteckt, erzählte Burkard, da gingen die zwei zum blin-
den Thieto hinüber, der wollte den Winkel der Alten nimmer ver-
lassen, sie aber setzten ihn auf zwei Speere und trugen ihn fort --
zum hinteren Pförtlein hinaus, das Schwarzathal aufwärts fliehend.

Schon waren die Hunnen von den Rossen gestiegen und kletterten
über die Mauern; wie sich Nichts regte schwärmten sie ein wie die
Mücken auf den Honigtropfen, aber Romeias ging gelassenen Schrit-
tes mit seiner greisen Bürde bergan. Niemand soll vom Kloster-
wächter sagen, daß er struppigen Heidenhunden zu lieb einen Trab
angeschlagen -- so sprach er seinem jungen Freunde Muth zu. Aber
bald waren ihm die Hunnen auf der Fährte, wild Geschrei erscholl
durch die Thalschlucht, -- wieder ein Stück weit, da pfiffen die ersten
Pfeile. So kamen sie bis an den Felsen der Klausnerinnen. Dort aber
staunte selbst Romeias. Als wär' nichts geschehen, tönte ihnen Wi-
borad's dumpfes Psalmodiren entgegen. In himmlischer Erscheinung
war ihr Noth und Tod geoffenbart worden, selbst der fromme Ge-
wissensrath Waldramm vermochte ihren Sinn nicht zur Flucht zu wen-
den. Meine Zelle ist das Schlachtfeld, wo ich gegen der Menschheit
alten Feind gestritten, ein Streiter Gottes deckt's mit seinem Leibe,167) so sprach sie und verharrte in der Wildniß, als Alles entwich.

Die Waldburg war nimmer zu erreichen, da suchte Romeias das
abgelegenste Häuslein aus. Auf den Fels tretend ließ er den blinden
Thieto sorglich durch's Dach hinab, er küßte den Greisen eh' er sich
von ihm wandte -- dann hieß er den Klosterschüler sich auf die Flucht
machen: es könnt' mir was Menschliches zustoßen, sag' denen in der
Waldburg, daß sie nach dem Blinden sehen. Vergeblich flehte Burkard
zu ihm und citirte den Nisus und Euryalus, die auch vor der Ueber-
macht volskischer Reiter in nächtiges Waldesdunkel geflohen. Ich
müßt' zu schnell laufen, sprach Romeias, Erhitzung ist ungesund
und schafft Brustschmerzen, ich muß ein Wörtlein mit den Söhnen
des Teufels reden.

Er ging an Wiborad's Zelle und klopfte an Laden: reich' mir
die Hand, alter Drache, rief er hinein, wir wollen Friede machen!
und Wiborad streckte ihm ihre verwelkte Rechte hinaus ... dann wälzte
Romeias etliche Felsblöcke an des steilen Pfades Ausgang, so daß der

Abzug! ſprach er zum Schüler. Einen alten welken Strauß hatte er
an Eiſenhut geſteckt, erzählte Burkard, da gingen die zwei zum blin-
den Thieto hinüber, der wollte den Winkel der Alten nimmer ver-
laſſen, ſie aber ſetzten ihn auf zwei Speere und trugen ihn fort —
zum hinteren Pförtlein hinaus, das Schwarzathal aufwärts fliehend.

Schon waren die Hunnen von den Roſſen geſtiegen und kletterten
über die Mauern; wie ſich Nichts regte ſchwärmten ſie ein wie die
Mücken auf den Honigtropfen, aber Romeias ging gelaſſenen Schrit-
tes mit ſeiner greiſen Bürde bergan. Niemand ſoll vom Kloſter-
wächter ſagen, daß er ſtruppigen Heidenhunden zu lieb einen Trab
angeſchlagen — ſo ſprach er ſeinem jungen Freunde Muth zu. Aber
bald waren ihm die Hunnen auf der Fährte, wild Geſchrei erſcholl
durch die Thalſchlucht, — wieder ein Stück weit, da pfiffen die erſten
Pfeile. So kamen ſie bis an den Felſen der Klausnerinnen. Dort aber
ſtaunte ſelbſt Romeias. Als wär' nichts geſchehen, tönte ihnen Wi-
borad's dumpfes Pſalmodiren entgegen. In himmliſcher Erſcheinung
war ihr Noth und Tod geoffenbart worden, ſelbſt der fromme Ge-
wiſſensrath Waldramm vermochte ihren Sinn nicht zur Flucht zu wen-
den. Meine Zelle iſt das Schlachtfeld, wo ich gegen der Menſchheit
alten Feind geſtritten, ein Streiter Gottes deckt's mit ſeinem Leibe,167) ſo ſprach ſie und verharrte in der Wildniß, als Alles entwich.

Die Waldburg war nimmer zu erreichen, da ſuchte Romeias das
abgelegenſte Häuslein aus. Auf den Fels tretend ließ er den blinden
Thieto ſorglich durch's Dach hinab, er küßte den Greiſen eh' er ſich
von ihm wandte — dann hieß er den Kloſterſchüler ſich auf die Flucht
machen: es könnt' mir was Menſchliches zuſtoßen, ſag' denen in der
Waldburg, daß ſie nach dem Blinden ſehen. Vergeblich flehte Burkard
zu ihm und citirte den Niſus und Euryalus, die auch vor der Ueber-
macht volskiſcher Reiter in nächtiges Waldesdunkel geflohen. Ich
müßt' zu ſchnell laufen, ſprach Romeias, Erhitzung iſt ungeſund
und ſchafft Bruſtſchmerzen, ich muß ein Wörtlein mit den Söhnen
des Teufels reden.

Er ging an Wiborad's Zelle und klopfte an Laden: reich' mir
die Hand, alter Drache, rief er hinein, wir wollen Friede machen!
und Wiborad ſtreckte ihm ihre verwelkte Rechte hinaus ... dann wälzte
Romeias etliche Felsblöcke an des ſteilen Pfades Ausgang, ſo daß der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0181" n="159"/>
Abzug! &#x017F;prach er zum Schüler. Einen alten welken Strauß hatte er<lb/>
an Ei&#x017F;enhut ge&#x017F;teckt, erzählte Burkard, da gingen die zwei zum blin-<lb/>
den Thieto hinüber, der wollte den Winkel der Alten nimmer ver-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ie aber &#x017F;etzten ihn auf zwei Speere und trugen ihn fort &#x2014;<lb/>
zum hinteren Pförtlein hinaus, das Schwarzathal aufwärts fliehend.</p><lb/>
        <p>Schon waren die Hunnen von den Ro&#x017F;&#x017F;en ge&#x017F;tiegen und kletterten<lb/>
über die Mauern; wie &#x017F;ich Nichts regte &#x017F;chwärmten &#x017F;ie ein wie die<lb/>
Mücken auf den Honigtropfen, aber Romeias ging gela&#x017F;&#x017F;enen Schrit-<lb/>
tes mit &#x017F;einer grei&#x017F;en Bürde bergan. Niemand &#x017F;oll vom Klo&#x017F;ter-<lb/>
wächter &#x017F;agen, daß er &#x017F;truppigen Heidenhunden zu lieb einen Trab<lb/>
ange&#x017F;chlagen &#x2014; &#x017F;o &#x017F;prach er &#x017F;einem jungen Freunde Muth zu. Aber<lb/>
bald waren ihm die Hunnen auf der Fährte, wild Ge&#x017F;chrei er&#x017F;choll<lb/>
durch die Thal&#x017F;chlucht, &#x2014; wieder ein Stück weit, da pfiffen die er&#x017F;ten<lb/>
Pfeile. So kamen &#x017F;ie bis an den Fel&#x017F;en der Klausnerinnen. Dort aber<lb/>
&#x017F;taunte &#x017F;elb&#x017F;t Romeias. Als wär' nichts ge&#x017F;chehen, tönte ihnen Wi-<lb/>
borad's dumpfes P&#x017F;almodiren entgegen. In himmli&#x017F;cher Er&#x017F;cheinung<lb/>
war ihr Noth und Tod geoffenbart worden, &#x017F;elb&#x017F;t der fromme Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;ensrath Waldramm vermochte ihren Sinn nicht zur Flucht zu wen-<lb/>
den. Meine Zelle i&#x017F;t das Schlachtfeld, wo ich gegen der Men&#x017F;chheit<lb/>
alten Feind ge&#x017F;tritten, ein Streiter Gottes deckt's mit &#x017F;einem Leibe,<note xml:id="ed167" next="#edt167" place="end" n="167)"/><lb/>
&#x017F;o &#x017F;prach &#x017F;ie und verharrte in der Wildniß, als Alles entwich.</p><lb/>
        <p>Die Waldburg war nimmer zu erreichen, da &#x017F;uchte Romeias das<lb/>
abgelegen&#x017F;te Häuslein aus. Auf den Fels tretend ließ er den blinden<lb/>
Thieto &#x017F;orglich durch's Dach hinab, er küßte den Grei&#x017F;en eh' er &#x017F;ich<lb/>
von ihm wandte &#x2014; dann hieß er den Klo&#x017F;ter&#x017F;chüler &#x017F;ich auf die Flucht<lb/>
machen: es könnt' mir was Men&#x017F;chliches zu&#x017F;toßen, &#x017F;ag' denen in der<lb/>
Waldburg, daß &#x017F;ie nach dem Blinden &#x017F;ehen. Vergeblich flehte Burkard<lb/>
zu ihm und citirte den Ni&#x017F;us und Euryalus, die auch vor der Ueber-<lb/>
macht volski&#x017F;cher Reiter in nächtiges Waldesdunkel geflohen. Ich<lb/>
müßt' zu &#x017F;chnell laufen, &#x017F;prach Romeias, Erhitzung i&#x017F;t unge&#x017F;und<lb/>
und &#x017F;chafft Bru&#x017F;t&#x017F;chmerzen, ich muß ein Wörtlein mit den Söhnen<lb/>
des Teufels reden.</p><lb/>
        <p>Er ging an Wiborad's Zelle und klopfte an Laden: reich' mir<lb/>
die Hand, alter Drache, rief er hinein, wir wollen Friede machen!<lb/>
und Wiborad &#x017F;treckte ihm ihre verwelkte Rechte hinaus ... dann wälzte<lb/>
Romeias etliche Felsblöcke an des &#x017F;teilen Pfades Ausgang, &#x017F;o daß der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0181] Abzug! ſprach er zum Schüler. Einen alten welken Strauß hatte er an Eiſenhut geſteckt, erzählte Burkard, da gingen die zwei zum blin- den Thieto hinüber, der wollte den Winkel der Alten nimmer ver- laſſen, ſie aber ſetzten ihn auf zwei Speere und trugen ihn fort — zum hinteren Pförtlein hinaus, das Schwarzathal aufwärts fliehend. Schon waren die Hunnen von den Roſſen geſtiegen und kletterten über die Mauern; wie ſich Nichts regte ſchwärmten ſie ein wie die Mücken auf den Honigtropfen, aber Romeias ging gelaſſenen Schrit- tes mit ſeiner greiſen Bürde bergan. Niemand ſoll vom Kloſter- wächter ſagen, daß er ſtruppigen Heidenhunden zu lieb einen Trab angeſchlagen — ſo ſprach er ſeinem jungen Freunde Muth zu. Aber bald waren ihm die Hunnen auf der Fährte, wild Geſchrei erſcholl durch die Thalſchlucht, — wieder ein Stück weit, da pfiffen die erſten Pfeile. So kamen ſie bis an den Felſen der Klausnerinnen. Dort aber ſtaunte ſelbſt Romeias. Als wär' nichts geſchehen, tönte ihnen Wi- borad's dumpfes Pſalmodiren entgegen. In himmliſcher Erſcheinung war ihr Noth und Tod geoffenbart worden, ſelbſt der fromme Ge- wiſſensrath Waldramm vermochte ihren Sinn nicht zur Flucht zu wen- den. Meine Zelle iſt das Schlachtfeld, wo ich gegen der Menſchheit alten Feind geſtritten, ein Streiter Gottes deckt's mit ſeinem Leibe, ¹⁶⁷⁾ ſo ſprach ſie und verharrte in der Wildniß, als Alles entwich. Die Waldburg war nimmer zu erreichen, da ſuchte Romeias das abgelegenſte Häuslein aus. Auf den Fels tretend ließ er den blinden Thieto ſorglich durch's Dach hinab, er küßte den Greiſen eh' er ſich von ihm wandte — dann hieß er den Kloſterſchüler ſich auf die Flucht machen: es könnt' mir was Menſchliches zuſtoßen, ſag' denen in der Waldburg, daß ſie nach dem Blinden ſehen. Vergeblich flehte Burkard zu ihm und citirte den Niſus und Euryalus, die auch vor der Ueber- macht volskiſcher Reiter in nächtiges Waldesdunkel geflohen. Ich müßt' zu ſchnell laufen, ſprach Romeias, Erhitzung iſt ungeſund und ſchafft Bruſtſchmerzen, ich muß ein Wörtlein mit den Söhnen des Teufels reden. Er ging an Wiborad's Zelle und klopfte an Laden: reich' mir die Hand, alter Drache, rief er hinein, wir wollen Friede machen! und Wiborad ſtreckte ihm ihre verwelkte Rechte hinaus ... dann wälzte Romeias etliche Felsblöcke an des ſteilen Pfades Ausgang, ſo daß der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/181
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/181>, abgerufen am 08.05.2024.