Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.darauf, die Entscheidung einer Handlung vorzubereiten und auszuführen, und da sie dieses durch persönliche Darstellung erreichen will, so muss sich ihre Dichtung in Raum, Zeit und Handlung beschränken. Die Dramatik des Mittelalters befolgt andere Grundsätze; sie bekümmert sich nicht um die dramatischen Einheiten, sondern fasst den Verlauf der Handlungen als ein Ganzes auf, welches sie von Anfang bis zum Ende in einem Entwicklungsgange darstellt, so dass erst mit der Vollendung des ganzen Cyclus der Handlungen das Drama geschlossen ist. Dieser Charakter des Drama's ist episch und zeigt sich besonders deutlich in den Schauspielen, die ihren Stoff aus dem neuen Testamente genommen haben, indem sie das Leben Christi von seiner Geburt bis an seinen Tod, die heilige Geschichte von der Auferstehung bis zur Zerstörung Jerusalems oder gar bis zum Weltende, die Prophezeiungen des alten Testamentes bis zu Christi Geburt u. s. w. enthalten. Selbst die Schauspiele über die Heiligen umfassen meistentheils ihr ganzes Leben, nicht einzelne Momente desselben. Diese Beschaffenheit des Drama's geht mit den zeichnenden Künsten des Mittelalters gleichen Schritt, die speculae humanae salvationis, die biblia pauperum, die Skulpturen an den Portalen der Kirchen, die Oelberge, die alten Gemälde u. s. w. stellen womöglich den ganzen Verlauf der heiligen Geschichte dar, sie häufen ihre Gruppen in Zwerggestalten, um die biblische Vollständigkeit zu erreichen. Die von Mone mitgetheilten Stücke betreffen Mariä Himmelfahrt, Christi Auferstehung und Fronleichnam. Die Schauspiele, welche die Auferstehung Christi behandeln, sind mit den Osterspielen gleichbedeutend und eine Fortsetzung der Passionsspiele. Sie wurden Abends und Nachts aufgeführt, weil die Grablegung Christi und die Bewachung des Grabes gegen Abend geschah, und nach dem Ritual die Auferstehung durch einen Abendgottesdienst am Charsamstag gefeiert wird. Daher auch der Name solcher Stücke: ludus de nocte paschae. Bei der grossen Feier des Ostersonntags durfte kein Schauspiel gegeben werden, den Abend vorher wurde es erlaubt, und weil der Todestag Christi schon vorüber, so durfte das Spiel, auch der nahen Auferstehung darauf, die Entscheidung einer Handlung vorzubereiten und auszuführen, und da sie dieses durch persönliche Darstellung erreichen will, so muss sich ihre Dichtung in Raum, Zeit und Handlung beschränken. Die Dramatik des Mittelalters befolgt andere Grundsätze; sie bekümmert sich nicht um die dramatischen Einheiten, sondern fasst den Verlauf der Handlungen als ein Ganzes auf, welches sie von Anfang bis zum Ende in einem Entwicklungsgange darstellt, so dass erst mit der Vollendung des ganzen Cyclus der Handlungen das Drama geschlossen ist. Dieser Charakter des Drama’s ist episch und zeigt sich besonders deutlich in den Schauspielen, die ihren Stoff aus dem neuen Testamente genommen haben, indem sie das Leben Christi von seiner Geburt bis an seinen Tod, die heilige Geschichte von der Auferstehung bis zur Zerstörung Jerusalems oder gar bis zum Weltende, die Prophezeiungen des alten Testamentes bis zu Christi Geburt u. s. w. enthalten. Selbst die Schauspiele über die Heiligen umfassen meistentheils ihr ganzes Leben, nicht einzelne Momente desselben. Diese Beschaffenheit des Drama’s geht mit den zeichnenden Künsten des Mittelalters gleichen Schritt, die speculae humanae salvationis, die biblia pauperum, die Skulpturen an den Portalen der Kirchen, die Oelberge, die alten Gemälde u. s. w. stellen womöglich den ganzen Verlauf der heiligen Geschichte dar, sie häufen ihre Gruppen in Zwerggestalten, um die biblische Vollständigkeit zu erreichen. Die von Mone mitgetheilten Stücke betreffen Mariä Himmelfahrt, Christi Auferstehung und Fronleichnam. Die Schauspiele, welche die Auferstehung Christi behandeln, sind mit den Osterspielen gleichbedeutend und eine Fortsetzung der Passionsspiele. Sie wurden Abends und Nachts aufgeführt, weil die Grablegung Christi und die Bewachung des Grabes gegen Abend geschah, und nach dem Ritual die Auferstehung durch einen Abendgottesdienst am Charsamstag gefeiert wird. Daher auch der Name solcher Stücke: ludus de nocte paschae. 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Dieser Charakter des Drama’s ist episch und zeigt sich besonders deutlich in den Schauspielen, die ihren Stoff aus dem neuen Testamente genommen haben, indem sie das Leben Christi von seiner Geburt bis an seinen Tod, die heilige Geschichte von der Auferstehung bis zur Zerstörung Jerusalems oder gar bis zum Weltende, die Prophezeiungen des alten Testamentes bis zu Christi Geburt u. s. w. enthalten. Selbst die Schauspiele über die Heiligen umfassen meistentheils ihr ganzes Leben, nicht einzelne Momente desselben. Diese Beschaffenheit des Drama’s geht mit den zeichnenden Künsten des Mittelalters gleichen Schritt, die speculae humanae salvationis, die biblia pauperum, die Skulpturen an den Portalen der Kirchen, die Oelberge, die alten Gemälde u. s. w. stellen womöglich den ganzen Verlauf der heiligen Geschichte dar, sie häufen ihre Gruppen in Zwerggestalten, um die biblische Vollständigkeit zu erreichen. Die von Mone mitgetheilten Stücke betreffen Mariä Himmelfahrt, Christi Auferstehung und Fronleichnam. Die Schauspiele, welche die Auferstehung Christi behandeln, sind mit den Osterspielen gleichbedeutend und eine Fortsetzung der Passionsspiele. Sie wurden Abends und Nachts aufgeführt, weil die Grablegung Christi und die Bewachung des Grabes gegen Abend geschah, und nach dem Ritual die Auferstehung durch einen Abendgottesdienst am Charsamstag gefeiert wird. Daher auch der Name solcher Stücke: ludus de nocte paschae. Bei der grossen Feier des Ostersonntags durfte kein Schauspiel gegeben werden, den Abend vorher wurde es erlaubt, und weil der Todestag Christi schon vorüber, so durfte das Spiel, auch der nahen Auferstehung </p> </div> </body> </text> </TEI> [621/0637]
darauf, die Entscheidung einer Handlung vorzubereiten und auszuführen, und da sie dieses durch persönliche Darstellung erreichen will, so muss sich ihre Dichtung in Raum, Zeit und Handlung beschränken. Die Dramatik des Mittelalters befolgt andere Grundsätze; sie bekümmert sich nicht um die dramatischen Einheiten, sondern fasst den Verlauf der Handlungen als ein Ganzes auf, welches sie von Anfang bis zum Ende in einem Entwicklungsgange darstellt, so dass erst mit der Vollendung des ganzen Cyclus der Handlungen das Drama geschlossen ist. Dieser Charakter des Drama’s ist episch und zeigt sich besonders deutlich in den Schauspielen, die ihren Stoff aus dem neuen Testamente genommen haben, indem sie das Leben Christi von seiner Geburt bis an seinen Tod, die heilige Geschichte von der Auferstehung bis zur Zerstörung Jerusalems oder gar bis zum Weltende, die Prophezeiungen des alten Testamentes bis zu Christi Geburt u. s. w. enthalten. Selbst die Schauspiele über die Heiligen umfassen meistentheils ihr ganzes Leben, nicht einzelne Momente desselben. Diese Beschaffenheit des Drama’s geht mit den zeichnenden Künsten des Mittelalters gleichen Schritt, die speculae humanae salvationis, die biblia pauperum, die Skulpturen an den Portalen der Kirchen, die Oelberge, die alten Gemälde u. s. w. stellen womöglich den ganzen Verlauf der heiligen Geschichte dar, sie häufen ihre Gruppen in Zwerggestalten, um die biblische Vollständigkeit zu erreichen. Die von Mone mitgetheilten Stücke betreffen Mariä Himmelfahrt, Christi Auferstehung und Fronleichnam. Die Schauspiele, welche die Auferstehung Christi behandeln, sind mit den Osterspielen gleichbedeutend und eine Fortsetzung der Passionsspiele. Sie wurden Abends und Nachts aufgeführt, weil die Grablegung Christi und die Bewachung des Grabes gegen Abend geschah, und nach dem Ritual die Auferstehung durch einen Abendgottesdienst am Charsamstag gefeiert wird. Daher auch der Name solcher Stücke: ludus de nocte paschae. Bei der grossen Feier des Ostersonntags durfte kein Schauspiel gegeben werden, den Abend vorher wurde es erlaubt, und weil der Todestag Christi schon vorüber, so durfte das Spiel, auch der nahen Auferstehung
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