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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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dern, eine feste Scheidewand zwischen einem und
den übrigen aufführen.

Dies geschieht und muß geschehen, sobald
Selbstliebe in Selbstsucht, Eigensucht ausar-
tet; das heißt, sobald man dahin gekommen ist,
daß man allgemein oder doch von einigen Seiten
sein eignes Wohlbefinden im engsten Sinn, das
ist, mit Ausschließung Andrer, vor Augen und
im Herzen hat. -- Und man kann sich dazu
gewöhnen, denn

Gewohnheit gleicht in diesem Stück Medusen
Und für die Menschheit selbst verkehrt sie uns
in Stein.
Dritte Unterhaltung.
Ueber die
Liebe zum Leben.
"Omnis natura vult esse conservatrix sui." Cicero.

Der beste Beweis, daß aller Klagen ungeach-
tet, doch des Guten auf der Erde mehr, als des
Uebels ist, und daß selbst Lavaters Aussichten
in die Ewigkeit Träume der Phantasie sind, ist
die so allgemein sich findende Liebe zum Leben.
Man frage nur herum nach den Ursachen dersel-
ben, und man wird entweder zur Antwort er-
halten: Jch wünsche zu leben, weil es doch auf

Erden

dern, eine feſte Scheidewand zwiſchen einem und
den uͤbrigen auffuͤhren.

Dies geſchieht und muß geſchehen, ſobald
Selbſtliebe in Selbſtſucht, Eigenſucht ausar-
tet; das heißt, ſobald man dahin gekommen iſt,
daß man allgemein oder doch von einigen Seiten
ſein eignes Wohlbefinden im engſten Sinn, das
iſt, mit Ausſchließung Andrer, vor Augen und
im Herzen hat. — Und man kann ſich dazu
gewoͤhnen, denn

Gewohnheit gleicht in dieſem Stuͤck Meduſen
Und fuͤr die Menſchheit ſelbſt verkehrt ſie uns
in Stein.
Dritte Unterhaltung.
Ueber die
Liebe zum Leben.
„Omnis natura vult eſſe conſervatrix ſui.„ Cicero.

Der beſte Beweis, daß aller Klagen ungeach-
tet, doch des Guten auf der Erde mehr, als des
Uebels iſt, und daß ſelbſt Lavaters Ausſichten
in die Ewigkeit Traͤume der Phantaſie ſind, iſt
die ſo allgemein ſich findende Liebe zum Leben.
Man frage nur herum nach den Urſachen derſel-
ben, und man wird entweder zur Antwort er-
halten: Jch wuͤnſche zu leben, weil es doch auf

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[310/0026] dern, eine feſte Scheidewand zwiſchen einem und den uͤbrigen auffuͤhren. Dies geſchieht und muß geſchehen, ſobald Selbſtliebe in Selbſtſucht, Eigenſucht ausar- tet; das heißt, ſobald man dahin gekommen iſt, daß man allgemein oder doch von einigen Seiten ſein eignes Wohlbefinden im engſten Sinn, das iſt, mit Ausſchließung Andrer, vor Augen und im Herzen hat. — Und man kann ſich dazu gewoͤhnen, denn Gewohnheit gleicht in dieſem Stuͤck Meduſen Und fuͤr die Menſchheit ſelbſt verkehrt ſie uns in Stein. Dritte Unterhaltung. Ueber die Liebe zum Leben. „Omnis natura vult eſſe conſervatrix ſui.„ Cicero. Der beſte Beweis, daß aller Klagen ungeach- tet, doch des Guten auf der Erde mehr, als des Uebels iſt, und daß ſelbſt Lavaters Ausſichten in die Ewigkeit Traͤume der Phantaſie ſind, iſt die ſo allgemein ſich findende Liebe zum Leben. Man frage nur herum nach den Urſachen derſel- ben, und man wird entweder zur Antwort er- halten: Jch wuͤnſche zu leben, weil es doch auf Erden

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/26>, abgerufen am 25.11.2024.