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Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 2. Schaffhausen, 1861.

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des Alterthums und der ganzen Erde umfasst und vereinigt der jüdische Tempel das innere und äussere Sein, den Glauben und das Thun, die Grösse und den Untergang, den Himmel und die Hölle des jüdischen Volkes. Die Geschichte des jüdischen Tempels ist nicht allein die Geschichte eines weltgeschichtlichen Volkes, sondern an ihn knüpft sich auch die ganze Geschichte der neuern Menschheit, der Christenheit an, weil von dort und von Jerusalem die Boten und Verkündiger Christi nach allen Ländern hinauszogen und um die Wiedereroberung und den Besitz der heiligen Stadt und des heiligen Landes im Mittelalter Jahrhunderte lang weltgestaltende Kämpfe gekämpft wurden, wie sie vielleicht bald wieder gekämpft werden. Nicht als Kunstwerk, in welcher Beziehung die griechischen und selbst die römischen Göttertempel den salomonischen weit übertreffen, aber als religions-geschichtliches Werk, als Symbol eines erhabenen Gottesbegriffes und Gottesbewusstseins darf der salomonische Tempel das wichtigste und bedeutendste Heiligthum des gesammten vorchristlichen Alterthums genannt werden. In dem salomonischen Tempel culminirt die Idee eines israelischen Gotteshauses und der spätere Serubabel'sche und Herodianische Tempel sind nur unvollkommene Nachbildungen desselben; wie die Stiftshütte nach dem salomonischen Tempel als nach ihrem Ziele hindeutet und hinstrebet, weisen auf ihn der Serubabel'sche und Herodianische Tempel als das vergangene und nicht mehr erreichbare Schönere zurück.1) Mit seinem Tempel im J. 73 nach Christus stürzte auch das jüdische Volk zusammen und ward in alle Länder und unter alle Völker zerstreut, ohne jemals wieder eine Wohnung Johova's erbauet und gehabt zu haben.

Das salomonische Tempelgebäude lag im Westen von Jerusalem auf dem Berge Moria, Moriah oder Morijah2)

1) Braun, Geschichte der Kunst, I. S. 411 ff.
2) >Vergl. Lenning's Encyklopädie unter Moriah, welches Wort in den höhern Graden der Maurerei ein bedeutendes ist. Nach Comenius soll Moriah das Anschauen Gottes bedeuten, worüber Krause, a. a. O., I. 2. S. 140, zu vergleichen ist. Der Berg Moriah liegt auf der westlichen Seite des Kidronthales und gegenüber den

des Alterthums und der ganzen Erde umfasst und vereinigt der jüdische Tempel das innere und äussere Sein, den Glauben und das Thun, die Grösse und den Untergang, den Himmel und die Hölle des jüdischen Volkes. Die Geschichte des jüdischen Tempels ist nicht allein die Geschichte eines weltgeschichtlichen Volkes, sondern an ihn knüpft sich auch die ganze Geschichte der neuern Menschheit, der Christenheit an, weil von dort und von Jerusalem die Boten und Verkündiger Christi nach allen Ländern hinauszogen und um die Wiedereroberung und den Besitz der heiligen Stadt und des heiligen Landes im Mittelalter Jahrhunderte lang weltgestaltende Kämpfe gekämpft wurden, wie sie vielleicht bald wieder gekämpft werden. Nicht als Kunstwerk, in welcher Beziehung die griechischen und selbst die römischen Göttertempel den salomonischen weit übertreffen, aber als religions-geschichtliches Werk, als Symbol eines erhabenen Gottesbegriffes und Gottesbewusstseins darf der salomonische Tempel das wichtigste und bedeutendste Heiligthum des gesammten vorchristlichen Alterthums genannt werden. In dem salomonischen Tempel culminirt die Idee eines israelischen Gotteshauses und der spätere Serubabel’sche und Herodianische Tempel sind nur unvollkommene Nachbildungen desselben; wie die Stiftshütte nach dem salomonischen Tempel als nach ihrem Ziele hindeutet und hinstrebet, weisen auf ihn der Serubabel’sche und Herodianische Tempel als das vergangene und nicht mehr erreichbare Schönere zurück.1) Mit seinem Tempel im J. 73 nach Christus stürzte auch das jüdische Volk zusammen und ward in alle Länder und unter alle Völker zerstreut, ohne jemals wieder eine Wohnung Johova’s erbauet und gehabt zu haben.

Das salomonische Tempelgebäude lag im Westen von Jerusalem auf dem Berge Moria, Moriah oder Morijah2)

1) Braun, Geschichte der Kunst, I. S. 411 ff.
2) >Vergl. Lenning’s Encyklopädie unter Moriah, welches Wort in den höhern Graden der Maurerei ein bedeutendes ist. Nach Comenius soll Moriah das Anschauen Gottes bedeuten, worüber Krause, a. a. O., I. 2. S. 140, zu vergleichen ist. Der Berg Moriah liegt auf der westlichen Seite des Kidronthales und gegenüber den
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[129/0149] des Alterthums und der ganzen Erde umfasst und vereinigt der jüdische Tempel das innere und äussere Sein, den Glauben und das Thun, die Grösse und den Untergang, den Himmel und die Hölle des jüdischen Volkes. Die Geschichte des jüdischen Tempels ist nicht allein die Geschichte eines weltgeschichtlichen Volkes, sondern an ihn knüpft sich auch die ganze Geschichte der neuern Menschheit, der Christenheit an, weil von dort und von Jerusalem die Boten und Verkündiger Christi nach allen Ländern hinauszogen und um die Wiedereroberung und den Besitz der heiligen Stadt und des heiligen Landes im Mittelalter Jahrhunderte lang weltgestaltende Kämpfe gekämpft wurden, wie sie vielleicht bald wieder gekämpft werden. Nicht als Kunstwerk, in welcher Beziehung die griechischen und selbst die römischen Göttertempel den salomonischen weit übertreffen, aber als religions-geschichtliches Werk, als Symbol eines erhabenen Gottesbegriffes und Gottesbewusstseins darf der salomonische Tempel das wichtigste und bedeutendste Heiligthum des gesammten vorchristlichen Alterthums genannt werden. In dem salomonischen Tempel culminirt die Idee eines israelischen Gotteshauses und der spätere Serubabel’sche und Herodianische Tempel sind nur unvollkommene Nachbildungen desselben; wie die Stiftshütte nach dem salomonischen Tempel als nach ihrem Ziele hindeutet und hinstrebet, weisen auf ihn der Serubabel’sche und Herodianische Tempel als das vergangene und nicht mehr erreichbare Schönere zurück. 1) Mit seinem Tempel im J. 73 nach Christus stürzte auch das jüdische Volk zusammen und ward in alle Länder und unter alle Völker zerstreut, ohne jemals wieder eine Wohnung Johova’s erbauet und gehabt zu haben. Das salomonische Tempelgebäude lag im Westen von Jerusalem auf dem Berge Moria, Moriah oder Morijah 2) 1) Braun, Geschichte der Kunst, I. S. 411 ff. 2) >Vergl. Lenning’s Encyklopädie unter Moriah, welches Wort in den höhern Graden der Maurerei ein bedeutendes ist. Nach Comenius soll Moriah das Anschauen Gottes bedeuten, worüber Krause, a. a. O., I. 2. S. 140, zu vergleichen ist. Der Berg Moriah liegt auf der westlichen Seite des Kidronthales und gegenüber den

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Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 2. Schaffhausen, 1861, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei02_1861/149>, abgerufen am 13.05.2024.