Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

und Knarren enteilenden Fuhrwerks. Da zogen wir aus. Gold und
Kleinodien, Sanct Gallus' und Sanct Othmar's Sarg und Gebein,
der ganze Schatz ward noch sicher geborgen, die Bücher haben die
Jungen nach der Wasserburg mitgenommen -- aber an Essen und
Trinken ward nicht viel gedacht, nur schmaler Mundvorrath war in
die Waldburg geschafft; eiligst flohen wir dorthin. Erst unterwegs
merkten die Brüder, daß wir Thieto den Blinden im Winkel der
Alten vergessen, aber keiner ging mehr zurück, der Boden brannte
unter den Füßen. So lagen wir etliche Tage still im tannversteckten
Thurm, oftmals nächtlich sprangen wir zu den Waffen, als stünde
der Feind vor dem Thor, aber es war nur der Sitter Rauschen oder
des Windes Strich in den Tannenwipfeln. Einmal aber rief's mit
heller Stimme um Einlaß. Verscheucht und todtmüd kam Burkard
der Klosterschüler; aus Freundschaft zu Romeias dem Wächter am
Thor war er zurückgeblieben, wir hatten deß nicht wahrgenommen. Er
brachte schlimme Kunde; vom Schreck, den er erlebt, waren etliche
Haare auf dem jungen Haupte übernacht grau geworden.

Abt Cralo's Stimme wollte zittern. Er hielt an und trank einen
Schluck Weines. Der Herr sei allen christgläubigen Abgestorbenen
gnädig, fuhr er bewegt fort, sein Licht leuchte ihnen, er lasse sie ruhen
in Frieden!

Amen! sprachen die Tischgenossen.

Wen meint Ihr? fragte die Herzogin. Praxedis war aufgestan-
den, sie trat hinter ihrer Gebieterin Lehnstuhl, lauschend hing ihr Blick
an des Erzählers Lippen.

Erst wenn einer todt ist, merken die Zurückgebliebenen, was er
werth war, sprach Cralo, und nahm den Faden wieder auf: Romeias,
der trefflichste aller Wächter, war nicht mit uns ausgezogen. Will
meinen Posten halten bis zum Schluß, hatte er gesagt; des Klosters
Zugänge verschloß er, schaffte in sichern Versteck was wegzuschaffen
war, und machte die Runde um die Mauern, Burkard der Kloster-
schüler mit ihm; dann hielt er gewaffnet Wacht in seiner Thurmstube.
Da kam der helle Haufe hunnischer Reiter vor die Mauern geritten,
vorsichtig schwärmend; Romeias that die üblichen Hornstöße, dann
sprang er nach der Ringmauer anderem Ende und stieß abermals in's
Horn, als wär' Alles wohl gehütet und besetzt: jetzt ist's Zeit zum

und Knarren enteilenden Fuhrwerks. Da zogen wir aus. Gold und
Kleinodien, Sanct Gallus' und Sanct Othmar's Sarg und Gebein,
der ganze Schatz ward noch ſicher geborgen, die Bücher haben die
Jungen nach der Waſſerburg mitgenommen — aber an Eſſen und
Trinken ward nicht viel gedacht, nur ſchmaler Mundvorrath war in
die Waldburg geſchafft; eiligſt flohen wir dorthin. Erſt unterwegs
merkten die Brüder, daß wir Thieto den Blinden im Winkel der
Alten vergeſſen, aber keiner ging mehr zurück, der Boden brannte
unter den Füßen. So lagen wir etliche Tage ſtill im tannverſteckten
Thurm, oftmals nächtlich ſprangen wir zu den Waffen, als ſtünde
der Feind vor dem Thor, aber es war nur der Sitter Rauſchen oder
des Windes Strich in den Tannenwipfeln. Einmal aber rief's mit
heller Stimme um Einlaß. Verſcheucht und todtmüd kam Burkard
der Kloſterſchüler; aus Freundſchaft zu Romeias dem Wächter am
Thor war er zurückgeblieben, wir hatten deß nicht wahrgenommen. Er
brachte ſchlimme Kunde; vom Schreck, den er erlebt, waren etliche
Haare auf dem jungen Haupte übernacht grau geworden.

Abt Cralo's Stimme wollte zittern. Er hielt an und trank einen
Schluck Weines. Der Herr ſei allen chriſtgläubigen Abgeſtorbenen
gnädig, fuhr er bewegt fort, ſein Licht leuchte ihnen, er laſſe ſie ruhen
in Frieden!

Amen! ſprachen die Tiſchgenoſſen.

Wen meint Ihr? fragte die Herzogin. Praxedis war aufgeſtan-
den, ſie trat hinter ihrer Gebieterin Lehnſtuhl, lauſchend hing ihr Blick
an des Erzählers Lippen.

Erſt wenn einer todt iſt, merken die Zurückgebliebenen, was er
werth war, ſprach Cralo, und nahm den Faden wieder auf: Romeias,
der trefflichſte aller Wächter, war nicht mit uns ausgezogen. Will
meinen Poſten halten bis zum Schluß, hatte er geſagt; des Kloſters
Zugänge verſchloß er, ſchaffte in ſichern Verſteck was wegzuſchaffen
war, und machte die Runde um die Mauern, Burkard der Kloſter-
ſchüler mit ihm; dann hielt er gewaffnet Wacht in ſeiner Thurmſtube.
Da kam der helle Haufe hunniſcher Reiter vor die Mauern geritten,
vorſichtig ſchwärmend; Romeias that die üblichen Hornſtöße, dann
ſprang er nach der Ringmauer anderem Ende und ſtieß abermals in's
Horn, als wär' Alles wohl gehütet und beſetzt: jetzt iſt's Zeit zum

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0180" n="158"/>
und Knarren enteilenden Fuhrwerks. Da zogen wir aus. Gold und<lb/>
Kleinodien, Sanct Gallus' und Sanct Othmar's Sarg und Gebein,<lb/>
der ganze Schatz ward noch &#x017F;icher geborgen, die Bücher haben die<lb/>
Jungen nach der Wa&#x017F;&#x017F;erburg mitgenommen &#x2014; aber an E&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
Trinken ward nicht viel gedacht, nur &#x017F;chmaler Mundvorrath war in<lb/>
die Waldburg ge&#x017F;chafft; eilig&#x017F;t flohen wir dorthin. Er&#x017F;t unterwegs<lb/>
merkten die Brüder, daß wir Thieto den Blinden im Winkel der<lb/>
Alten verge&#x017F;&#x017F;en, aber keiner ging mehr zurück, der Boden brannte<lb/>
unter den Füßen. So lagen wir etliche Tage &#x017F;till im tannver&#x017F;teckten<lb/>
Thurm, oftmals nächtlich &#x017F;prangen wir zu den Waffen, als &#x017F;tünde<lb/>
der Feind vor dem Thor, aber es war nur der Sitter Rau&#x017F;chen oder<lb/>
des Windes Strich in den Tannenwipfeln. Einmal aber rief's mit<lb/>
heller Stimme um Einlaß. Ver&#x017F;cheucht und todtmüd kam Burkard<lb/>
der Klo&#x017F;ter&#x017F;chüler; aus Freund&#x017F;chaft zu Romeias dem Wächter am<lb/>
Thor war er zurückgeblieben, wir hatten deß nicht wahrgenommen. Er<lb/>
brachte &#x017F;chlimme Kunde; vom Schreck, den er erlebt, waren etliche<lb/>
Haare auf dem jungen Haupte übernacht grau geworden.</p><lb/>
        <p>Abt Cralo's Stimme wollte zittern. Er hielt an und trank einen<lb/>
Schluck Weines. Der Herr &#x017F;ei allen chri&#x017F;tgläubigen Abge&#x017F;torbenen<lb/>
gnädig, fuhr er bewegt fort, &#x017F;ein Licht leuchte ihnen, er la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ie ruhen<lb/>
in Frieden!</p><lb/>
        <p>Amen! &#x017F;prachen die Ti&#x017F;chgeno&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Wen meint Ihr? fragte die Herzogin. Praxedis war aufge&#x017F;tan-<lb/>
den, &#x017F;ie trat hinter ihrer Gebieterin Lehn&#x017F;tuhl, lau&#x017F;chend hing ihr Blick<lb/>
an des Erzählers Lippen.</p><lb/>
        <p>Er&#x017F;t wenn einer todt i&#x017F;t, merken die Zurückgebliebenen, was er<lb/>
werth war, &#x017F;prach Cralo, und nahm den Faden wieder auf: Romeias,<lb/>
der trefflich&#x017F;te aller Wächter, war nicht mit uns ausgezogen. Will<lb/>
meinen Po&#x017F;ten halten bis zum Schluß, hatte er ge&#x017F;agt; des Klo&#x017F;ters<lb/>
Zugänge ver&#x017F;chloß er, &#x017F;chaffte in &#x017F;ichern Ver&#x017F;teck was wegzu&#x017F;chaffen<lb/>
war, und machte die Runde um die Mauern, Burkard der Klo&#x017F;ter-<lb/>
&#x017F;chüler mit ihm; dann hielt er gewaffnet Wacht in &#x017F;einer Thurm&#x017F;tube.<lb/>
Da kam der helle Haufe hunni&#x017F;cher Reiter vor die Mauern geritten,<lb/>
vor&#x017F;ichtig &#x017F;chwärmend; Romeias that die üblichen Horn&#x017F;töße, dann<lb/>
&#x017F;prang er nach der Ringmauer anderem Ende und &#x017F;tieß abermals in's<lb/>
Horn, als wär' Alles wohl gehütet und be&#x017F;etzt: jetzt i&#x017F;t's Zeit zum<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0180] und Knarren enteilenden Fuhrwerks. Da zogen wir aus. Gold und Kleinodien, Sanct Gallus' und Sanct Othmar's Sarg und Gebein, der ganze Schatz ward noch ſicher geborgen, die Bücher haben die Jungen nach der Waſſerburg mitgenommen — aber an Eſſen und Trinken ward nicht viel gedacht, nur ſchmaler Mundvorrath war in die Waldburg geſchafft; eiligſt flohen wir dorthin. Erſt unterwegs merkten die Brüder, daß wir Thieto den Blinden im Winkel der Alten vergeſſen, aber keiner ging mehr zurück, der Boden brannte unter den Füßen. So lagen wir etliche Tage ſtill im tannverſteckten Thurm, oftmals nächtlich ſprangen wir zu den Waffen, als ſtünde der Feind vor dem Thor, aber es war nur der Sitter Rauſchen oder des Windes Strich in den Tannenwipfeln. Einmal aber rief's mit heller Stimme um Einlaß. Verſcheucht und todtmüd kam Burkard der Kloſterſchüler; aus Freundſchaft zu Romeias dem Wächter am Thor war er zurückgeblieben, wir hatten deß nicht wahrgenommen. Er brachte ſchlimme Kunde; vom Schreck, den er erlebt, waren etliche Haare auf dem jungen Haupte übernacht grau geworden. Abt Cralo's Stimme wollte zittern. Er hielt an und trank einen Schluck Weines. Der Herr ſei allen chriſtgläubigen Abgeſtorbenen gnädig, fuhr er bewegt fort, ſein Licht leuchte ihnen, er laſſe ſie ruhen in Frieden! Amen! ſprachen die Tiſchgenoſſen. Wen meint Ihr? fragte die Herzogin. Praxedis war aufgeſtan- den, ſie trat hinter ihrer Gebieterin Lehnſtuhl, lauſchend hing ihr Blick an des Erzählers Lippen. Erſt wenn einer todt iſt, merken die Zurückgebliebenen, was er werth war, ſprach Cralo, und nahm den Faden wieder auf: Romeias, der trefflichſte aller Wächter, war nicht mit uns ausgezogen. Will meinen Poſten halten bis zum Schluß, hatte er geſagt; des Kloſters Zugänge verſchloß er, ſchaffte in ſichern Verſteck was wegzuſchaffen war, und machte die Runde um die Mauern, Burkard der Kloſter- ſchüler mit ihm; dann hielt er gewaffnet Wacht in ſeiner Thurmſtube. Da kam der helle Haufe hunniſcher Reiter vor die Mauern geritten, vorſichtig ſchwärmend; Romeias that die üblichen Hornſtöße, dann ſprang er nach der Ringmauer anderem Ende und ſtieß abermals in's Horn, als wär' Alles wohl gehütet und beſetzt: jetzt iſt's Zeit zum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/180
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/180>, abgerufen am 22.11.2024.