Handlungen verhüten zu können, welche mit diesen im Widerspruch sind.
Alle Erfahrungen, welche hierüber gemacht sind, beweisen es einstimmig, daß die Schlaf- wandrer einen kränklichen Körper, verdorbne Säfte, ein unruhiges Blut und Hang zur Me- lancholie haben; Beweise genug, daß dieser Zu- stand Ursachen voraussetzt, welche Körper und Seele nicht gesund seyn lassen.
Nicht bey allen Schlafwandrern sind dieselben Sinne geöffnet; nur das Gefühl ist bey allen lebendig. Doch nehmen sie Handlungen vor, welche den völligen Gebrauch, wenigstens der vorzüglichen Sinne, vorauszusetzen scheinen -- Handlungen selbst, welche sie im wachenden Zu- stande nicht vornehmen würden, und vor welchen sie, wenn sie während oder nach denselben erwa- chen, selbst erschrecken und zittern.
Ein gewisser Johann Ferraud stand, wie Muratori aus Gassendis Physik erzählt, des Nachts im Schlafe auf, legte seine Kleidung, aber meistens blos das Hemd, an, eröffnete die Thür, stieg hinab in den Keller, um Wein vom Fasse zu ziehn, und nahm noch andre ähnliche Verrichtungen vor. Zuweilen schrieb er sogar; und ob er sich gleich immer im Dunkeln befand, sahe er doch eben so deutlich, als am Tage. Wenn ihn seine Frau um etwas fragte, antwortete er
ihr
Handlungen verhuͤten zu koͤnnen, welche mit dieſen im Widerſpruch ſind.
Alle Erfahrungen, welche hieruͤber gemacht ſind, beweiſen es einſtimmig, daß die Schlaf- wandrer einen kraͤnklichen Koͤrper, verdorbne Saͤfte, ein unruhiges Blut und Hang zur Me- lancholie haben; Beweiſe genug, daß dieſer Zu- ſtand Urſachen vorausſetzt, welche Koͤrper und Seele nicht geſund ſeyn laſſen.
Nicht bey allen Schlafwandrern ſind dieſelben Sinne geoͤffnet; nur das Gefuͤhl iſt bey allen lebendig. Doch nehmen ſie Handlungen vor, welche den voͤlligen Gebrauch, wenigſtens der vorzuͤglichen Sinne, vorauszuſetzen ſcheinen — Handlungen ſelbſt, welche ſie im wachenden Zu- ſtande nicht vornehmen wuͤrden, und vor welchen ſie, wenn ſie waͤhrend oder nach denſelben erwa- chen, ſelbſt erſchrecken und zittern.
Ein gewiſſer Johann Ferraud ſtand, wie Muratori aus Gaſſendis Phyſik erzaͤhlt, des Nachts im Schlafe auf, legte ſeine Kleidung, aber meiſtens blos das Hemd, an, eroͤffnete die Thuͤr, ſtieg hinab in den Keller, um Wein vom Faſſe zu ziehn, und nahm noch andre aͤhnliche Verrichtungen vor. Zuweilen ſchrieb er ſogar; und ob er ſich gleich immer im Dunkeln befand, ſahe er doch eben ſo deutlich, als am Tage. Wenn ihn ſeine Frau um etwas fragte, antwortete er
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Handlungen verhuͤten zu koͤnnen, welche mit
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ſind, beweiſen es einſtimmig, daß die Schlaf-
wandrer einen kraͤnklichen Koͤrper, verdorbne
Saͤfte, ein unruhiges Blut und Hang zur Me-
lancholie haben; Beweiſe genug, daß dieſer Zu-
ſtand Urſachen vorausſetzt, welche Koͤrper und
Seele nicht geſund ſeyn laſſen.
Nicht bey allen Schlafwandrern ſind dieſelben
Sinne geoͤffnet; nur das Gefuͤhl iſt bey allen
lebendig. Doch nehmen ſie Handlungen vor,
welche den voͤlligen Gebrauch, wenigſtens der
vorzuͤglichen Sinne, vorauszuſetzen ſcheinen —
Handlungen ſelbſt, welche ſie im wachenden Zu-
ſtande nicht vornehmen wuͤrden, und vor welchen
ſie, wenn ſie waͤhrend oder nach denſelben erwa-
chen, ſelbſt erſchrecken und zittern.
Ein gewiſſer Johann Ferraud ſtand, wie
Muratori aus Gaſſendis Phyſik erzaͤhlt, des
Nachts im Schlafe auf, legte ſeine Kleidung,
aber meiſtens blos das Hemd, an, eroͤffnete die
Thuͤr, ſtieg hinab in den Keller, um Wein vom
Faſſe zu ziehn, und nahm noch andre aͤhnliche
Verrichtungen vor. Zuweilen ſchrieb er ſogar;
und ob er ſich gleich immer im Dunkeln befand,
ſahe er doch eben ſo deutlich, als am Tage. Wenn
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/133>, abgerufen am 16.02.2025.
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