Die Selbstliebe vertauscht in der Liebe ihre Gegenstände. Was sie sonst von dem eignen Selbst hielt, und für dasselbe that; das hält sie jetzt von dem Geliebten, das thut sie für diesen. Alles, was in und an dem Geliebten ist, hat ho- hen Werth. Heilig ist die Stäte, die sein Fuß berührte: heilig das Wort, das sein Mund sprach. Sich selbst sieht man so klein; den Ge- liebten so groß; seine Aufopferungen so gering, die des Geliebten, so wichtig.
Nur in einem Stücke ist die Liebe egoistisch -- in der Liebe selbst. -- Man giebt mit Freu- den alles Andere hin, wenn sie das Herz erwärmt hat, nur die Liebe theilt man nicht gern; will we- nigstens den bey weiten vorzüglichsten Theil dersel- ben für sich haben. Aeußerungen, welche größere Zuneigung des Geliebten zu Andern, als zu uns verrathen, wie zerreißen sie das Herz! Wenn sein Auge länger auf Anderen ruht, als auf uns, seine Hand die unsrige nicht so freundlich drückt, als die des Andern, sein Ton gegen diesen herz- licher ist, als gegen uns -- o, wie sehr beklemmt dies unser Herz! Wir geben uns ganz hin, wir möchten gern auch etwas Ganzes wieder em- pfangen.
Ja diesen Eigennutz hat die Liebe; aber wer möchte sie darüber tadeln: und dieses Verlangen, allein für den geliebten Gegenstand sich aufopfern,
allein
Die Selbſtliebe vertauſcht in der Liebe ihre Gegenſtaͤnde. Was ſie ſonſt von dem eignen Selbſt hielt, und fuͤr daſſelbe that; das haͤlt ſie jetzt von dem Geliebten, das thut ſie fuͤr dieſen. Alles, was in und an dem Geliebten iſt, hat ho- hen Werth. Heilig iſt die Staͤte, die ſein Fuß beruͤhrte: heilig das Wort, das ſein Mund ſprach. Sich ſelbſt ſieht man ſo klein; den Ge- liebten ſo groß; ſeine Aufopferungen ſo gering, die des Geliebten, ſo wichtig.
Nur in einem Stuͤcke iſt die Liebe egoiſtiſch — in der Liebe ſelbſt. — Man giebt mit Freu- den alles Andere hin, wenn ſie das Herz erwaͤrmt hat, nur die Liebe theilt man nicht gern; will we- nigſtens den bey weiten vorzuͤglichſten Theil derſel- ben fuͤr ſich haben. Aeußerungen, welche groͤßere Zuneigung des Geliebten zu Andern, als zu uns verrathen, wie zerreißen ſie das Herz! Wenn ſein Auge laͤnger auf Anderen ruht, als auf uns, ſeine Hand die unſrige nicht ſo freundlich druͤckt, als die des Andern, ſein Ton gegen dieſen herz- licher iſt, als gegen uns — o, wie ſehr beklemmt dies unſer Herz! Wir geben uns ganz hin, wir moͤchten gern auch etwas Ganzes wieder em- pfangen.
Ja dieſen Eigennutz hat die Liebe; aber wer moͤchte ſie daruͤber tadeln: und dieſes Verlangen, allein fuͤr den geliebten Gegenſtand ſich aufopfern,
allein
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0257"n="541"/><p>Die Selbſtliebe vertauſcht in der Liebe ihre<lb/>
Gegenſtaͤnde. Was ſie ſonſt von dem eignen<lb/>
Selbſt hielt, und fuͤr daſſelbe that; das haͤlt ſie<lb/>
jetzt von dem Geliebten, das thut ſie fuͤr dieſen.<lb/>
Alles, was in und an dem Geliebten iſt, hat ho-<lb/>
hen Werth. Heilig iſt die Staͤte, die ſein Fuß<lb/>
beruͤhrte: heilig das Wort, das ſein Mund<lb/>ſprach. Sich ſelbſt ſieht man ſo klein; den Ge-<lb/>
liebten ſo groß; ſeine Aufopferungen ſo gering, die<lb/>
des Geliebten, ſo wichtig.</p><lb/><p>Nur in einem Stuͤcke iſt die Liebe egoiſtiſch<lb/>— in der Liebe ſelbſt. — Man giebt mit Freu-<lb/>
den alles Andere hin, wenn ſie das Herz erwaͤrmt<lb/>
hat, nur die Liebe theilt man nicht gern; will we-<lb/>
nigſtens den bey weiten vorzuͤglichſten Theil derſel-<lb/>
ben fuͤr ſich haben. Aeußerungen, welche groͤßere<lb/>
Zuneigung des Geliebten zu Andern, als zu uns<lb/>
verrathen, wie zerreißen ſie das Herz! Wenn<lb/>ſein Auge laͤnger auf Anderen ruht, als auf uns,<lb/>ſeine Hand die unſrige nicht ſo freundlich druͤckt,<lb/>
als die des Andern, ſein Ton gegen dieſen herz-<lb/>
licher iſt, als gegen uns — o, wie ſehr beklemmt<lb/>
dies unſer Herz! Wir geben uns <hirendition="#b">ganz</hi> hin, wir<lb/>
moͤchten gern auch etwas <hirendition="#b">Ganzes</hi> wieder em-<lb/>
pfangen.</p><lb/><p>Ja dieſen Eigennutz hat die Liebe; aber wer<lb/>
moͤchte ſie daruͤber tadeln: und dieſes Verlangen,<lb/>
allein fuͤr den geliebten Gegenſtand ſich aufopfern,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">allein</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[541/0257]
Die Selbſtliebe vertauſcht in der Liebe ihre
Gegenſtaͤnde. Was ſie ſonſt von dem eignen
Selbſt hielt, und fuͤr daſſelbe that; das haͤlt ſie
jetzt von dem Geliebten, das thut ſie fuͤr dieſen.
Alles, was in und an dem Geliebten iſt, hat ho-
hen Werth. Heilig iſt die Staͤte, die ſein Fuß
beruͤhrte: heilig das Wort, das ſein Mund
ſprach. Sich ſelbſt ſieht man ſo klein; den Ge-
liebten ſo groß; ſeine Aufopferungen ſo gering, die
des Geliebten, ſo wichtig.
Nur in einem Stuͤcke iſt die Liebe egoiſtiſch
— in der Liebe ſelbſt. — Man giebt mit Freu-
den alles Andere hin, wenn ſie das Herz erwaͤrmt
hat, nur die Liebe theilt man nicht gern; will we-
nigſtens den bey weiten vorzuͤglichſten Theil derſel-
ben fuͤr ſich haben. Aeußerungen, welche groͤßere
Zuneigung des Geliebten zu Andern, als zu uns
verrathen, wie zerreißen ſie das Herz! Wenn
ſein Auge laͤnger auf Anderen ruht, als auf uns,
ſeine Hand die unſrige nicht ſo freundlich druͤckt,
als die des Andern, ſein Ton gegen dieſen herz-
licher iſt, als gegen uns — o, wie ſehr beklemmt
dies unſer Herz! Wir geben uns ganz hin, wir
moͤchten gern auch etwas Ganzes wieder em-
pfangen.
Ja dieſen Eigennutz hat die Liebe; aber wer
moͤchte ſie daruͤber tadeln: und dieſes Verlangen,
allein fuͤr den geliebten Gegenſtand ſich aufopfern,
allein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/257>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.