allein ihn erfreuen, allein ihn beglücken zu kön- nen, mit dem Namen des Eigennutzes schän- den? -- Eyfersucht ist Eigennutz; dieser Wunsch, Großmuth.
Die Stärke der Liebe steht im Verhältniß mit der Erweiterung, die der geliebte Gegenstand un- serm Selbst verspricht. Die Liebe gegen leblose Dinge ist schwächer, als die gegen empfindende Wesen; die Liebe gegen den, der meines Ge- schlechts ist, schwächer, als die gegen den, der zum entgegengesetzten Geschlechte gehört; die Lie- be gegen die Gottheit über alles.
Leblose, materielle Dinge zeigen mir meine Wirkungen, aber keine Reaction, kein Wir- ken für mich. Der Gärtner liebt seine Blumen, denn er sieht in ihnen die Wirkungen seines Flei- ßes und seiner Sorgen; aber sie können ihm nicht danken, seine Sorgfalt für sie nicht empfinden. Das Thier kann freundlich gegen mich seyn, sich an mich schmiegen, mir schmeicheln, aber es ver- steht meine Liebe nicht, ich kann ihm meine Leiden nicht klagen, meine Freuden nicht erzählen. Wer meines Geschlechts ist, versteht meine Liebe, mein Herz kann Eins mit dem seinigen werden; aber er giebt mir nicht, wie das entgegengesetzte Ge- schlecht, die frohe Aussicht auf eine durch ihn mögliche Verkettung mehrerer Wesen mit mir.
Die
allein ihn erfreuen, allein ihn begluͤcken zu koͤn- nen, mit dem Namen des Eigennutzes ſchaͤn- den? — Eyferſucht iſt Eigennutz; dieſer Wunſch, Großmuth.
Die Staͤrke der Liebe ſteht im Verhaͤltniß mit der Erweiterung, die der geliebte Gegenſtand un- ſerm Selbſt verſpricht. Die Liebe gegen lebloſe Dinge iſt ſchwaͤcher, als die gegen empfindende Weſen; die Liebe gegen den, der meines Ge- ſchlechts iſt, ſchwaͤcher, als die gegen den, der zum entgegengeſetzten Geſchlechte gehoͤrt; die Lie- be gegen die Gottheit uͤber alles.
Lebloſe, materielle Dinge zeigen mir meine Wirkungen, aber keine Reaction, kein Wir- ken fuͤr mich. Der Gaͤrtner liebt ſeine Blumen, denn er ſieht in ihnen die Wirkungen ſeines Flei- ßes und ſeiner Sorgen; aber ſie koͤnnen ihm nicht danken, ſeine Sorgfalt fuͤr ſie nicht empfinden. Das Thier kann freundlich gegen mich ſeyn, ſich an mich ſchmiegen, mir ſchmeicheln, aber es ver- ſteht meine Liebe nicht, ich kann ihm meine Leiden nicht klagen, meine Freuden nicht erzaͤhlen. Wer meines Geſchlechts iſt, verſteht meine Liebe, mein Herz kann Eins mit dem ſeinigen werden; aber er giebt mir nicht, wie das entgegengeſetzte Ge- ſchlecht, die frohe Ausſicht auf eine durch ihn moͤgliche Verkettung mehrerer Weſen mit mir.
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allein ihn erfreuen, allein ihn begluͤcken zu koͤn-
nen, mit dem Namen des Eigennutzes ſchaͤn-
den? — Eyferſucht iſt Eigennutz; dieſer
Wunſch, Großmuth.
Die Staͤrke der Liebe ſteht im Verhaͤltniß mit
der Erweiterung, die der geliebte Gegenſtand un-
ſerm Selbſt verſpricht. Die Liebe gegen lebloſe
Dinge iſt ſchwaͤcher, als die gegen empfindende
Weſen; die Liebe gegen den, der meines Ge-
ſchlechts iſt, ſchwaͤcher, als die gegen den, der
zum entgegengeſetzten Geſchlechte gehoͤrt; die Lie-
be gegen die Gottheit uͤber alles.
Lebloſe, materielle Dinge zeigen mir meine
Wirkungen, aber keine Reaction, kein Wir-
ken fuͤr mich. Der Gaͤrtner liebt ſeine Blumen,
denn er ſieht in ihnen die Wirkungen ſeines Flei-
ßes und ſeiner Sorgen; aber ſie koͤnnen ihm nicht
danken, ſeine Sorgfalt fuͤr ſie nicht empfinden.
Das Thier kann freundlich gegen mich ſeyn, ſich
an mich ſchmiegen, mir ſchmeicheln, aber es ver-
ſteht meine Liebe nicht, ich kann ihm meine Leiden
nicht klagen, meine Freuden nicht erzaͤhlen. Wer
meines Geſchlechts iſt, verſteht meine Liebe, mein
Herz kann Eins mit dem ſeinigen werden; aber
er giebt mir nicht, wie das entgegengeſetzte Ge-
ſchlecht, die frohe Ausſicht auf eine durch ihn
moͤgliche Verkettung mehrerer Weſen mit mir.
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/258>, abgerufen am 22.11.2024.
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