Aus dieser Anstrengung folgt Gedankenlosigkeit, Erschlaffung und unwillkührliche Reizung der Nerven. Nimmt man hiezu, daß der Schwär- mer, welcher immer der Liebe des übersinnlichen Wesens genießen will, unaufhörlich daran denkt, sich von allem Sinnlichen frey zu machen; denkt man an die beständig gebrauchten mystischen For- meln von unsichtbarer Vermischung, unter wel- chen doch immer dunkle körperliche Gefühle ver- borgen sind, und an die ewigen Kasteiungen, Unregelmäßigkeiten in der Lebensordnung, Fa- sten, Wachen u. s. w., deren Vermögen, die Begierden rege zu machen, bekannt ist; so wird man sich nicht wundern, wie die schwärmerische Liebe des übersinnlichen Wesens, so leicht eine bloße Maske der körperlichen Begierden werden könne.
Außer den angeführten besondern Arten der Schwärmerey, deren sich noch viel mehrere ma- chen ließen, gedenk' ich hier nur noch derjenigen, welche man Universalschwärmerey nennen könn- te, und welche sich nicht auf einen Gegenstand, oder Gegenstände einerley Art, erstreckt, sondern durch den ganzen Kreis des Begehrungsvermö- gens läuft. Universalschwärmer bleiben in kei- nem Stück auf der Mittelstraße; sondern schwei- fen bald hie bald da aus. Sie werden von allen Dingen, die wirkliche Beschaffenheit derselben
sey,
R 2
Aus dieſer Anſtrengung folgt Gedankenloſigkeit, Erſchlaffung und unwillkuͤhrliche Reizung der Nerven. Nimmt man hiezu, daß der Schwaͤr- mer, welcher immer der Liebe des uͤberſinnlichen Weſens genießen will, unaufhoͤrlich daran denkt, ſich von allem Sinnlichen frey zu machen; denkt man an die beſtaͤndig gebrauchten myſtiſchen For- meln von unſichtbarer Vermiſchung, unter wel- chen doch immer dunkle koͤrperliche Gefuͤhle ver- borgen ſind, und an die ewigen Kaſteiungen, Unregelmaͤßigkeiten in der Lebensordnung, Fa- ſten, Wachen u. ſ. w., deren Vermoͤgen, die Begierden rege zu machen, bekannt iſt; ſo wird man ſich nicht wundern, wie die ſchwaͤrmeriſche Liebe des uͤberſinnlichen Weſens, ſo leicht eine bloße Maſke der koͤrperlichen Begierden werden koͤnne.
Außer den angefuͤhrten beſondern Arten der Schwaͤrmerey, deren ſich noch viel mehrere ma- chen ließen, gedenk' ich hier nur noch derjenigen, welche man Univerſalſchwaͤrmerey nennen koͤnn- te, und welche ſich nicht auf einen Gegenſtand, oder Gegenſtaͤnde einerley Art, erſtreckt, ſondern durch den ganzen Kreis des Begehrungsvermoͤ- gens laͤuft. Univerſalſchwaͤrmer bleiben in kei- nem Stuͤck auf der Mittelſtraße; ſondern ſchwei- fen bald hie bald da aus. Sie werden von allen Dingen, die wirkliche Beſchaffenheit derſelben
ſey,
R 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0283"n="259"/>
Aus dieſer Anſtrengung folgt Gedankenloſigkeit,<lb/>
Erſchlaffung und unwillkuͤhrliche Reizung der<lb/>
Nerven. Nimmt man hiezu, daß der Schwaͤr-<lb/>
mer, welcher immer der Liebe des uͤberſinnlichen<lb/>
Weſens genießen will, unaufhoͤrlich daran denkt,<lb/>ſich von allem Sinnlichen frey zu machen; denkt<lb/>
man an die beſtaͤndig gebrauchten myſtiſchen For-<lb/>
meln von unſichtbarer Vermiſchung, unter wel-<lb/>
chen doch immer dunkle koͤrperliche Gefuͤhle ver-<lb/>
borgen ſind, und an die ewigen Kaſteiungen,<lb/>
Unregelmaͤßigkeiten in der Lebensordnung, Fa-<lb/>ſten, Wachen u. ſ. w., deren Vermoͤgen, die<lb/>
Begierden rege zu machen, bekannt iſt; ſo wird<lb/>
man ſich nicht wundern, wie die ſchwaͤrmeriſche<lb/>
Liebe des uͤberſinnlichen Weſens, ſo leicht eine<lb/>
bloße Maſke der koͤrperlichen Begierden werden<lb/>
koͤnne.</p><lb/><p>Außer den angefuͤhrten beſondern Arten der<lb/>
Schwaͤrmerey, deren ſich noch viel mehrere ma-<lb/>
chen ließen, gedenk' ich hier nur noch derjenigen,<lb/>
welche man <hirendition="#b">Univerſalſchwaͤrmerey</hi> nennen koͤnn-<lb/>
te, und welche ſich nicht auf einen Gegenſtand,<lb/>
oder Gegenſtaͤnde einerley Art, erſtreckt, ſondern<lb/>
durch den ganzen Kreis des Begehrungsvermoͤ-<lb/>
gens laͤuft. Univerſalſchwaͤrmer bleiben in kei-<lb/>
nem Stuͤck auf der Mittelſtraße; ſondern ſchwei-<lb/>
fen bald hie bald da aus. Sie werden von allen<lb/>
Dingen, die wirkliche Beſchaffenheit derſelben<lb/><fwplace="bottom"type="sig">R 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſey,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[259/0283]
Aus dieſer Anſtrengung folgt Gedankenloſigkeit,
Erſchlaffung und unwillkuͤhrliche Reizung der
Nerven. Nimmt man hiezu, daß der Schwaͤr-
mer, welcher immer der Liebe des uͤberſinnlichen
Weſens genießen will, unaufhoͤrlich daran denkt,
ſich von allem Sinnlichen frey zu machen; denkt
man an die beſtaͤndig gebrauchten myſtiſchen For-
meln von unſichtbarer Vermiſchung, unter wel-
chen doch immer dunkle koͤrperliche Gefuͤhle ver-
borgen ſind, und an die ewigen Kaſteiungen,
Unregelmaͤßigkeiten in der Lebensordnung, Fa-
ſten, Wachen u. ſ. w., deren Vermoͤgen, die
Begierden rege zu machen, bekannt iſt; ſo wird
man ſich nicht wundern, wie die ſchwaͤrmeriſche
Liebe des uͤberſinnlichen Weſens, ſo leicht eine
bloße Maſke der koͤrperlichen Begierden werden
koͤnne.
Außer den angefuͤhrten beſondern Arten der
Schwaͤrmerey, deren ſich noch viel mehrere ma-
chen ließen, gedenk' ich hier nur noch derjenigen,
welche man Univerſalſchwaͤrmerey nennen koͤnn-
te, und welche ſich nicht auf einen Gegenſtand,
oder Gegenſtaͤnde einerley Art, erſtreckt, ſondern
durch den ganzen Kreis des Begehrungsvermoͤ-
gens laͤuft. Univerſalſchwaͤrmer bleiben in kei-
nem Stuͤck auf der Mittelſtraße; ſondern ſchwei-
fen bald hie bald da aus. Sie werden von allen
Dingen, die wirkliche Beſchaffenheit derſelben
ſey,
R 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/283>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.