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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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an dessen Genuß es verhindert, einen Werth und
Wichtigkeit habe; man wird dadurch aufmerk-
sam auf die Sache, die Einbildungskraft von der
beleidigten Eigenliebe verführt, mahlt sie schön
aus, man bestrebt sich nach ihrem Besitz.

Wohl dem Menschen, deß Trieb nach Frey-
heit von der Vernunft geleitet wird! Sie allein
führt ihn zum Ziele wahrer Jndependenz. Denn
der Vernunft gehorchen ist Freyheit.

Wer in diesem Gehorsam seine Unabhängig-
keit setzt, der ist edel -- der steht fest unter den
Schlägen des Schicksals und dem Wirbel der
Leidenschaften.

-- velut rupes, vastum quae prodit in
aequor
Obvia ventorum furiis, expostaque ponto,
Vim cunctam atque minas perfert coelique
marisque
Ipsa inmota manens.
*)

Aber wenn die Leidenschaft das Herz regiert,
dann wird der Trieb nach Freyheit zügellos und der
Mensch ein zügelloser Sclav. Nicht wohin er

will,
*) Virgil. Aeneid. lib. 10. v. 693 -- 696. "Wie
ein Fels, der ins weite Meer tritt, der Wuth der
Winde begegnend und den Wogen des Pontus blos
gestellt, alle Gewalt und Drohung des Meers und
des Himmels erträgt -- und unbewegt bleibt.

an deſſen Genuß es verhindert, einen Werth und
Wichtigkeit habe; man wird dadurch aufmerk-
ſam auf die Sache, die Einbildungskraft von der
beleidigten Eigenliebe verfuͤhrt, mahlt ſie ſchoͤn
aus, man beſtrebt ſich nach ihrem Beſitz.

Wohl dem Menſchen, deß Trieb nach Frey-
heit von der Vernunft geleitet wird! Sie allein
fuͤhrt ihn zum Ziele wahrer Jndependenz. Denn
der Vernunft gehorchen iſt Freyheit.

Wer in dieſem Gehorſam ſeine Unabhaͤngig-
keit ſetzt, der iſt edel — der ſteht feſt unter den
Schlaͤgen des Schickſals und dem Wirbel der
Leidenſchaften.

velut rupes, vaſtum quae prodit in
aequor
Obvia ventorum furiis, expoſtaque ponto,
Vim cunctam atque minas perfert coelique
marisque
Ipſa inmota manens.
*)

Aber wenn die Leidenſchaft das Herz regiert,
dann wird der Trieb nach Freyheit zuͤgellos und der
Menſch ein zuͤgelloſer Sclav. Nicht wohin er

will,
*) Virgil. Aeneid. lib. 10. v. 693 — 696. „Wie
ein Fels, der ins weite Meer tritt, der Wuth der
Winde begegnend und den Wogen des Pontus blos
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des Himmels ertraͤgt — und unbewegt bleibt.
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[380/0096] an deſſen Genuß es verhindert, einen Werth und Wichtigkeit habe; man wird dadurch aufmerk- ſam auf die Sache, die Einbildungskraft von der beleidigten Eigenliebe verfuͤhrt, mahlt ſie ſchoͤn aus, man beſtrebt ſich nach ihrem Beſitz. Wohl dem Menſchen, deß Trieb nach Frey- heit von der Vernunft geleitet wird! Sie allein fuͤhrt ihn zum Ziele wahrer Jndependenz. Denn der Vernunft gehorchen iſt Freyheit. Wer in dieſem Gehorſam ſeine Unabhaͤngig- keit ſetzt, der iſt edel — der ſteht feſt unter den Schlaͤgen des Schickſals und dem Wirbel der Leidenſchaften. — velut rupes, vaſtum quae prodit in aequor Obvia ventorum furiis, expoſtaque ponto, Vim cunctam atque minas perfert coelique marisque Ipſa inmota manens. *) Aber wenn die Leidenſchaft das Herz regiert, dann wird der Trieb nach Freyheit zuͤgellos und der Menſch ein zuͤgelloſer Sclav. Nicht wohin er will, *) Virgil. Aeneid. lib. 10. v. 693 — 696. „Wie ein Fels, der ins weite Meer tritt, der Wuth der Winde begegnend und den Wogen des Pontus blos geſtellt, alle Gewalt und Drohung des Meers und des Himmels ertraͤgt — und unbewegt bleibt.

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/96>, abgerufen am 28.04.2024.