sey, welche sie wolle, in gleichem Maaße gerührt und begehren, und verabscheuen sehr heftig oder gar nicht.
Die nächste Quelle aller Schwärmerey ist das von der erhitzten Phantasie getäuschte Herz, und alles also, was diese Wirkung hervorbringen kann, kann auch zur Schwärmerey die Veran- lassung werden. Daher derjenige am leichtesten von ihr ergriffen wird, der von einer sehr reizba- ren Empfindung und heißer Leidenschaft ist. Wenn nun in der Kindheit nicht die Erziehung und in den folgenden Jahren nicht die eigne Be- arbeitung dahin strebt, diese natürlichen Eigenheiten zu mäßigen; sondern vielmehr durch Gewöhnung, Lectüre weichlicher oder abentheuerlicher Schrif- ten die Phantasie noch mehr angeregt wird; so kann sie leicht die Schnellkraft erhalten, sich über die Vernunft emporzuschwingen, und zur Bewe- gerin des Willens zu machen: besonders wenn äußere Umstände hinzukommen, welche ihr gün- stig sind, z. B. Umgang mit Schwärmern, kör- perliche Schwäche und Einsamkeit, welche vor- züglich gefährlich ist, weil da der Mensch sich selbst ganz überlassen, so viel Phantasmen brüten kann, als er will, und niemand ihm einredet; weil er, da nichts ihn zerstreuet, seine Aufmerk- samkeit zu stark auf einige Dinge heftet, und dar- über der andern vergißt. Wenn dann die richti-
ge
ſey, welche ſie wolle, in gleichem Maaße geruͤhrt und begehren, und verabſcheuen ſehr heftig oder gar nicht.
Die naͤchſte Quelle aller Schwaͤrmerey iſt das von der erhitzten Phantaſie getaͤuſchte Herz, und alles alſo, was dieſe Wirkung hervorbringen kann, kann auch zur Schwaͤrmerey die Veran- laſſung werden. Daher derjenige am leichteſten von ihr ergriffen wird, der von einer ſehr reizba- ren Empfindung und heißer Leidenſchaft iſt. Wenn nun in der Kindheit nicht die Erziehung und in den folgenden Jahren nicht die eigne Be- arbeitung dahin ſtrebt, dieſe natuͤrlichen Eigenheiten zu maͤßigen; ſondern vielmehr durch Gewoͤhnung, Lectuͤre weichlicher oder abentheuerlicher Schrif- ten die Phantaſie noch mehr angeregt wird; ſo kann ſie leicht die Schnellkraft erhalten, ſich uͤber die Vernunft emporzuſchwingen, und zur Bewe- gerin des Willens zu machen: beſonders wenn aͤußere Umſtaͤnde hinzukommen, welche ihr guͤn- ſtig ſind, z. B. Umgang mit Schwaͤrmern, koͤr- perliche Schwaͤche und Einſamkeit, welche vor- zuͤglich gefaͤhrlich iſt, weil da der Menſch ſich ſelbſt ganz uͤberlaſſen, ſo viel Phantasmen bruͤten kann, als er will, und niemand ihm einredet; weil er, da nichts ihn zerſtreuet, ſeine Aufmerk- ſamkeit zu ſtark auf einige Dinge heftet, und dar- uͤber der andern vergißt. Wenn dann die richti-
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ſey, welche ſie wolle, in gleichem Maaße geruͤhrt
und begehren, und verabſcheuen ſehr heftig oder
gar nicht.
Die naͤchſte Quelle aller Schwaͤrmerey iſt
das von der erhitzten Phantaſie getaͤuſchte Herz,
und alles alſo, was dieſe Wirkung hervorbringen
kann, kann auch zur Schwaͤrmerey die Veran-
laſſung werden. Daher derjenige am leichteſten
von ihr ergriffen wird, der von einer ſehr reizba-
ren Empfindung und heißer Leidenſchaft iſt.
Wenn nun in der Kindheit nicht die Erziehung
und in den folgenden Jahren nicht die eigne Be-
arbeitung dahin ſtrebt, dieſe natuͤrlichen Eigenheiten
zu maͤßigen; ſondern vielmehr durch Gewoͤhnung,
Lectuͤre weichlicher oder abentheuerlicher Schrif-
ten die Phantaſie noch mehr angeregt wird; ſo
kann ſie leicht die Schnellkraft erhalten, ſich uͤber
die Vernunft emporzuſchwingen, und zur Bewe-
gerin des Willens zu machen: beſonders wenn
aͤußere Umſtaͤnde hinzukommen, welche ihr guͤn-
ſtig ſind, z. B. Umgang mit Schwaͤrmern, koͤr-
perliche Schwaͤche und Einſamkeit, welche vor-
zuͤglich gefaͤhrlich iſt, weil da der Menſch ſich
ſelbſt ganz uͤberlaſſen, ſo viel Phantasmen bruͤten
kann, als er will, und niemand ihm einredet;
weil er, da nichts ihn zerſtreuet, ſeine Aufmerk-
ſamkeit zu ſtark auf einige Dinge heftet, und dar-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/284>, abgerufen am 22.11.2024.
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